Markus Mayer

David Schrenker ist kein Selbstmörder!


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Abfindung oder sonst was. Einfach so. Selbst seinen Bachelor in Wirtschaftsinformatik konnte er nicht beenden, obwohl er in jeder Prüfung ohne Anstrengung eine 1,0 hatte. Der Grund dafür war eine "Unstimmigkeit", durch die er im siebten Semester exmatrikuliert wurde. Was es damit letztlich auf sich hatte, weiß wohl nur er und die Verantwortlichen an der Uni. Seine Version lautete: Ein Professor hatte ihn nach bei einem Vortrag bloßstellen wollen. Woraufhin Pascal aus dem Vorlesungssaal wetzte und wenig später mit einem zerbrochenen Besenstiel zurückkehrte. Damit verursachte er einen Sachschaden von einigen hundert Euro im Seminarraum, die er natürlich ersetzen musste. Viel schlimmer war jedoch der Ausschluss aus der Uni und die Versicherung des Dekans, dass er nie wieder auf einer anderen Universität des Landes einen Studienplatz bekommen werde… Zum Glück verletzte er niemanden, nicht mal den Professor, der ihn so gekränkt hatte. Dieser pisste sich in die Hosen, was Pascal voll süßer Genugtuung erzählte, während ich lachend bei ihm saß und im Stillen dachte, wenn ich jetzt nicht lächle, kastriert mich der Psychopath mit einem Schweizer Taschenmesser.

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Soll ich mich jetzt dafür entschuldigen, dass ich im Gegensatz zu dir, nicht nur den Mund aufreiße und große Sprüche klopfe, sondern wenn es sein muss auch mal zur Tat schreite. Man muss sich wehren gegen Ungerechtigkeiten, sonst endet man wie du, der sich jeden Abend in eine lächerliche Uniform schmeißen, jedem Arschloch entgegen grinsen, alles in sich reinfressen und dann zu Hause die lange Fresse ziehen. Nein, ich lasse meine Wut raus, wie ein Mann, genau an der Stelle, wo sie reingekommen ist und gegen die Person gerichtet, die sie ausgelöst hat.

       Ich lasse mich einfach nicht von vierzigjährigen männlichen Jungfrauen mit Wohlstandsbauch, Flaschenböden vor den Augen und keinem einzigen eigenen Gedanken im Kopf, vor die Füße pissen. Das einzige was dieser Typ mir voraus hat, ist die Position, die er nur gekriegt hat, weil im Moment kein anderer zur Verfügung stand und er halt einfach seit 10 Jahren da arbeitete. Und das tut er immer noch, weil er sich nicht traut, einmal im Leben etwas Neues zu beginnen.

      Tagebucheintrag vom 16. Juli 2009

      Es ist erst ein Tag vergangen, seit Pascal seinen Job verloren hat und schon beruft unsere Mutter eine Krisensitzung ein. Natürlich wie immer ohne Pascal.

      Sobald sie Wind von einer dieser typischen Pascal-Aktionen kriegt, will sie, dass ich vorbeikomme und ihr sowie Papa, der aufmerksam schweigend beisitzt, Aktuelles aus Pascals Leben erzähle: mit welcher Frau er gerade zusammen ist, in welchen Kreisen er verkehrt, welche Probleme er hat und so weiter. „Woher soll ich das wissen?“, sag ich ihr dann immer. Doch sie lässt mich nicht einfach so vom Haken und bohrt solange, bis ich ihr irgendwas erzählt habe. Letztendlich ist es auch wurscht, denn sie spricht Pascal ohnehin nie direkt darauf an. Sie sagt keinem von uns direkt ins Gesicht, wie wir unser Leben ihrer Meinung nach leben sollen, obwohl sie seit unserer Geburt eine genaue Vorstellung davon hat. Sie folgt in ihrer Erziehung bis heute einer Pädagogikschule, die auf den ersten Blick nach Laissez-faire aussieht, in Wirklichkeit aber emotionale Manipulation ist. Sie pflanzt uns ganz subtil ihre Erwartungen in den Kopf und hofft, dass unser Unterbewusstsein uns dahingehend ausrichtet, dass wir sie zukünftig weniger enttäuschen. Es ist nicht leicht, sie zu ertappen, denn ihre Kontrollversuche erfolgen, wie gesagt, sehr subtil.

      Mein Bruder und ich haben kein wirklich inniges Verhältnis, aber wir verstehen uns und kennen beide die Tricks unserer Mutter. Wenn sie uns dann wieder aufeinander loslässt, weil der eine dem anderen irgendwie ins Gewissen reden soll, dann durchschaut das der jeweils andere. Trotzdem reden wir darüber nicht miteinander. Vielleicht weil es so schwer zu benennen ist. Man kann es nicht wirklich greifen – es ist mehr so ein Gefühl. Vielleicht auch, weil wir nicht zu der Sorte von Söhnen gehören wollen, die über ihre Mutter lästern. Deshalb spielen wir einfach immer unser kleines Spiel, wenn irgendeiner von uns wieder Scheiße gebaut hat.

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Wovon redest du? Warst du unter Drogen, als du das geschrieben hast? Ich habe noch nie mit dir irgendein Spiel gespielt. Wenn ich dir Ratschläge gegeben habe oder dich auf den richtigen Weg geleitet habe, dann war das von Bruderliebe motiviert. Ich habe das nicht gemacht, weil unsere Mama mich beauftragte. Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass dir deine Familie hin und wieder einen kleinen Stups geben musste, weil du sonst eingeschlafen wärst.Du warst derjenige, der immer Geburtstage vergaß, nie Geschenke hatte und so weiter. Du riefst auch von dir aus nie einen von uns an, im dich zu erkundigen, wie es uns ging. Du hast gewartet, bis wir uns meldeten und deshalb gaben wir dir ab und an einen Hieb, damit du uns nicht vergaßt.

      Tagebucheintrag vom 2. August 2009

      Manchmal wundere ich mich über mich selbst: Wie abgestumpft bin ich eigentlich? Heute hat sich wieder ein recht typisches Szenario bei uns im Restaurant abgespielt. Eines das mich jedes Mal schier zur Weißglut treibt, welche ich aber nicht ausleben kann, ohne dabei meinen Job zu riskieren. Das kann ich mir aber nicht leisten, schließlich muss ich meine Familie ernähren und mein Gehalt gibt nicht so viel her, dass ich Rücklagen bilden und etwa ein Jahr lang auf der Suche nach Selbstfindung in mein Unterbewusstsein reisen könnte. Zumindest nicht, ohne dass die Menschen, die mir wichtig sind, darunter leiden. Deswegen habe ich mir diese phlegmatische Einstellung angewöhnt. Mit stumpfer Rasierklinge rasiert es sich zwar mühsamer, aber dafür sicherer.

      Vielleicht ist es einfach nur das Los, das ich im Leben gezogen habe, als ich mich gegen ein Studium entschied. Es war cool, mein eigenes Geld zu verdienen, während meine Freunde noch von ihren Eltern abhängig waren. Ich konnte mir neue Computerspiele oder bessere Klamotten kaufen, während meine Freunde immer auf das Taschengeld von Papa und Mama warten mussten. Meine Uni-Freunde haben mir damals prophezeit, dass sie irgendwann umso mehr Asche machen würden und ich hab ihnen gesagt, dass man nie wisse, was passiert und dass es mir ohnehin scheißegal sei. Inzwischen halte ich es in ihrer Gegenwart kaum mehr aus. Sie debattieren und diskutieren, theoretisieren und wissen alles besser. Mehr verdienen tun die meisten immer noch nicht, aber auch das ist mir egal. Früher war es cool, beim Pokern in der Pause oder beim Fußball am Nachmittag zu gewinnen, aber jetzt ist es anscheinend cool bei Trivial Pursuit alles zu wissen und Konzepte irgendwelcher Philosophen in den Raum zu werfen. Und ich hab so wenig Ahnung davon, dass ich nicht mal einschätzen kann, ob sie selbst Ahnung davon haben oder ob es nur Phantasieren auf Klugscheißer-Niveau ist. Trotzdem ist es mir peinlich, weil ich denke, dass sie mich für dumm halten müssen. Ein anderer (ich nenn’s mal) Freundeskreis besteht aus aktuellen Kollegen und ehemaligen Weggefährten aus der Hotellerie. Die meisten davon sind zynisch, ungebildet und launisch, nicht dumm oder einfältig – einfach nur abgestumpft. Sie unterhalten sich über die Anzahl der Shots am letzten Abend und den Spielfortschritt bei ‚Battlefield‘.

      Es langweilt mich nicht unbedingt mehr als das hochtrabende Gelaber meiner alten Freunde, aber es tut ein bisschen mehr weh. Es ist immer das Gleiche: Aufstehen, Kaffee & Zigarette, sich sauber anziehen, aus dem Haus, Kaffee & Zigarette, Gästen in den Arsch kriechen, Untergebenen in den Arsch treten, Kaffee & Zigarette, mit Kollegen über andere Kollegen lästern, Arschkriechen, Kaffee & Zigarette, mit Vorgesetzten über Untergebene lästern, Kaffee & Zigarette, Arschkriechen, mit Kollegen über Gäste lästern, Kaffee & Zigarette, Arschkriechen, mit Gästen über Kollegen lästern, Kaffee & Zigarette, ausgelaugt nach Hause, Bier & Zigarette, masturbieren, lustlos vor den Fernseher oder den Computer – virtuelle Parallelwelt = Abschalten, Fast Food, mehr zocken, mehr Alkohol, mehr rauchen, mehr zocken, einen durchziehen, masturbieren oder optional bedeutungsloser Sex (vielleicht mit Koks)… und am nächsten Tag das Ganze von vorne.

      Ich fühle mich inzwischen weder der ersten noch der zweiten Gruppe angehörig! In der ersten komme ich mir dumm und in der zweiten langweilig vor. Ich will manchmal etwas lesen. Hab mir mal „Also sprach Zarathustra“ gekauft, doch ich konnte mich nicht genug konzentrieren, um mehr als 10 Seiten durchzuhalten. Ein paar Mal aufs Neue habe ich angesetzt, aber dann lag es wieder drei Wochen im Eck und ich wusste irgendwann nicht mehr, wovon dieser Wahnsinnige überhaupt schrieb. Dann war ich, wie so oft, frustriert und hab den Playstation-Controller rausgeholt