Florian Kalenda

Eisenglanz


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du sie haben.“

      Hulda sagte, das ginge nicht, die Schnitzerei sei zu wertvoll. Isanpert drückte sie ihr in die Hand. „Es war nur ein Zeitvertreib. Sei vorsichtig, sie ist aus Birnenholz. Es wird brüchig, wenn es trocknet. Am besten reibst du sie mit Leinöl ein.“

      So kam es, dass Isanpert abends oft mit Hulda sprach. Von ihr hörte er einiges über die Männer und Weiber auf Utinga. Tietgart etwa war als Tochter eines von Utos Rosshirten geboren. Hulda hatte sie noch als ein fröhliches Mädchen erlebt, bis Rihho sie vor zwei Jahren zum Weib nahm. Seither war sie so streng. „Was soll sie machen“, sagte Hulda.

      Auch andere Mägde und Knechte wechselten nun gelegentlich ein Wort mit Isanpert. Aber weder er noch einer von ihnen hatte viel zu sagen. Seine Hauptbeschäftigung in Mußestunden blieb das Schnitzen.

      Nach ein paar Tagen fand Isanpert heraus, dass auch sein Lehrmeister Olko erzählen konnte, wenn er wollte. Es begann damit, dass Olko seinen Schüler tadelte: „Wenn du deine Waffe so tief hältst, schlitzen dich die Sachsen auf, bevor du überhaupt in die Abwehrhaltung kommst!“

      „Hast du gegen Sachsen gekämpft?“, fragte Isanpert.

      „Freilich! Das war vor“, Olko benutzte die Finger zum Zählen, „vor vier Jahren. Setz dich einen Augenblick hin, dann kann sich dein schlapper Arm ausruhen. Die Sachsen sind wilde Kerle, grässliche Heiden, die ihre Götter unter Bäumen anbeten und ihnen das Blut ihrer Gefangenen opfern. Die Eichen wachsen dann besonders hoch hinauf, sagen sie.“

      „Leben die Sachsen nicht weit von hier?“

      „Nicht so weit, wie es dir lieb sein kann. Aber es stimmt, ihr Wald grenzt nicht an unseren. Ich war damals mit dem Heer der Franken unterwegs. Der Heerführer war ein gewisser Pippin. Ja, Heerführer war er. Nicht König, wie du vielleicht meinen würdest. Stattdessen geben sie ihm die Titel Dux und Hausmeier. Er verwaltet das Reich und den Palas für einen König, den wir nicht zu Gesicht bekommen haben. Vielleicht gibt es gar keinen.

      Dieser Hausmeier hat uns gesagt, dass die Sachsen sich den Franken unterworfen haben, aber dann wieder aufsässig geworden sind. Dafür wollte er sie bestrafen.“

      Isanpert verstand nicht, warum es für einen Baiuwaren von Bedeutung sein sollte, wenn die Sachsen sich gegen diesen Hausmeier erhoben. „Warum bist du mit den Franken geritten und hast für sie gekämpft?“

      „Ich sehe, von der Heerfahrt verstehst du auch nichts. Hast du je von Agilolf reden gehört? Nur seine Nachfahren können die Baiuwaren anführen, heißt es. Dieser Agilolf war ein Franke. Na?“

      „Dann ist unser Dux“ – Isanpert stockte – „auch ein Franke.“

      „So ist es. Darum sind die Franken unsere Verbündeten. Unsere mächtigen Verbündeten. Sie sind so etwas wie ein großer Bruder, dem man besser nicht widerspricht.“

      „Ich habe keinen großen Bruder“, sagte Isanpert.

      „Lass mich ausreden, wenn du fragst! Wir müssen auf die Franken hören, wenn sie befehlen. Dieser Pippin hat im Namen seines Königs von Otilo zwei Zenturien für den Feldzug gegen die Sachsen angefordert. Zenturie, das ist römisch und bedeutet hundert Mann. Also zweimal hundert. Das ist zweimal ziemlich viel. Er hat sie bekommen. Ich war einer davon.“

      Isanpert wollte wissen, ob der Dux selbst mitgeritten war. Olko erklärte ihm, dass Dux Otilo so gut wie jeder andere springen musste, wenn der König der Franken oder sein Hausmeier es wollte. Aber nein, in jenem Jahr hatte Pippin nur die zweimal hundert Mann angefordert. Otilo war mit den übrigen Männern, darunter Uto, in die Berge gezogen, um dort die Heiden zu bekehren.

      Isanpert stellte sein stumpfes Übungsschwert einer Assel in den Weg, die auf seine nackten Füße zustrebte. „Von wem hast du Befehle empfangen, wenn der Dux nicht da war und Uto auch nicht?“

      „Wir waren dem Cotapert unterstellt. Ihm gehört viel Land im Feld, an der Ambra und an der Straße nach Augusta.“

      „Ich kenne den Grafen, er hat bei uns die Gerichtsbarkeit.“ Die Assel war ausgewichen. Isanpert fegte sie mit der Schwertspitze beiseite. „Wer ist mächtiger, er oder Uto?“

      „Uto hat mehr Rösser, Cotapert mehr Männer.“ Olko lachte und rieb sich die Hände. „Stell dir vor, der Cotapert wollte einst eine Prinzessin der Franken heiraten. Er hat sie nicht bekommen. Aber trotzdem. Pippin hat ihn nach dem Zug gegen die Sachsen mit Huben beschenkt. Reich war er schon vorher. Den Reichen folgen die Männer, denn sie haben am meisten zu geben.“

      Isanpert wollte noch mehr fragen, Olko ließ ihn aber nicht. „Wenn du irgendwann mit einem Schwert umgehen kannst, solltest du es mit den Reichen halten. Nur für sie lohnt es sich zu kämpfen. Dahin ist es noch ein weiter Weg. Auf!“

      Uto hatte zwei Söhne von Clementia, die Hildpert und Paulus hießen. Isanpert lachte über den Namen des Jüngeren. Hulda erklärte ihm, Paulus sei ein heiliger Mann gewesen. Utos Weib hatte sich den Namen gewünscht. Sie kam aus einer besonders christlichen Sippe, aus Strupinga an der Tonah. Darum hatte Clementia selbst einen so seltsamen Namen.

      Hildpert und Paulus hatten beschlossen, dass sie Isanpert nicht leiden konnten. Wenn sie ihm ohne Zeugen begegneten, spuckten sie in seine Richtung und rannten davon. Kein Tag verging, ohne dass sie ihm einen Streich spielten, eine Schnecke unter seine Decke legten oder seine Schnitzarbeit versteckten, die er achtlos auf einer Bank liegen hatte lassen. Einmal entdeckte er ein Stück faulen Apfel in seiner Gürteltasche, den er gewiss nicht selbst dort vergessen hatte. Er wusch sie aus, legte das Leder zum Trocknen in die Sonne und dachte nicht mehr daran. Obwohl sie nicht die einfache, freundliche Art von Deso hatten, waren es Kinder.

      Es gab auch eine Tochter, ein lebhaftes rothaariges Mädchen namens Waltrut. Sie war schon volljährig. Mit wem man auch sprach, alle sagten, es sei Zeit, dass Waltrut heirate.

      Auf Utinga war es üblich, jeden Sonntag frühmorgens die Messe zu hören. Die Kirche stand mitten auf dem Hof. Uto und Clementia hatten einen eigenen Priester. Der kleine, schwarzhaarige Mann hieß Maximinus. Den Namen trug er erst seit der Weihe. Er war ein Freigelassener. Uto war für seine Ausbildung aufgekommen. An den Sonntagen predigte Maximinus. Unter der Woche half er seinem Herrn. Weil er rechnen, lesen und schreiben konnte, führte er Aufzeichnungen über die tausend Rösser, neugeborenen Fohlen und alle Verkäufe. Fast täglich kamen Männer, um Rösser zu kaufen oder zu ertauschen.

      Jeder am Hof musste die Messe besuchen. Gespräche wurden getadelt. Isanpert stand in der letzten Reihe, wie er es von Sankt Martin zu Piparpah gewohnt war. Von hinten konnte er die anderen beobachten. Neben ihm döste Muto an die Wand gelehnt.

      Die lateinischen Gebete hörte Isanpert gern. Ihm missfiel nur, dass er nicht vor den Herrgott treten durfte, wie er war, sondern am Vorabend baden musste. Dann stellten die Mägde vier große Holzzuber in den Hof, oder, falls es regnete, ins Wohnhaus. Zuerst waren die Herrschaften an der Reihe. Immer wieder brachten die Leibeigenen in Holzeimern Wasser herbei, das sie in einem vom Herdfeuer umgebenen Kessel erwärmt hatten. Anschließend badeten die freien Männer, darunter Rihho und alle Krieger, die an Utos Hof lebten, mit ihren Weibern und Kindern.

      Isanpert badete mit den Knechten, wenn das Wasser längst kalt war und grau und nicht mehr nachgefüllt wurde. Er richtete es so ein, dass er als Letzter an die Reihe kam. Dann war er unbeobachtet und konnte sich aufrecht in den Zuber stellen, statt sich hineinzulegen. Das Wasser reichte ihm auch so bis über die Knie. Er goss sich einige Handvoll über Arme und Beine, Leib und Hals und Gesicht. Das reichte, wie er fand. Wenn er Pech hatte, kam Tietgart vorbei, nannte ihn einen Schmutzfink und schüttete ihm einen Eimer des kalten Wassers über den Kopf. „Die Haare müssen sauber werden“, behauptete sie, „sonst weint der Herr im Himmel.“

      Isanpert gewöhnte sich an alles, an das Baden und das Beten, die Platzkämpfe mit Muto und die Streitereien mit Rihho, die Übungen mit Olko und die abendlichen Gespräche mit Hulda, die nicht hübsch, aber freundlich war. Er gewöhnte sich daran, dass ihn Clementia übersah, so gut sie es konnte, wenn er auf Rihhos Befehl Feuerholz ins große Haus brachte. Er wusste nach zwei Wochen, wie er jeden zu nehmen hatte. Nur Waltrut blieb ihm ein