Florian Kalenda

Eisenglanz


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und er fauchte: „Also du hast das über uns gebracht!“

      „Aber ich habe doch das Haus beschützt, und Mutter …“

      „Immer nur Scherereien hat man mit dir! Er war doch einer der Mohingara! Was werden sie mit uns machen? Was wird aus uns?“ Gudos Stimme wurde lauter. „Für den Kriegszug bist du zu schwach, und jetzt mordest du im eigenen Haus.“

      „Zu schwach?“, fragte Isanpert. „Ich durfte nicht …“

      Die alte Gisla trat zu ihnen. Wie immer war ihr graues Haar bis auf einige Strähnen unter einem eng gebundenen Tuch verborgen. Die tiefen Falten im Gesicht konnte kein Kopftuch verhüllen. Ein Dutzend Kinder hatte sie geboren, fünf hatten überlebt. Nur Gudo war in die Freiheit entlassen worden und hatte sie zu sich nehmen können, auf seinen eigenen Hof. Sie war stolz auf ihn und wünschte, er wäre es selbst auch. „Reg dich nicht auf, Gudo. Was macht das schon. Ein Toter mehr. Der Kerl war nicht von dem Schlag, um den man trauern müsste. Der Bub hat deine Ehre bewahrt, und die seiner Mutter.“

      „Ehre, als ob wir uns das leisten könnten! Einsam auf Gramlinga, ohne einen Herrn, der uns schützt.“

      Endlich lag das Brett mit dem Leichnam so, wie Engilpert es wollte. Er zog den Kittel des Toten zurecht und klaubte Schmutz aus dem Gesicht.

      „Du machst es dir leicht“, sagte die Alte zu ihrem Sohn. „Du warst im Wald mit dem Dux und all seinen Männern, um Räuber zu suchen. Aber hier, auf deinem Hof, da war einer. Ein wirklicher Räuber war da. Und nur ein Bub, um ihn abzuwehren.“

      „Nimm ihn noch in Schutz“, sagte Gudo. „Wo du ihn früher am liebsten davongejagt hättest. Ein Kuckuck im Nest bringt nichts als Mühe, Ärger und Undank, hast du immer gesagt, Mutter. Und jetzt, wo du recht behalten hast, verteidigst du ihn.“

      Gisla erhob die Stimme. „Er hat nichts von dir, das habe ich immer gesagt. Heute habe ich gesehen, dass es besser so ist.“

      Gudo holte aus. „Wag es nicht“, rief sie.

      Er wagte es nicht. Stattdessen wandte er sich Isanpert zu. „Den Dux hast du belogen. Vor allen Männern.“

      „Ich hatte keine Wahl“, sagte Isanpert.

      „Es ist, als hättest du den Herrgott selbst belogen. Was hattest du überhaupt im Haus zu tun? Wieso warst du nicht bei den Schweinen und deinen Geschwistern?“

      Isanpert sagte: „Aber Vater …“

      „Nenn mich nicht immer Vater“, rief Gudo. „Du weißt genau, dass ich das nicht bin.“

      „Den Vater weiß man nie“, meckerte Gisla. „So ist das mit den Männern, einer ist gerade so brauchbar wie der andere. Um keinen ist es wirklich schade. Und so muss es auch sein, weil sie sich gegenseitig totschlagen.“

      Isanpert lief davon. Er rannte geradewegs ins Gebüsch hinein, mit einem Arm dicht vor den Augen, um sie zu schützen. Die Kratzer auf der Haut würden verheilen. Fast blind bahnte er sich einen Weg. Er suchte Deso und fand ihn bei den Schweinen, wie er es erwartet hatte. Ihn und auch Heila. Die Spindel lag im Laub.

      Dicht nebeneinander saßen die Geschwister. Isanpert kniete sich hin und wischte Deso getrocknetes Blut von der Nase.

      „Er hat nach mir geschlagen“, sagte Deso.

      „Mit dem Holzscheit?“

      „Mit dem Arm.“

      Isanpert nickte.

      „Ich dachte, er würde dich umbringen. Ist er tot?“

      Isanpert nickte wieder.

      „Er hatte hier nichts verloren“, sagte Deso.

      Isanpert schüttelte den Kopf. Er sprang auf und schnappte eines der Ferkel, das sich einen Weg durch die Äste gebahnt hatte und vor dem Sprung in die Freiheit stand. Mit dem strampelnden Tier im Arm kehrte er zurück. Deso blickte ihn an. „Seine Brüder werden dich umbringen.“

      „Brüder müssen zusammenhalten.“ Isanpert lächelte schwach. „Wenn sie mich erwischen, wirst du mich rächen?“

      Deso nickte grimmig und fletschte seine Zahnlücken.

      „Ich verspreche dir etwas, Deso. Sie werden mich nicht kriegen. Ich will nicht, dass du Ärger bekommst, wenn du versuchst, mich zu rächen.“

      Deso gab sich Mühe, ebenfalls zu lächeln. „Ich bin hungrig“, sagte er.

      Als sie ins Haus zurückkehrten, saß Gudo am Boden neben der Bettstatt, hinter deren hohem Holzrand Ula sich verborgen hielt. Er sprach leise zu ihr, erhielt aber keine Antworten.

      Die Kinder traten heran. Auf Deso und Isanpert blickte Ula wie auf Fremde. Aber als Heila den Kopf über den Bettrand hob, setzte sie sich ruckartig auf, nahm das Kind in die Arme und drückte es. Unter ihrem Gemurmel war ein Wort zu verstehen: „Engel, du mein Engel“. Bald danach schlief sie ein.

      Gudo sah benommen ins Leere. Engilpert kündigte an, er werde jetzt das Holz hacken. Das müsse schließlich fertig gemacht werden. Isanpert erklärte, er werde mitkommen. Er schwang das Beil, als sei er nicht recht bei Sinnen. Engilpert versuchte, ihn zu beruhigen. Isanpert hörte nicht. Wenn das Beil bisweilen abrutschte, schwang er es danach umso wilder, und es mochte Glück, Geschick oder der Schutz eines Heiligen sein, dass er sich nicht ins Bein hackte.

      Am Abend war es Gisla, die den Topf mit der Suppe auf den Tisch stellte. Vor Gudo setzte sie ihn, denn der Herr des Hauses, der Vater, aß stets zuerst davon, bevor er den Löffel weitergab.

      Gudo rührte und rührte, ohne ein einziges Mal den Löffel an den Mund zu führen. Er war tief in Gedanken. Seine alte Mutter sah ihm zu. Je länger er rührte, desto ärgerlicher wurde sie.

      „Sollen wir alle hungrig bleiben?“, brach es schließlich aus ihr heraus.

      Gudo sah sie verdattert an.

      „Das Leben muss weitergehen“, sagte Gisla. „Soll Engilpert den Toten begraben? Oder bringen wir ihn fort?“

      „Verflucht noch mal, wir werden ihn seinen Verwandten bringen müssen“, sagte Gudo.

      „Sag nicht solche Sachen, sonst gibt es hier noch mehr Tote“, keifte Gisla.

      „Was für Sachen?“

      „Verflucht. Einen Fluch kann man nicht zurücknehmen.“

      Desos Bauch knurrte. Er griff sich den Löffel und begann zu essen.

      Er werde fluchen, so viel er wolle, sagte Gudo, und wenn auf Gramlinga ein Fluch liege, dann sicher nicht seinetwegen. „Ich habe keinen erschlagen! Es ging uns gut bis heute. Wir haben zu essen, die Arbeit geht leicht von der Hand, denn unser Pflug hat eine Schar aus Eisen. Und jetzt das! Ein Mann aus guter Sippe liegt erschlagen hinter unserem Haus. Ein Priester dazu!“

      „Der Bub hat getan, was er tun musste.“

      „Einen Priester erschlagen? Das musste er nicht. Das durfte er nicht. Es ist gegen Gesetz und Vernunft. Gerade hatte ich alles so gut eingerichtet für uns alle …“

      „Die eiserne Pflugschar“, sagte Gisla böse, „hat Uto machen lassen. Das ist nicht dein Verdienst.“

      „Ich bin es, der den Ochsen führt“, gab Gudo zurück. Er nahm Deso den Löffel aus der Hand, tauchte ihn tief ein und schlürfte die Suppe. Alle sahen zu. Ein Getreidekorn blieb in seinem Bart hängen.

      Nach dem dritten Löffel sagte er, es werde am besten sein, wenn er und Engilpert die Leiche am nächsten Tag nach Mohinga an der Ambra brächten, zu Cotapert. „Die eigentliche Schwierigkeit ist das mit Isanpert. Uto soll sagen, was mit ihm geschehen soll. Hier kann er nicht bleiben.“

      „Wo soll der arme Kerl denn hin,“, sagte Gisla. „Zum Dank, dass er dein Haus und deine Sippe verteidigt, jagst du ihn davon.“

      Gudo schüttelte den Kopf. „Nie hätte ich gedacht, dass du einmal so von ihm sprichst.“

      Isanpert