Markus Mayer

David Schrenker ist kein Selbstmörder!


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Schrenker

       Du hattest immer ein gutes Gefühl für Menschen, deshalb wusstest du sicher auch, was Karina störte. Sie war enttäuscht, weil du sie aus praktischen Gründen und nicht aus Liebe heiraten wolltest. Zumindest kam das, deinen Schilderungen zufolge so bei ihr an. Selbstverständlich war es ihr Vorschlag, den sie mit praktischen Argumenten gefestigt hat, doch tief im Inneren wollte sie von dir hofiert werden. Jede Frau steht auf Romantik – egal, was sie sagen. Jede Frau will sich einmal im Leben als Prinzessin fühlen.

       Mir wird’s schon ganz schummerig, dass ich mich hier als Frauenversteher aufspielen muss - normalerweise ist das dein Metier. Andererseits hatte ich schon oft was mit Frauen, denen Romantik angeblich egal war. Wenn sie dann glauben, den Mann an der Angel zu haben, bröckelt die coole Fassade allmählich…

      Tagebucheintrag vom 11. November 2009

      Drei Tage sind seit der Hochzeit vergangen. Die Feier war sicher nichts Besonderes, aber zu unserer Verteidigung: Wir hatten nicht viel Planungszeit und so musste die Location, das Essen, das Kleid, die Einladungen und das ganze andere Zeug sehr spontan organisiert werden. Karina wollte so schnell wie möglich heiraten, weil ihr Bauch immer runder wurde und sie Angst hatte, in ihrem Kleid fett auszusehen. Dieses war wegen der Spontanität nicht wirklich auf sie zugeschnitten und das wurmte sie obendrein.

      Neben unseren Familien waren nur ein paar Freunde da. Keiner war besoffen, keiner fiel in den Kuchen, es gab auf unseren Wunsch hin keine Einlagen. Es war kein DJ und auch keine Band da. Stattdessen sorgten mein Laptop und Knolls Dolby Surround Anlage für die musikalische Untermalung.

      Karina legt keinen Wert auf große Zeremonien, deswegen denke ich nicht, dass sie wegen des kleinen Rahmens gereizt war. Das war sie nämlich auf jeden Fall. Ob es die Anwesenden, die sie nicht so gut kennen wie ich, merkten, weiß ich gar nicht. Ihre Stimmung könnte auch von meiner beeinflusst worden sein, die sicher auch nicht überragend war. Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen und den ganzen Tag einen auf glücklich zu machen. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass sie keinen Alkohol trinken durfte und eine alkoholgeschwängerte Atmosphäre für Nüchterne eher schwer verdaulich ist.

      Irgendwelche dummen Traditionen wie das gemeinsame Kuchenaufschneiden oder das Brautstraußschmeißen wollten wir uns eigentlich schenken, doch der Knoll und seine Freundin bestanden zumindest auf Letzteres. Wahrscheinlich hatte sie auf ihn eingeredet, weil sie den Strauß fangen wollte, was sie dann auch tat. Mich würde es nicht wundern, wenn sie ihm das jetzt als einen Wink des Schicksals verkauft, bis er nachgibt und sie wirklich heiratet, wodurch ihre erste große Mission im Leben erfüllt wäre – nämlich einen guten Versorger zu heiraten.

      Ich war froh, als der Tag endlich vorbei war. Im Bett wollte ich witzig sein und sagte zu Karina: „Merk ihn dir! Das war der schönste Tag deines Lebens!“ Sie verstand die Ironie nicht oder war zu müde – auf jeden Fall lächelte sie nicht mal, sondern verdrehte nur die Augen. Unsere Hochzeitsnacht war entsprechend leidenschaftslos: Wir schliefen beide auf unseren jeweiligen Seiten des Bettes ein. Ich fand das sicher nicht schlimm. Ganz ehrlich: Wessen Hochzeitsnacht nimmt denn schon solch märchenhafte Formen an, wie es uns Lifestyle-Blogs oder Romantikfilme vorspielen? Beide sind mindestens angetrunken, beide sind völlig ausgelaugt nach dem langen Tag, beide schwitzen und stinken unter ihrem Hochzeitszwirn, und dann macht man sich wegen den Erwartungen vielleicht noch so kirre, dass die Libido sowieso eintrocknet…

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Auch hier liest man heraus, dass die ganze Hochzeit nichts als eine Bürde für dich war. Die pure Langeweile! Zeitverschwendung! Aber wofür hättest du die Zeit denn stattdessen genutzt? Welch großes Abenteuer entging dir dadurch? Ich kenne dich, du warst nie ein vielbeschäftigter Mann. Du wolltest dich nur nicht diesem Zeremoniell aussetzen, weil du befürchtet hast, den ganzen Tag beobachtet zu werden. Und vielleicht hätte jemand bemerkt, dass du Karina in Wirklichkeit gar nicht hast heiraten wollen. Wenn ich dich beruhigen darf: Keine hat’s gemerkt. Und alle Leute, die ich gefragt habe, fanden die Hochzeit schön. Keiner fand sie so trist und langweilig, wie du sie hier darstellst. Vielleicht wolltest du dein schlechtes Gefühl den Umständen in die Schuhe schieben, weil das angenehmer ist, als die eigene Intention zu hinterfragen.

      Tagebucheintrag vom 1. Dezember 2009

      Ich wollte eigentlich gar keine Hochzeitsreise machen. „Ist doch auch nur Teil dieses ganzen gesellschaftlich erwarteten Zeremoniells“, hab ich gesagt und außerdem ist Karina fast schon im siebten Monat.

      Es sei aber schön, die Zeit, die man noch zu zweit hat, dafür zu nutzen, wenigstens für ein paar Tage wegzufahren. „Wer weiß, wann wir das das nächste Mal machen können?“ Schwer, ihr hierbei zu widersprechen, auch wenn ich es mit dem Kostenargument zumindest versuchte. Auch Theo hatte mir eine Auszeit nahegelegt, bevor ich dann in die Spätschicht wechselte – also fuhren wir für ein paar Tage nach Südtirol.

      Es war gar nicht schlecht, doch wirklich aktiv konnten wir nicht werden, weil Karina sich mit der Kugel vor dem Bauch schon recht schwer tat, aber wir haben Wellness gemacht, Filme geschaut und im Hotel gab’s echt gutes Essen. Wegen ihrer Schwangerschaft durfte sie das Saunieren nicht übertreiben, deswegen war ich einige Male auch alleine drin, während sie noch etwas gelesen oder Sudokus gelöst hat.

      Karina bekam am letzten Abend fürchterliche Weinkrämpfe, die sie am nächsten Tag auf ihre Hormone schob. Als ich ein wenig nachbohrte, gestand sie mir aber auch, dass sie mit der Hochzeit nicht glücklich war.

      „Die Stimmung war doch scheiße. Jetzt halten uns alle für unglaublich langweilig. Und sie denken, dass wir geizig sind. Oder noch schlimmer: arm. So arm, dass wir vielleicht unser Kind gar nicht versorgen können.“

      „Es sind definitiv die Hormone“, lachte ich, „denn früher hätte dich das nicht interessiert.“

      Sie verpasste mir einen auf die Brust und sagte: „Du nimmst mich nie ernst!“ Erst dachte ich, sie macht Spaß, doch anschließend wurde sie ganz still und antwortete nur noch einsilbig. Auf meine Frage, was mit ihr los sei, sagte sie: „Alles in Ordnung!“

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Es ist dein ganzes Desinteresse an der Hochzeit und allem, was damit zusammenhängt. Das nervt sie. Weil sie mit dem Kind im Bauch ein bisschen eingeschränkt ist, ist sie auf dich und deine Unterstützung angewiesen. Du denkst aber nicht daran, was sie will, sondern nur daran, wie für dich alles am bequemsten von Statten geht. Auch im Urlaub hättest du dir ein bisschen Mühe geben können. Vielleicht hat sie auf ein bisschen Romantik gehofft, eine kleine Überraschung. Vielleicht wollte sie nicht nur Filme schauen und im Zimmer rumgammeln. Vielleicht hat sie gesagt, mit der Hochzeit nicht glücklich zu sein, aber in Wirklichkeit gemeint, dass sie mit der Entscheidung, mit dir eine Familie zu gründen, nicht glücklich ist.

      Tagebucheintrag vom 11. Dezember 2009

      Diese Abteilungsleitermeetings… Das Jahr nähert sich dem Ende, bald beginnt die Winterurlaubszeit und deswegen wird jetzt nochmal „Business“ geredet.

      Die Frau Dr. saß wie immer an der Stirnseite mit gerunzelter Stirn über zusammengekniffenen Augen und lauschte den einzelnen Quartalsumsatzberichte. Jede/n der Vorträgerinnen und Vorträger durchdrang bei jedem Blickkontakt mit Frau Dr. fröstelnde Angst. Völlig unabhängig von den Zahlen, die man präsentiert und ungeachtet der Tatsache, dass sie ihn selten ausspricht, fühlt man ihren Vorwurf: „Warum so wenig?“

      Ich und die anderen älteren Hasen sind es inzwischen gewohnt. Wir können diese Meetings innerhalb weniger Tage verdauen, aber die Neuen, die werden noch die nächsten drei Wochen den kalten Atem von Frau Dr. im Nacken spüren. Sie ist höflich zu jeder und jedem, kennt unsere Namen… Aber das war’s auch schon. Ihr dezenter österreichischer Akzent verleiht ihren Aussagen einen würdevollen Elan und einen seltsamen Magnetismus. Ihre Worte haften lange im Gedächtnis und