Florian Kalenda

Eisenglanz


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sie fortan beten. Sie beteten, der Husten möge nachlassen, um ein wenig schlafen zu können. Doch die folgende Nacht war schlimmer als die vorherige. Firko, seine Brüder und seine Schwester wurden die Beine taub. Bald bluteten ihre Knie. Aufzustehen war ihnen streng verboten.

      In dieser Nacht schwor die Mutter dem Herrgott einen Eid, wenn er den Vater gesund mache, werde sie ihren Jüngsten ins Kloster geben, zu den Mönchen, die am Grab des heiligen Emmeram ein gottgefälliges Leben führten. Der jüngste Sohn war Firko.

      Der Herr im Himmel erhörte die Mutter. Der Husten ließ nach, das Fieber ging und der Vater gesundete.

      „Gelobt sei Gott“, ließ Cotapert an dieser Stelle hören. Doch gleich verdüsterte sich seine Stirn wieder. Firko berichtete von Nöten, die er im Kloster ausgestanden habe.

      Er sei dort ein Gefangener gewesen, sagte er. Buchstaben sollte er lesen, das seien jene Striche und Haken, die auf geheimnisvolle Weise zu Wörtern würden, wie sie jeder in den Mund nehme. Gesungen wurde mehrmals täglich, und Latein musste er studieren, während draußen heiter die Sonne schien und der Fluss glänzte.

      Immerhin gebe es im Kloster einen Kräuter- und Gemüsegarten, sagte Firko. Er habe sich mit den lateinischen Namen der Pflanzen schwergetan, aber keiner der Brüder habe so gründlich das Erdreich umgewälzt wie er. Das habe ihm gutgetan. Allerdings sei es der Bruder Waltrich gewesen, dem der Garten unterstand. Wenn man mit diesem Bruder allein war, sei es unangenehm gewesen, sagte Firko.

      Graf Cotapert unterbrach: „Dann bist du davongelaufen?“

      Firko nickte.

      Cotaperts Augenbrauen zogen sich zu einer dunklen Wolke zusammen. „Eine merkwürdige Art, Gott für seine unergründliche Gnade zu danken. Er hat ein Wunder gewirkt, um deinen kranken Vater ins Leben zurückzurufen!“

      „Erlaube, Cotapert“, sagte Uto, „lass den Gefangenen seine Geschichte zu Ende erzählen.“

      Firko senkte den Kopf. „Mehr gibt es da nicht. Für ein Kloster eigne ich mich nicht. Ich bin zu dumm für Latein und Biblia und so etwas. Ich habe es nicht ausgehalten.“

      Vor einigen Wochen sei er den Mönchen davongelaufen, sagte er. Aus Angst vor Verfolgern habe er sich möglichst weit weg von den steinernen Mauern der Burg im Wald versteckt. Nein, einen Namen habe der Ort nicht. Er habe Rinden, Beeren und Gräser gegessen, auch Eier und die Vögel, die er fing.

      Cotapert ging es zu langsam voran. „Im Wald bist du auf Filiperts Bande gestoßen“, donnerte er. „Du hast dich ihnen angeschlossen. Du hast mit ihnen gestohlen und geraubt, gemordet und geschändet, die Kirche gehöhnt und dem Teufel geopfert! Gib es zu!“

      Firko blieb stumm.

      Uto hob die Hand, um Cotapert zu beruhigen, und fragte sanft weiter: „Haben Filiperts Leute dir zu essen gegeben? Dich an ihrem Feuer sitzen lassen?“ Da Firko nichts sagte, fuhr er fort: „Woher stammt dieser Filipert? Wie viele Männer hat er um sich?“

      Der Redefluss des Gefangenen war versiegt. Er saß zusammengesunken auf dem Hocker, versteckte sich unter den eigenen Armen.

      „Mir reicht es“, sagte Cotapert. Er lehnte sich auf seinen langen Speer. Seine Stimme bebte. „Ich habe diese abscheuliche Geschichte mit angehört, wie der Teufel einen jungen Menschen aus den Armen Gottes entführt und in die Wildnis lockt.“ Er schüttelte den Kopf, um den Alptraum zu vertreiben. „Es war scharfsinnig von dir, Uto, wie du seine Tonsur erkannt hast. Und erst recht die Sache mit dem Vogelschrei.“ Er nickte in Richtung der hintersten Bank, wo Isanpert saß. „Das alles war hilfreich, und ich danke dir dafür, auch im Namen von Dux Otilo und seines Sohnes Tassilo. Ja, Uto, du hast den Nachweis für die Schuld dieses Mannes erbracht. Rücksicht ist nicht mehr nötig. Ich werde die Befragung fortführen.“

      Uto blickte hilfesuchend zu Dagoprant, der stumm blieb. Da hob er bedauernd die Hände und setzte sich.

      Cotapert stand auf seinen Speer gestützt vor Firko. Seine eindringliche Rede wurde mit jedem Wort lauter. „Im Kloster des heiligen Emmeram hast du dich gefangen, ja gepeinigt gefühlt. Wenn ich hier mit dir fertig bin, wirst du es dort geradezu gemütlich finden.“

      Der Gefangene sprang auf, trotz seiner gebundenen Hände. Er war ein kräftiger Kerl, groß gewachsen. Mit Hucwalt und dessen Faust rechnete er nicht.

      Firko stürzte auf den Boden. Er wand sich vor Schmerz und hielt die Hände schützend vors blutende Gesicht. Hucwalt trat ihn in den Unterleib. „Wenn du uns nicht sagst, wer dieser Filipert ist und wo wir ihn finden, wirst du mehr verlieren als ein paar Haare.“

      Cotapert nickte traurig. „Gott vergebe dir, mein Sohn“, sagte er zu Hucwalt. „Er bittet uns, sanft zu sein wie die Lämmer. Doch weiß er auch, dass uns dies im Angesicht des Bösen auf dieser Welt nicht immer gelingen kann.“ Er machte das Zeichen des Kreuzes und wandte sich wieder an Firko, der sich auf dem Boden krümmte. „Gott hat uns dazu berufen, dir die Wahrheit über seine Feinde zu entreißen. Wir werden ihn nicht enttäuschen.“

      Sie richteten den Gefangenen auf. Cotapert fragte nach dem Lager. Sie hätten in wechselnden Lagern im Wald gehaust, gab Firko zurück. Den Ort könne er nicht angeben. Ob Filiperts Männer friedlos seien? Meistens sei es friedlich zugegangen. Gegen das Recht verstoßen? Er kenne die Gesetze schlecht.

      Ob sie geraubt und gestohlen hätten, fragte Cotapert. Firko sagte: „Wenn wir etwas genommen haben, dann stets aus Hunger.“

      Firko wurde beschimpft und bespuckt, geschlagen und getreten. Dann ließ Cotapert ein Beil holen. Seine Männer zwangen den Gefangenen, die rechte Hand zur Faust geballt auf eine Bank zu legen. „Jetzt streck einen Finger aus“, sagte Hucwalt. „Sonst verlierst du die ganze Hand.“

      Als Firko getan hatte wie geheißen, legte Hucwalt seine linke Pranke eisern auf Firkos, drückte sie auf das Holz. Jeder Versuch, sie wegzuziehen, oder auch nur den Finger, war vergebens – zumal Narto den anderen Arm und Ortwalt den Kopf des Gefangenen eingeklammert hatte.

      In der Rechten führte Hucwalt das Beil, schwang es, ließ es mit Wucht auf die Bank fallen, ohne Angst, versehentlich sich selbst zu treffen. Blut spritzte. Nicht seines. Es war Firkos Finger, den er abgetrennt hatte.

      Firkos Schrei folgte dem dumpfen Aufprall des Beils auf der Holzbank. „Jetzt wird er zur Vernunft kommen“, sagte Hucwalt und reichte dem Gefangenen ein schmutziges Tuch, um es auf den Fingerstumpf zu pressen.

      Cotapert rief eine Magd herein, die mit einem Eimer Wasser das Blut aufwischte. Er möge keine Flecken auf dem Boden seiner Halle, sagte der Graf.

      Isanpert bemerkte, wie Martilo seinen bleichen Kopf gesenkt hielt. Auch zu Tassilo sah Isanpert. Der Sohn des Dux hielt den Blick fest auf Cotapert gerichtet. Nur ein Schimmer unter seinen Augen verriet ihn.

      „Jetzt wird er mit uns sprechen“, sagte Cotapert zufrieden. Er griff Firkos Kinn. „Nicht?“

      „Ja“, sagte Firko.

      „Wer ist dieser Filipert?“

      Firko zögerte. „Er ist ein großer Anführer.“

      „Was heißt das?“

      „Er ist es gewohnt, zu befehlen und gehört zu werden. Ganz wie du.“

      Cotapert gab ihm eine Ohrfeige. „Vergleich ihn nicht mit mir. Ist er ein Baiuware?“

      „Ich verstehe ihn gut, aber er spricht nicht wie ein Baiuware.“

      „Ist er ein Alamanne?“

      „Das kann sein. Ich habe nicht gewagt, ihn zu fragen.“

      „Oder ein Thüringer?“

      „Das kann sein.“

      „Wie viele seid ihr?“

      Firko sah sich um. „Mehr Männer, als hier sitzen, aber nicht mehr, als in diese Halle passen.“

      „Wie viele Hände voll?“

      „Ich habe nicht gezählt.“

      „Wo