Markus Mayer

David Schrenker ist kein Selbstmörder!


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dass man aus dem Lob die Kritik herausschält und wer das nicht schafft und darauf nicht entsprechend reagiert, der erhält die Quittung in Form einer offiziellen Degradierung oder eines von ihr inszenierten Putsches durch einen ambitionierten Emporkömmling. Die neuen Abteilungsleiter wissen das nicht, selbst dann oft nicht, wenn sie zuvor schon in niedrigeren Positionen für sie gearbeitet haben.

      Für die Mitarbeiter in der untersten Hierarchiestufe scheint sie Sympathie zu haben. Eine gönnerhafte Sympathie, die wahrscheinlich daher rührt, dass sie in den tiefsten Öden des Salzburger Berglandes aufwuchs, in einem Skikaff, das im Winter von Touristen überlaufen und im Sommer nur von Heuballen und einfachen Bergbauern bevölkert ist. Doch sie ist keine Bauerntochter, sondern eine Hotelerbin, des ersten Superior Luxus Premium 5 Sterne Deluxe Hauses (oder so ähnlich) in ganz Provinz-Österreich. Wurde in eine Gastwirt-Familie hineingeboren, von Eltern erzogen, die nach Pfarrer und Volksschullehrer die angesehensten Menschen im Ort waren, das Geld in die Wiege gelegt, genauso wie die Arbeitsmoral, den Sinn für Ordnung und das Auge fürs Detail. Wurde auf die Universität Salzburg geschickt, als junge Frau, in den 70ern ein Novum und die einzige Person, die irgendjemand in dem Ort kannte, die als sie dann zurückkehrte, ein Diplom an der Wand hängen hatte – in Betriebswirtschaft. Ihr Ruf stand fest – keiner bezweifelte, dass sie die klügste Person im Gasteinertal war und weil die Leute eh nix und niemanden darüber hinaus kannten, der klügste Mensch Österreichs nach Kanzler und Präsident.

      Ich nehme an, sie hat sich schon in einem sehr jungen Alter wie jemand Besonderes gefühlt. Sprössling einer Promifamilie sozusagen… Dabei spielte es wahrscheinlich keine Rolle, dass sich ihre Bekanntheit auf lokale Kreise beschränkte. Sicher saß sie bei örtlichen Vereinsfesten oder Versammlungen immer in der ersten Reihe, obwohl sie grundsätzlich 10 Minuten zu spät kam – die Plätze wurden immer für sie freigehalten. Sie bekam immer, was sie wollte und jeder im Dorf sollte sehen, das sie da war – ein Einzug fast wie bei der WWE, nur die Musik fehlte… Ich fantasiere schon, aber ich will ihr Gehabe und ihr Auftreten verstehen, um sie nicht so sehr zu verachten. Warum sie jene die ganz unten im Organigramm verhätschelt und die, die in der Mitte stehen so kaltherzig behandelt – das will ich verstehen.

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Damit endet dein Eintrag?!? Ein bisschen symptomatisch ist das schon für dich! Du warst nie in der Lage, irgendwo hartnäckig dran zu bleiben oder etwas ernsthaft zu hinterfragen. Alle deine etwas anspruchsvolleren Gedanken fransen aus wie schlechtes Haar. Nicht dass dieser Eintrag besonders tiefsinnig wäre – das will ich damit nicht sagen, aber immerhin meinst du einen Zusammenhang zwischen der Herkunft deiner Chefin und ihrer Sympathie für das gemeine „Fußvolk“ erkannt zu haben. Bevor du aber entschlüsselt hast, wie dieser Zusammenhang genau aussieht, hörst du schon wieder zu schreiben auf. Dein Eintrag bleibt ohne Fazit stehen – genauso wie dein Leben. Abwarten und mal schauen! Ist das dein Motto? Wie kann man so leben? So in der Schwebe, so unkoordiniert, und vor allem so passiv. Genau: Passivität ist die zentrale Charakteristik deines Wesens, die man nicht nur aus diesem Eintrag herausliest. Du bist ein Geschöpf, das keinen Kampfgeist in sich trägt, keinen Biss, du ergibst dich deinem Schicksal und jammerst darüber. Genießt du es insgeheim ein Opfer zu sein? Oder kennst du es einfach nicht anders?

       Die Verachtung für deine Chefin ist kaum zu überlesen, doch du, ebenso wie die anderen Lämmer in ähnlichen Positionen wehrst dich nicht, sondern lästerst nur hinter dem Rücken deiner Meisterin über sie. Ich habe nie verstanden, wie Angestellte oder Arbeiter so dumm sein und nicht erkennen können, dass sie gebündelt viel mehr Macht haben, als jeder Vorstand oder Firmendirektor. Dafür brauche ich nicht in der Gewerkschaft sitzen! Wie geprügelte Hunde duckt ihr euch durchs Leben und je mehr dabei eure Seele stirbt, desto weiter entfernt ihr euch vom Glück!

      Tagebucheintrag vom 26. Dezember 2009

      Weihnachten, das Fest der Familie, verstärkt meine Furcht davor, selbst bald Familienvater zu sein. Es war mir nicht klar, dass ein Mensch so viel Angst empfinden kann. Seit dem ersten Tag, an dem ich erfuhr, dass ich Vater werde, habe ich Angst. Seit ich weiß, dass wir einen Sohn erwarten, konkretisiert sich meine Furcht – als es noch „nur“ ein Baby war, wirkte sie in so weiter Ferne.

      Wie halte ich ihn, ohne ihm wehzutun? Was, wenn ich ihn falsch berühre und irgendetwas verletze? Was, wenn er mir durch die Hände rutscht? Was, wenn ich krank bin und ihn anstecke? Was wenn er nicht aufhört zu schreien? Was, wenn er auf der Couch liegt und die Türklingel läutet, ich aufmache und irgendwas Schlimmes passiert ist, wenn ich zurückkehre? Was, wenn er bei uns im Bett schläft und ich ihn mit meinem Gewicht erdrücke. Was, wenn ich am Frühstückstisch sitze, er auf meinem Schoß sitzt und die Kaffeetasse über sich drüber kippt? Was, wenn er uns nie schlafen lässt und ich ihn deshalb zu hassen beginne? Wie schneiden wir seine winzigen Fingernägel, ohne ihn zu verletzen? Wie bade ich ihn, ohne ihn versehentlich ertrinken zu lassen. Wie ziehen wir ihn nicht zu warm und nicht zu kalt an? Woher soll ich wissen, was er essen darf und was nicht? Kann ich je mit ihm auf den Spielplatz gehen und ihn allein auf die Rutsche steigen lassen? Wird er früh laufen und reden oder so hinterher sein, dass schon früh der Gedanke in mir gedeiht, ein Trottelkind zu haben? Können wir ihn uns überhaupt leisten? Wird es keine Freunde im Kindergarten haben, nur weil wir ihm Second-Hand-Laden Klamotten kaufen müssen? Werde ich ihn überhaupt schimpfen können? Werde ich je nicht nachgeben können, wenn er etwas von mir möchte?

      Ich weiß, vieles ist Routine, aber ich weiß auch, dass ich Fehler machen werde, vor allem am Anfang! Und ich habe Angst, dass mein Kind genauso verkorkst sein wird wie ich!

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Ich kann dir kaum vorwerfen, dass du Angst vor solchen Dingen hattest. Jeder Mann hat wahrscheinlich Angst vor der Vaterschaft. Die wenigsten werden es zeigen und auch bei dir habe ich niemals Anzeichen von Ängstlichkeit beobachtet. Allerdings bin ich der Meinung, dass du aktiv nach Antworten auf deine Fragen hättest suchen können: Bekannte mit Kindern um Tipps bitten, Bücher kaufen, Lehrvideos anschauen, die Hebamme anrufen oder oder… Du hast das nicht gemacht, oder? Falls doch, habe ich davon zumindest nichts mitbekommen, nichts gehört, nicht von dir, nicht von Dritten. Und in diesem Tagebuch steht dazu auch kein Wort… Bereits zum Zeitpunkt dieses Eintrags, also schon zwei Monate vor Luis Geburt, hast du aufgegeben, bevor es überhaupt losging, die Flinte ins Korn geworfen.

      Tagebucheintrag vom 11. Januar 2010

      Heute habe ich eine Lebensversicherung abgeschlossen. Wenn mir etwas passiert, weiß ich, dass es meinem Sohn und Karina gut geht. Ich habe Karina nichts davon erzählt. Nicht weil es mir an Vertrauen mangelt, sondern da ich weiß, dass sie mir nicht so danken würde, wie ich es erwarte. Sie wäre eher geschockt und würde fragen, ob ich mich umbringen wolle und sagen: „Ich will gar nicht dran denken!“

      Deshalb habe ich es verschwiegen. Sie wird es eh nicht merken, denn die 300 Euro werden nicht von unserem Gemeinschaftskonto abgehen, sondern von meinem eigenen. Ich werde es dagegen schon merken, denn viel bleibt dann jeden Monat nicht mehr übrig.

      Nachdem ich bei der Versicherung fertig war, geisterte ich noch ein wenig in der Stadt umher. Karina dachte, ich sei beim Knoll, Playstation zocken. Sie erwartete mich erst spätabends zurück. Ich hatte keine Lust nach Hause zu kommen – sie ist zurzeit sehr reizbar. Wobei ich mich nicht beschweren kann! Man stelle sich nur mal vor, mit der Alten vom Knoll zusammen sein zu müssen… Der muss um Erlaubnis fragen, wenn er Playstation zocken will. Die dreht ihm ja fast den Kragen rum, wenn sie ihn mit dem Controller in der Hand erwischt: „Du bist kein kleines Kind mehr! Werd‘ erwachsen!“

      Besonders scharf drauf, bei ihm zu Hause rumzuhängen, war ich also eh nicht, weshalb ich einfach so durch den Stadtpark schlenderte. Am Fluss genoss ich die letzten Züge des Altweibersommers. Sonnenschein, vereinzelte goldene Blätter an den Bäumen, milde 20 Grad und jungen Frauen, die ihre kurzen Röcken ein letztes Mal für dieses Jahr ausführten. Nach einer halben Stunde machte ich mich auf den Heimweg.

      Noch bevor ich einen Fuß in die Wohnung setzte, roch