Florian Kalenda

Eisenglanz


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      „Aber immer noch kalt.“

      „Du warst vorhin beim Verhör.“

      „Und jetzt suchen sie mich.“ Isanpert lachte leise.

      Sie sahen den Regentropfen zu, die auf ihre nackten Füße fielen. Sie hörten Weiber jammern, Männer beten. Kinder wurden weggescheucht. Cotapert gab Befehle. Seine tiefe Stimme übertönte alle. Er sandte Männer aus, Isanpert zu suchen. Es war das erste Mal, dass er den Namen nannte. Weit könne der Kerl nicht sein, fügte der Graf hinzu.

      Die Stunden vergingen. Sie schwiegen. Es konnte jemand in Hörweite vorbeigehen. Ein Knecht mit bloßen Füßen machte im Gras keinen Lärm. Sie lauschten.

      „Bist du ein Räuber?“, fragte Isanpert leise.

      „Was sie Räuber nennen“, sagte Firko verächtlich, als wisse er es besser. „Und du? Hast du einen erschlagen?“

      „Ich kann es selbst nicht glauben.“

      „Wir haben genommen, was wir brauchten. Im Wald war es besser als im Kloster. Filipert kümmert sich um seine Männer.“

      „Zuvor warst du allein im Wald. Allein mit den Wölfen.“

      „Die Wölfe habe ich gehört. Ich habe hinter Dornen geschlafen, damit sie nicht zu mir kamen. Mein Bruder sagt, sie greifen keine Menschen an, wenn es Wild zu jagen gibt.“

      Nach einer Pause fragte Firko: „Warum hast du ihn erschlagen?“

      „Ich habe meine Mutter beschützt, wie der Dux es mir befohlen hat.“

      Es raschelte, draußen ging einer nahe vorbei. Es rumpelte. Er suchte Werkzeug im Schuppen nebenan. Unwillige Laute ließen vermuten, dass er nicht fand, was er benötigte. Später kicherte irgendwo eine Magd. Als es zu regnen aufgehört hatte, rief ein Hahn.

      Erneut näherten sich Stimmen. „Er scheint ein Alamanne zu sein. Gehen wir hier hinüber.“ Es war die tiefe Stimme des Grafen. „Hast du je gehört, ob ein Mann namens Filipert in Condistat war? Kann er etwas von dem Hort wissen?“

      „Nicht hier“, sagte der Mann, mit dem Cotapert sprach. Isanpert zuckte zusammen, als er die Stimme hörte. „Dort drin liegt der Gefangene. Lass uns weiter nach drüben gehen.“

      „Und wenn“, sagte Cotapert.

      „Der Dux könnte ihn holen lassen“, erwiderte der andere.

      „Der Dux hat ihn mir überlassen“, widersprach Cotapert. „Er wird nicht …“ Der Rest des Satzes blieb unverständlich. Die beiden Männer entfernten sich.

      Als er sie außer Hörweite wusste, fragte Firko: „Wer war der Mann, mit dem der Graf gesprochen hat?“

      „Ich glaube, es war Dagoprant.“

      „Wer ist das?“

      „Der dicke Mann. Er ist außer meinem Vater der Einzige, der gesehen hat, wie ich mich hier drin versteckt habe.“

      „Oh“, sagte Firko. „Er hat dich nicht verraten. Von welchem Hort reden sie?“

      „Ich weiß es nicht. Wo ist Condistat?“

      „Ich weiß nicht. Aber das weiß ich, Filipert war tatsächlich an diesem Ort. Irgendetwas ist dort geschehen. Vielleicht gab es eine Schlacht. Filipert redet manchmal davon. Wenn du zum Beispiel sagst, dass etwas ungerecht ist, sagt er Dinge wie: Nach Condistat gibt es weder Recht noch Gerechtigkeit.“

      „Merkwürdig.“

      Firko nickte. „Kannst du meine Fesseln lösen?“

      „Willst du davonlaufen?“

      „Was sonst.“

      „Erst in der Nacht, wenn ich weg bin.“

      „Versprochen.“

      Isanpert löste die Knoten. Er brauchte lange. Seine Finger waren vor Kälte steif. Hucwalt hatte die Schnur festgezogen.

      Firko dankte leise, kniff sich, rieb sich die Arme und Beine, streckte sie vorsichtig aus, stemmte sie in den Boden. „Wir fliehen gemeinsam.“

      Isanpert schüttelte den Kopf. „Uto wird mich holen. Er ist mein Vater. Wenn er kommt, tu so, als wärst du noch gefesselt.“ Er griff in seine Gürteltasche und zog Fleisch heraus. „Aus Cotaperts Küche.“ Er gab Firko das größere Stück.

      Nachdem er gegessen hatte, tastete Firko im letzten Licht des Tages die Wände ab. An vielen Stellen lag das Flechtwerk frei vom abgebröckelten Putz, an einer war sogar ein Loch. Wenn man das Auge davor legte, sah man in kurzer Entfernung die Wand des Nachbargebäudes. „Wir vergrößern das Loch, bis wir durchpassen. Der Lehm ist feucht und das Geflecht morsch.“

      „So machen wir es. Wenn Uto nicht kommt.“

      „Anschließend müssen wir über den Pfahlzaun klettern.“

      „Irgendwo werden Leitern sein. Sie brauchen welche, um die Dächer auszubessern.“

      Die Nacht fiel. Im Hof brannte ein großes Feuer, knisterte und knackte und verbreitete den Geruch von Harz. Irgendwann verlosch sein Schein. In den Häusern wurde es ruhig.

      Firko griff sich ein schweres Stück Holz, um den lehmigen Putz von der Wand zu schlagen. Es mochte der Rest eines Dachbalkens sein.

      „Du wirst Krach machen“, sagte Isanpert.

      Firko hob die Schultern. „Ich muss klopfen.“

      Isanpert schüttelte den Kopf und hob einen Weidenast vom Boden auf. „Kratz damit. Das ist leiser.“

      Firko sagte nichts, aber er tat wie geraten. Mit der ungeschickten linken Hand führte er den Weidenstock. Er kratzte und schabte und bohrte in den Lehmputz hinein.

      Isanpert sah zu, wie das Loch größer wurde.

      Schnaufend hielt Firko inne. „Jetzt du.“

      Isanpert blickte zur Tür, hob die Achseln. Er nahm das Holz und setzte Firkos Arbeit fort. Bald konnte er den Kopf durch das Loch stecken. Rechter Hand erahnte er ein Eck des Hofs. Es war leer und dunkel.

      Erst kratzten und schabten sie wechselweise, dann gemeinsam, denn das Loch war nun breit, sie konnten gleichzeitig die Ränder erweitern. Firko stöhnte bisweilen leise, klagte aber nicht über seine Verletzung. Allerdings überließ er es Isanpert, das unter dem Putz freigelegte Weidengeflecht mit den Händen zu entfernen.

      Isanpert riss und zog an den Zweigen. Einige lösten sich, andere brachen. Wieder andere hingen herunter wie ein Vorhang. Firko versuchte hindurchzuschlüpfen. Die Öffnung war nicht groß genug. Sie schimpften fast unhörbar und arbeiteten weiter.

      „Das muss reichen“, sagte Firko schließlich. „Die Nacht ist schon halb herum. Haben sie einen Hund da draußen? Am Nachmittag habe ich einmal ein Bellen gehört, aber dann nicht mehr.“

      „Es gibt einen großen, alten Hütehund.“ Isanpert dachte nach. „Wahrscheinlich schläft er. Sonst hätte er uns längst gehört und wäre hergekommen.“

      „Kennt er dich?“

      „Er hat mich heute Morgen fast zerfleischt.“

      „Gut, dann geh du zuerst hinaus und schau dich um.“

      „Wenn du kommen kannst, rufe ich wie ein Käuzchen.“

      „Besser nicht“, sagte Firko. „Sie würden gleich denken, dass du das sein musst.“

      Isanpert kroch durch das Loch. Auf der anderen Seite der Wand richtete er sich auf und sah zum Himmel hinauf. Der Regen war nicht zurückgekommen. Er stand in dem engen Durchgang zwischen dem alten und dem neuen Werkzeughaus. Vorsichtig schlich er zum Eck, blickte sich um, umrundete das Haus, ohne im Mondlicht eine Leiter zu sehen, wie er gehofft hatte. Vorne, auf der freien Fläche, glomm ein Rest Glut. Daneben glänzte dicht über dem Boden ein Helm. Eine eingeschlafene Nachtwache lag im Gras.

      Isanpert