Florian Kalenda

Eisenglanz


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Männer erhoben die Stimmen. Sie fielen sich ins Wort. Manche gaben Hucwalt recht. Der scharfäugige Liutker schlug sich auf Utos Seite.

      Martilo war nicht mit seinem Bruder einverstanden. Es sei nicht christlich, Gewalt gegen einen Mann zu üben, dessen Schuld nicht erwiesen war.

      „Aus Furcht vor Filiperts Leuten will er auf den Baum gestiegen sein“, rief Hucwalt aus und lachte. „Welcher Dummkopf wird so etwas glauben!“

      „Es war kein Warnruf zu hören“, hielt Martilo seinem Bruder trotzig entgegen.

      Cotapert sah es nicht gern, dass seine Söhne uneins waren. „Wer sprechen wollte, der hat gesprochen. Wir sollten beginnen, sonst verhungert der Kerl, bevor wir ihm eine einzige Frage gestellt haben. Seid ihr einverstanden, wenn ich den Gefangenen hereinbringen lasse?“

      „Einverstanden“, sagte Otker, der wie alle Huosi für seine Vorsicht bekannt war und mächtigen Männern stets recht gab.

      Da die meisten nickten, legte Cotapert nach: „Ich schlage vor, die Befragung meinem Sohn Hucwalt zu übertragen. Er versteht es, Männer zum Sprechen zu bringen. Tassilo wird viel lernen können.“

      Wieder stimmten einige laut zu, während zahlreiche andere vernehmlich schwiegen.

      Uto stand auf. „Es ist schwierig, in die Herzen der Männer zu blicken. Aber es ist unmöglich, wenn man einen Mann erst einmal mit Klingen und Feuer in Furcht versetzt hat. Darum bitte ich, die Befragung eröffnen zu dürfen. Wenn ich an meine Grenzen stoße, mag Hucwalt übernehmen.“

      Ein Murmeln ging durch die Bankreihen. Cotapert hatte als Gastgeber und als Graf den Vorrang vor Uto, der sanft hinzufügte: „Dies ist Dux Otilos ausdrücklicher Wunsch.“

      Er neigte den Kopf in Tassilos Richtung. Der Bub, der auf der vordersten Bank verloren zwischen den Männern saß, nickte ernst. „So hat es mein Vater gesagt.“

      Cotaperts Mund zuckte. „Es soll sein, wie unser Dux es wünscht. Stell zuerst deine Fragen, Uto. Hucwalts werden folgen.“ Er wandte sich an seine beiden Männer, die gerüstet neben der Tür standen. „Ortwalt, Narto, bringt den Gefangenen.“

      Der Mann war nass vom Regen und zitterte. Sein Oberhemd hatte einen Riss, im Gesicht verlief ein blutiger Kratzer. Er war kräftig gebaut, aber die weichen Züge des Gesichts ließen ahnen, dass er nicht älter als siebzehn Sommer sein konnte.

      Uto nannte seinen eigenen Namen und fragte nach dem des Mannes. „Firko heiße ich“, lautete die Antwort. Als Uto auch seine Herkunft wissen wollte, sagte Firko: „Von der Tonah komme ich.“ Das besagte nicht viel, die Tonah war ein langer Fluss, überall an ihren Ufern siedelten Männer.

      Uto fragte erfolglos nach. Firko, wenn das wirklich sein Name war, wiederholte, er sei kein Räuber, er sei vor den Männern geflohen, an deren Lager er zufällig im Wald vorbeigekommen sei. „Ich habe die Glut ihres Feuers gesehen und gehört, dass sie zurückkamen. Da bin ich auf den Baum geklettert, damit sie mich nicht finden. Er hatte eine dichte Krone.“

      „Wenn es so ist“, sagte Uto, „lass mich wissen, wo du herkommst und was du im Wald getan hast.“

      Von daheim sei er davongelaufen, sagte Firko. Dann biss er sich auf die Lippen. „Ich bin kein Räuber.“

      Hucwalt, dem das Verhör zu lange dauerte, lachte höhnisch.

      Uto trat auf Firko zu. Als er die Hand vorstreckte, zuckte der Gefangene, doch Uto ging es nur um die Haare. Er hielt eine Strähne hoch. An den Seiten des Kopfes trug Firko lange Haare. Über der Stirn waren sie höchstens einen halben Finger lang.

      Er fragte Firko, wieso er die Haare so merkwürdig trage, und wer sie ihm geschnitten habe.

      Hucwalt schnaufte, um zu zeigen, wie überflüssig er die Frage fand.

      „Ich war es selbst, der sie abgeschnitten hat. Es ist mir nicht besser geglückt“, sagte Firko. „Ich hatte nur mein Messer und niemanden, mir zu helfen.“

      Uto schüttelte den Kopf. „Es sieht nicht nach einem Versehen aus. Nein, ich glaube, man hat dir die Haare in einem Kloster geschnitten. Du hast eine Tonsur getragen, stimmt es nicht?“

      Ein Raunen ging durch die Halle. Nur Hucwalt und sein Vater blieben still. Der kleine Tassilo klatschte sich vor Begeisterung über Utos Schlussfolgerung mit einer Hand aufs Knie.

      Als Firko nicht gleich antwortete, hakte Uto nach: „Du solltest Mönch werden. Das wolltest du nicht. Davor bist du geflohen.“

      Firko nickte vorsichtig. „Das ist keine Untat. Ich bin kein Räuber.“

      „So sag uns, wer du bist“, sagte Uto. „Von der Tonah, sagst du. Hast du im Kloster des heiligen Emmeram gelebt?“ Dieser Heilige hatte unweit des großen Flusses vor den Toren der Burg Radaspona ein Kloster errichtet.

      „Ihr wollt mich nur wieder dort einschließen!“

      „Als Baiuware stehst du vor Männern deines Stammes. Du hast von uns kein Unrecht zu fürchten, wenn du keines verübt hast.“ Erneut fragte Uto nach dem Kloster und der Abkunft. Der Gefangene sah zitternd zu Boden und antwortete nicht.

      „Er hat gelogen“, rief Otker empört. „Lasst Hucwalt mit ihm reden!“

      In der vorletzten Reihe faltete Dagoprant seine Hände wie zum Gebet, wandte sich um und streckte sie Isanpert entgegen. Isanpert nickte, formte die Hände zu einem Hohlraum, legte die Daumen zusammen und blies sanft auf die Knöchel. Es klang, als rufe ein Käuzchen.

      Der hallende Ton aus der hintersten Reihe überraschte alle. So mancher sah nach oben, ob sich wohl ein Vogel unters Dach verirrt hatte. Die stärkste Wirkung hatte der Ruf auf den Gefangenen. Er fuhr herum, blickte suchend in Richtung Tür. Vergeblich.

      Dagoprant stand auf. Seine rechte Hand stemmte er in die Seite, mit der linken wies er auf Firko. „Habt ihr gesehen? So zuckt nur ein Mann zusammen, der gewohnt ist, dass man sich mit diesem Ruf gegenseitig vor Gefahren warnt.“ Er drehte sich zu Uto. „Auf diese Weise hat der Späher vom Baum aus seine Gefährten wissen lassen, dass der Dux mit seinen Truppen heranritt, ohne dass es einem von euch auffiel. Es rief nur ein Käuzchen im Wald.“

      Er winkte Isanpert, der erneut das Zeichen erklingen ließ. „Nun wissen wir, dass der Mann zu Filiperts Bande gehörte“, sagte Dagoprant und setzte sich.

      Martilo blickte traurig drein, als er sich getäuscht sah. Uto fragte Firko einfach: „Kannst du das auch?“

      Der hob die Schultern. „Ich kann alle möglichen Vogelstimmen nachmachen. Jeder Bursche kann das bei uns. Sogar manche Mädchen. Ich kann die Vögel anlocken und mit der Leimrute fangen.“

      „Wo hast du es gelernt?“, fragte Uto sanft. „Wo kommst du her, Firko?“

      Da brach es aus Firko hervor. Seine Familie stammte aus dem Nordgau, dem Land nördlich der Tonah, zwischen der Burg Regina und den Bergen der Thüringer. Am Fluss Regin siedelte Firkos Sippe. Dort ging es ihm gut, solange er jung war und den Vögeln nachstellen konnte.

      Der Vater hatte bereits an Stärke eingebüßt, als Firko heranwuchs. Seine älteren Brüder machten die Arbeit, sie waren fleißig und stark. Auf dem Hof hielten sie Schweine und Schafe und Bienen. Besonders der Honig und das Wachs aus den Bienenstöcken erleichterten ihr Leben. Wenn einmal die Getreideernte verdarb und andere hungerten, konnten Firkos Leute sich Korn ertauschen.

      Schlechter ging es erst, als Firkos Vater krank wurde. Der Grund mochte harte Arbeit im Freien mitten im Winter gewesen sein, die er sich nicht hätte zumuten sollen, oder auch ein Fluch neidischer Nachbarn, wahrer Hungerleider, sagte Firko. Jedenfalls sei der Vater am Fieber erkrankt und habe so tief gehustet, dass man fürchten musste, er werde seine Seele heraushusten. Nächtelang habe das ganze Haus wachgelegen. Die Mutter sandte nach einem heilkundigen Priester, dem sie für seine Dienste zu Kerzen gedrehtes Wachs und bares Silber versprach. Der kluge Mann nahm erst seine Entlohnung an sich und sagte dann, er sehe wenig Hoffnung. Hier werde nur Beten helfen. Der Herr im Himmel in seiner Barmherzigkeit oder einer seiner Heiligen würden