Florian Kalenda

Eisenglanz


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hatte, zurück zu ihren Sippen und Äckern und Viehherden, zur Ernte, die eingebracht, in die heimischen Wälder, die als Wintervorrat abgeholzt werden mussten.

      Sie hatten Frigisinga noch nicht erreicht, da trat ihnen ein Bote entgegen. Der Bischof der Burg Batava sandte nach dem Dux mit der Bitte, einen Streit um eine Kirche zu schlichten. Also eilte Otilo nach Osten. Die Befragung des Gefangenen übertrug er seinen Männern, die du hier versammelt siehst.“

      Dagoprant verstummte. „Siehst du“, sagte Liutker zu Otker.

      „Wie kannst du so darüber sprechen“, fragte Otker, „wenn du es nicht gesehen hast?“

      „Ich habe euch zugehört“, sagte Dagoprant. „Den einen höre ich zu und den anderen erzähle ich, was gesagt wurde. Männer auf ewig zum Schweigen zu bringen, das ist nichts für mich. Ich lausche ihnen lieber, oder ich lasse mich zu einem Mahl einladen und singe ihnen vor.“

      „Du hast es erzählt wie eine alte Heldengeschichte, dabei ist es erst gestern geschehen“, sagte Liutker.

      „Ob alt oder neu, das macht keinen Unterschied. Vor Troia damals oder bei Kudruns Brautnacht war ich auch nicht dabei, und doch kann ich euch alles darüber berichten.“

      Isanpert bewegte ungeduldig die Füße. Uto war nicht zu sehen, und dann strich auch noch der große Hund um ihn herum. Das Tier schnupperte an der Gürteltasche, die nach Essen roch, weil es Isanperts Gewohnheit war, stets ein Stück Brot oder Fleisch mit sich zu führen.

      Dagoprant sah seine Not. „Das ist eine bissige Bestie, die sie für die Bärenhatz einsetzen. Mit Wildschweinen nimmt er es auch auf. Einmal hat Hucwalt einen Eber mit dem Speer verfehlt, da hat ihm der Hund die Haut gerettet.“

      „Das war ein Frischling“, sagte Martilo. „Weil er so klein war, hat Hucwalt ihn verfehlt.“ Auf den Gedanken, den Hund wegzuschicken, kam er nicht.

      Endlich trat Uto aus dem größten der Häuser von Mohinga, in Begleitung von Cotapert, dem er in irgendeiner Sache mit erhobener Hand widersprach. Sie waren selten einer Meinung.

      Utos Namen rufend eilte Isanpert hin. Er war froh, dem Hund zu entkommen. Dass er Cotapert mitten in einem Satz unterbrach, merkte er nicht.

      Der Graf hielt inne, stützte sich auf seine Lanze und kniff missbilligend ein Auge zusammen. Zu Uto sagte er: „Hat dieser Kerl nicht gelernt, wann er reden und wann er schweigen muss?“

      „Leider nicht“, sagte Uto.

      Cotapert strich sich über den grauen Bart und schlug Prügel als Maßnahme vor, brach die Rede jedoch ab, als er einen Reiter im Tor sah. Hucwalt kehrte von seiner Suche zurück.

      Seinen Bruder Fritilo hatte Hucwalt nicht gefunden, obwohl er eine gute Strecke geritten war, wie er seinen Verwandten zurief. Diesmal lachte er nicht, hatte vielmehr eine tiefe Falte auf der Stirn. Während er der Aufforderung seines Vaters folgte, zur Halle zu kommen, rieb ein Knecht das Ross trocken.

      Isanpert nutzte die Unterbrechung, um Uto zu sagen, er habe eine dringende Nachricht von Gudo. Uto erschrak. „Es ist hoffentlich niemand gestorben?“

      „Gestorben?“ Isanpert schwankte. Hucwalt und Cotapert standen zwei Schritte entfernt. „An der Krankheit? Nein ... die Übelkeit ist abgeklungen. Es geht ihnen wieder ganz gut … und Mutter … liegt im Bett und ruht sich aus.“

      „Dann bin ich beruhigt“, sagte Uto. „Über das andere werden wir nachher sprechen.“ Er legte Isanpert die Hand auf die Schulter. Aus wolkenverhangenem Himmel fielen die ersten Tropfen Regen. „Du wartest auf mich. Wenn du dich dort in dem Schuppen unterstellst, wirst du niemanden stören.“

      „Entschuldige, Uto.“ Dagoprant wedelte mit den Händen. „Ich habe Isanpert erlaubt, der Versammlung beizuwohnen. Zwing mich bitte nicht, mein Versprechen zu brechen.“

      „Seit wann entscheidest du auf Mohinga, Dagoprant?“, fragte Uto scharf.

      „Oh, ich gebe nur Rat.“ Dagoprant hob die Hände ein Stück höher. „Er wird still in der hintersten Reihe hocken.“

      „Still? Du kennst ihn nicht.“

      „Er hat es mir versprochen. Er macht keinen Laut, wenn ich ihn nicht dazu auffordere.“

      Drinnen wartete ein Dutzend Männer auf sie. Uto nickte grimmig. Isanpert schlüpfte als Letzter in die Versammlung hinein.

      Das Verhör

      In anderen Siedlungen kamen die Männer im Wohngebäude zusammen, aber Graf Cotapert hatte eine Halle bauen lassen, wo man trank, tafelte und sich besprach. Betten standen nicht darin. Wenn Männer mit großem Gefolge zu Gast waren, konnten ihre Leute die Nacht auf dem Boden im Trockenen verbringen. Sonst schlief hier nur, wer nach einem Gelage einfach liegenblieb.

      An diesem Morgen war nichts zu sehen von den langen Tafeln, auf denen an den Abenden der saftige Braten und das fette Kraut hereingetragen wurden. In einer Ecke standen die kreuzförmigen Untergestelle, die Schragen hießen. An den Wänden hingen die bunt bemalten runden Schilde Cotaperts, Hucwalts und ihrer Männer. Waffen waren in der Halle nicht erlaubt.

      Kaum zwanzig Männer saßen auf den bloßen Bänken, dazu Tassilo, der Sohn des Dux, den Isanpert in der ersten Reihe erspähte. Cotaperts mit einem strohgestopften Kissen gepolsterter Stuhl stand am Kopfende, wo der Lehmboden höher aufgetragen war, sodass der Graf über alle hinwegblicken konnte. „Wie in einer Kirche“, flüsterte Isanpert Uto zu, der ihn mit einem Blick zum Schweigen brachte.

      Es war üblich, dass kein Mann des Stammes Entscheidungen allein traf, er konnte vermögend und einflussreich sein, wie er wollte. Alle Stimmen mussten in einer Versammlung gehört, alle Entscheidungen begründet und gutgeheißen werden. Cotapert erhob sich, um der Sitte zu entsprechen.

      „Gott gebe uns seinen Segen“, sagte er. „Unser Heerführer Otilo hat uns seinen Sohn Tassilo anvertraut, und einen Gefangenen zum Verhör. Wir wollen uns dessen würdig erweisen. Lasst Tassilo eure Klugheit sehen. Wie sollen wir vorgehen? Wer soll das Verhör führen? Sprechen wir uns ab, bevor ich den Burschen herbringen lasse.“

      „Hängt ihn ans Pfahlwerk“, rief einer, „damit alle sehen, was wir mit friedlosen Männern machen!“

      Dem Rufer hatten Räuber im Frühjahr zwei Schafe genommen und die Magd geschändet. Zwar stand nicht fest, ob es die Bande des Filipert getan hatte, aber das war dem Betroffenen gleichgültig. Blut musste fließen, Rache genommen werden.

      Er fand keine Unterstützer. „Erst bring die Ernte ein, dann pflüge das Feld neu, nicht umgekehrt“, sagte ein anderer Mann. Ein Toter könne nichts erzählen.

      Dann sprach Hucwalt. „Es ist einfach. Wir müssen wissen, wo sie stecken, um sie in ihrem Lager zu überraschen und niederzumachen. Lasst mich ihn verhören. Er wird reden.“

      Einige lachten grimmig. „Es wird besser für ihn sein“, rief einer.

      Uto stand auf. Umsicht sei vonnöten, sagte er. „Es gibt Hinweise, dass dies keine gewöhnliche Räuberbande ist. Wenn sich Friedlose im Wald zusammenrotten, so niemals in großer Zahl. Ein Dutzend wäre viel. Wenn die Berichte stimmen, hat dieser Filipert drei Dutzend Männer bei sich, nicht weniger als Cotapert hier zu Mohinga. Wie hat er so viele bewegt, ihm zu folgen?“

      „Wenn eine Kuh lostrottet, folgt die Herde“, warf einer ein, der als freier Mann mit einer großen Herde an der Ambra siedelte. Uto wies ihn darauf hin, dass in diesem Fall jeder Anführer ein Rind sei, einschließlich Otilos. Der Mann wurde rot und schwieg fortan.

      „Vielleicht ist dieser Filipert nicht irgendein davongelaufener Verbrecher“, gab Uto zu bedenken. „Vielleicht stammt er aus einer namhaften Sippe. Es gibt Berichte, dass er nicht wie ein Baiuware spricht. Vielleicht hat er seine Männer mitgebracht, vielleicht wurde er vertrieben. Wir wissen es nicht. Der Gefangene kann uns Hinweise geben. Selbst wenn er nicht zur Bande gehören sollte“, sagte er mit einer Wendung zu Martilo hin, „hat er sie vielleicht belauscht. Er wird uns das eher gestehen, wenn wir ihn nicht bedrohen.“