Florian Kalenda

Eisenglanz


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      „Das soll mir recht sein“, sagte Gudo. „Du wirst ihn morgen früh noch in Mohinga antreffen. Ihn und Uto. Auch Uto muss wissen, was geschehen ist.“

      „Ausgerechnet auf Cotaperts Hof“, sagte Isanpert. „Was tun sie dort?“

      „Sie wollen den Gefangenen befragen“, gab Gudo zurück. „Am Morgen wirst du sie gewiss noch antreffen. Gib acht, dass Cotapert dich nicht hört. Und vor allem nicht Hucwalt. Sonst wird es dein letzter Tag auf Erden sein.“

      Mit tiefer Überzeugung stieß Isanpert aus: „Der Dux wird mich vor Hucwalts Rache schützen.“

      „Das glaube ich kaum“, sagte Gudo. „Vielleicht kann Uto dir raten, wo du dich verbergen kannst.“

      „Ich habe keinen Grund, mich zu verstecken“, sagte Isanpert.

      Fett lagen die Graupen auf dem Löffel. Ein weiteres Mal schob Gudo ihn in den Mund. Außer ihm und Deso hatte noch keiner von der Suppe gegessen.

      Gudo kaute und schluckte und legte dann den Löffel ab. „Wie es auch gehen mag, beeile dich und denk daran, dass Engilpert und ich morgen ebenfalls nach Mohinga fahren. Über Mittag werden wir den Leichnam hinbringen, damit sie ihn begraben können, solange sie ihn noch erkennen.“

      Als Isanpert auf sein Lager fiel, war er müde und erschöpft. Dennoch schlief er unruhig. Noch vor der Morgendämmerung machte er sich fertig.

      Gisla war schon wach. „Du hast es gestern recht gemacht“, sagte sie.

      Er sah ihr verwundert zu, wie sie ihm einen Rest Suppe hinstellte, den sie aufgewärmt hatte, und einige getrocknete Apfelscheiben. Auch riet sie ihm, bis Sonnenaufgang zu warten, der Wald sei nachts voller Ungeheuer, aber er sagte, er fürchte sich nicht vor den Teufeln, von denen sie spreche, und gegen Wölfe habe er seinen Speer. Dann ging er.

      Der Nachthimmel war voll schwarzer Wolken. Sie versteckten die Sterne und kündigten einen regnerischen Tag an. Bald schimmerten sie grau im fahlen Schein der Morgensonne. Noch fiel kein Tropfen. Ein eisiger Wind blies Isanpert entgegen, griff ihm in die Haare und unter den dünnen Kittel, der sein einziger Schutz war. Er lachte und breitete die Arme aus.

      Wie Isanpert nicht zu Wort kam

      Graf Cotapert war alt geworden, sagten die Männer. Er hielt sich aufrecht mit Hilfe eines langen Speers, einer Lancea, die er immer bei sich hatte. Sein Bart war grau, die Haare auch, nur die Augenbrauen hatten ihre schwarze Farbe behalten. Weit über vierzig Ernten hatte er einfahren gesehen.

      Die Sommer hatte er freilich nicht mit Feldarbeit, sondern im Sattel verbracht. Er war schon mit den Herzögen Hucpert und Grimoalt geritten. Er brüstete sich, sie vor Fehlern bewahrt zu haben, die sie das Wohlwollen der Männer des Stammes gekostet hätten. Jetzt stand er Otilo in gleicher Weise zur Seite.

      Im Sattel saß Cotapert noch fest, aber das Kämpfen überließ er den Jüngeren. Sein Sohn Hucwalt tat sich auf dem Schlachtfeld hervor. Mit Ehrfurcht sahen die Männer auf Hucwalts dicke Arme, wenn er das Schwert schwang. Hinter seinem Rücken spotteten sie: Einen Stammhalter brachte dieser Hucwalt nicht zustande.

      Keiner von Cotaperts Söhnen hatte einen Sohn. Der alte Graf litt darunter. „Einen Enkel mit meiner Nase“, sagte er einmal, als er an der Tafel des Dux mit den ersten Männern des Stammes zusammensaß, „würde ich gern heranwachsen sehen.“

      Die Mohingara waren für ihre Nasen bekannt. Lang und schmal wie sein Speer war Cotapert Nase. Kurz über dem Mund endete sie spitz. Genauso Martilos, trotz dessen Kleinwüchsigkeit, und auch Fritilos. Nur Hucwalts Nase war seit einer Rauferei krumm.

      Streng wie diese Nase war Cotapert und überaus gottesfürchtig. Er hatte in seinen Siedlungen Kirchen bauen und Priester ausbilden lassen, damit seine Männer und Knechte fromm leben und dereinst ins Himmelreich kommen konnten. Dort würde er sie wiedertreffen, hoffte er, denn auf der Gebetsliste seiner Kirchen stand er weit vorne. Er hatte sogar an erster Stelle gestanden, bis jüngst, da der neue Bischof Joseppus es verbot, den Stifter vor dem Papst und dem Dux zu nennen.

      Seine Kirche zu Mohinga widmete Cotapert, der als Graf in seinem Gau stellvertretend für den Dux das Recht sprach, dem Heiligen Petrus, dem himmlischen Richter. Für die Kirchenstiftung zu Piparpah aber wählte er den Heiligen Martinus Turonensis als Beschützer. Das gefiel nicht jedem unter Otilos Männern. Dieser Heilige hatte mit seiner Wunderkraft die Franken zum ersten der Stämme gemacht, sie vor die Baiuwaren gesetzt.

      Cotapert hielt es mit den Starken. Oft war er am fränkischen Hof gewesen. Manche alten Männer wussten noch zu erzählen, dass er einst nach der Hand einer Schwestertochter der Haushofmeister gestrebt hatte, einer gewissen Adalgundis. Der Dux und Hausmeier Karl, der Sieger über die Mauren, sei seiner Werbung zunächst gewogen gewesen. Am Ende wurde nichts daraus.

      Auch Cotaperts Söhne verbrachten Jahre an fränkischen Pfalzen, wo ein Haushofmeister für einen Schattenkönig herrschte. Hucwalt wäre ohne fränkische Lehrmeister, ohne seine von Franken geschmiedete Spatha nicht der erste der Stammeskrieger geworden. Martilo lernte im Westen das Handwerk, Schmuck aus leuchtendem Gold zu formen. Und Cotaperts jüngster Sohn Fritilo, den der fromme Eifer des Vaters zu einer Kirchenlaufbahn bestimmt hatte, war am Kloster Gemedico in die Geheimnisse der Sakramente ebenso wie der lateinischen Grammatik eingeweiht worden, bevor er zurückkehrte, um Kirchengut an Ambra und Isura zu verwalten.

      Mohinga an der Ambra war eine von zwei Siedlungen, die Cotaperts Sippe selbst bewohnte. Den Fluss setzte man dem Namen hinzu, um es von dem anderen Mohinga zu unterscheiden, das sich auf dem Feld befand. So hieß die leicht zu bewirtschaftende Ebene zwischen den Bergen und dem Wald.

      Feld-Mohinga war reich und ruhig. Cotaperts jüngerer Bruder Ruodpert mehrte dort mit Geschick die Erträge. Die Siedlung an der Ambra hingegen stand für Unwägbarkeiten und Gefahren. Von hier aus konnte man dem Wald neues Land abgewinnen, Männer ansiedeln, seinen Reichtum mehren. Hier gab es schwere Arbeit für die starken Arme der fremden Knechte, die früher Cotapert und jetzt Hucwalt jährlich vom Sommerfeldzug mitbrachte. Von hier aus konnten die Mohingara ihre zahlreichen Huben und Dörfer an Ambra, Clana und Ilma beaufsichtigen. Dieses Mohinga lag auf dem ersten sanften Hügel am Rand der fruchtbaren Ebene vor einer dunklen Wand aus Bäumen.

      Als Isanpert den Ort erreichte, hatte die Morgensonne noch längst nicht alle Nebelfetzen vertrieben. Er wusste, Gudo kam bisweilen hierher, um Geschäfte zu machen. Wie alle Grafen, die Dux Otilo nach fränkischem Vorbild eingesetzt hatte, sprach Cotapert im Lauf des Jahres an unterschiedlichen Orten seines Gebiets das Recht. Mohinga an der Ambra war einer davon. Der Gerichtstag verband sich mit dem größten Markt der Gegend. Es wurde gehandelt, getauscht, gekauft und verkauft, was sich einer nur wünschen konnte. Salz und Tonwaren gab es, auch Vieh und Pferde, zahme Vögel, schöne Mägde und kräftige Knechte aus allen Heidenstämmen. Die Leute kamen zu diesem Anlass nicht nur aus sämtlichen Rodungsorten der Gegend, sondern selbst aus Augusta Vindelicum herbei.

      Mohinga war durch ein hohes Pfahlwerk gegen Feinde und wilde Tiere geschützt. Das Tor zur Siedlung stand offen, wie es tagsüber der Brauch war, wenn man nicht gerade Feinde in der Nähe vermutete. Allerdings verwunderte es Isanpert, dass kein Wächter ein Auge darauf hatte.

      Unbehelligt trat er hindurch und ließ seinen Blick über die Gebäude wandern. Neben Wohnhäusern für den Herrn, seine Männer und das Gesinde machte er ein Webhaus ebenso aus wie eine Schreinerwerkstatt. In beiden wurde gearbeitet. Auch im Hof sah er Männer und Weiber schnitzen, waschen, Latten sägen, Teig kneten, Windeln wechseln, Kinder schlagen, Leinen falten.

      Etliche Bewaffnete standen müßig vor dem größten der Häuser. Isanpert entdeckte Tassilo, den jungen Sohn des Dux. Seine Leute bewachten ihn, schienen ihm aber wenig zu sagen zu haben. Ihre Blicke begegneten sich. Isanpert nickte. Tassilo lächelte.

      Tassilos Vater, Dux Otilo, war nirgends zu sehen, ebenso wenig wie Uto. Auch Hucwalt erblickte Isanpert in keinem der Kreise, die auf dem Hof zusammenstanden.

      Nun eilte doch noch ein Torwächter heran. Es war ein vernarbter Krieger, dem einige Zähne fehlten. Ein Schneidezahn ragte umso