Florian Kalenda

Eisenglanz


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seht. Dieser Filipert soll eine große Schar bei sich haben. Sie würden von Gramlinga nicht viel übrig lassen.“

      Isanpert sagte, eine so große Zahl Männer müsse Spuren hinterlassen, er habe aber keine gesehen. Auch von dem Bären, der im Sommer die Kühe gerissen hatte, gebe es weder Fährten noch Losung mehr zu finden.

      „Der Bär ist nach Süden weitergezogen, wenn es der war, den Adalperts Leute vor ein paar Tagen erlegt haben“, sagte Uto. „Genug geredet, ich höre den Dux.“ Er ließ das Ross wenden und einige Schritte in Richtung der Straße machen.

      Ula drehte sich um und verschwand ins Haus, ohne ein Wort zu sagen. Isanpert, der mit Gisla zurückblieb, murmelte: „Er hat nicht nein gesagt.“

      „Es war ihm die Mühe nicht wert“, gab das alte Weib zurück. „Er hält nichts von dir.“

      Dann vergaßen sie ihren Zank. Beide blickten erwartungsvoll auf die Stelle, wo die Straße zwischen den Bäumen hervortrat.

      Der Anführer des Stammes hieß lateinisch Dux. In der Volkssprache, dem Diutisk, sagte man Heerführer oder Herzog. Dux Otilo war es, der den Stamm der Baiuwaren anführte, ein blonder Mann mit einem Kinnbart, hohlen Wangen und knapp über der Stirn geschnittenen Haaren, die seitlich auf die Schultern fielen. Er war oft fröhlich, aber manchmal richtete er seine Augen in die Ferne, als sehe er dort, was anderen verborgen blieb. Sein Mund wurde dann zu einem Strich.

      Heute ritt er an der Spitze einer Kriegerschar, tief im Gespräch mit zwei Reitern an seiner Seite. Überrascht stellte Isanpert fest, dass er beide kannte: Der eine war Hucwalt, der Krieger, der kürzlich auf Gramlinga zu Gast gewesen war. Neben Hucwalt ritt dessen Vater, der grauhaarige Graf Cotapert. Die Gesichter der drei ließen erahnen, dass sie nicht einer Meinung waren, worüber sie auch sprechen mochten. Das hinderte zumindest den Dux nicht, freundlich zu lächeln.

      Etwa fünf Dutzend Männer hatte Otilo bei sich, darunter zwei Dutzend zu Pferd. Diese ritten je zu zweit oder zu dritt nebeneinander. Die Fußtruppen bildeten dahinter einen wilden Haufen. Von dort hörte man Scherze und Spottrufe.

      Mit einigem Abstand folgte zuletzt eine Gruppe von noch einmal vier Reitern. Zwei davon saßen unbeholfen auf ihren Rössern. Kreuze auf ihrer Brust machten sie als Priester erkennbar. Auch der dritte der Nachzügler trug ein Kreuz an einer Kette um den Hals. Es war Fritilo. Er hatte als Mann aus einer der großen Sippen früh zu reiten gelernt und beherrschte sein Ross. Obwohl zum Priester geweiht, hing ein Schwert von seinem Gürtel.

      Neben Fritilo ritt dessen Bruder Martilo, der im Sattel längst nicht so klein wirkte wie stehend. Die beiden hatten bemerkt, dass sie nach Gramlinga zurückgekehrt waren. Sie deuteten in Richtung des Hofes und scherzten darüber.

      Uto erklärte dem Dux, Gudo rüste sich und werde folgen. Es spreche nichts dagegen, inzwischen weiterzureiten. Otilo aber entschied, mit Rücksicht auf die Fußtruppen kurz zu rasten. Die Männer bildeten einen Kreis um ihren Anführer.

      Sie waren kaum einen Augenblick gestanden, da erschien Ula mit Krügen in beiden Händen. Hucwalt winkte sie ärgerlich beiseite, doch auch der Dux hatte sie bemerkt. „Lasst das Weib durch“, rief er. „Ich habe Durst wie ein Ochse.“

      „So sind die Weiber, sie kosten einen Mann seine Zeit“, brummte Hucwalt, der Ula nicht aus den Augen ließ.

      Ein junger Bursche, der nahebei stand, hatte es gehört: „Denkst du so, Hucwalt? Dass die Weiber einem nur Zeit stehlen? Kein Wunder, dass du immer noch keinen Erben hast.“

      Einige lachten darüber. Manche drehten sich beiseite, damit Hucwalt ihr Lachen nicht bemerkte. Andere schüttelten missbilligend den Kopf. Niemand wagte es, dem Rufer den Mund zu verbieten, auch wenn sein Ross nicht kräftig wirkte und das Leder seiner Rüstung an etlichen Stellen zwischen den Metallringen hervortrat. Er hieß Liutker. Jeder wusste, dass er Otilos Sohn von einem Kebsweib war, geboren lange vor der Heirat des Dux mit Hiltrut.

      Ula war stehengeblieben. Cotaperts Rappenstute verstellte ihr den Weg. „Lass besser einen Knecht vorkosten“, sagte der Graf ernst zu Otilo. „Um sicher zu sein.“

      „Ich will versuchen“, rief wieder jener Liutker. „Ich wette mein Leben, dass in dem Bier kein Gift ist.“

      „Mutig bist du, Liutker, aber verschwenderisch mit deinem Leben“, gab Otilo zurück. „Allzu häufig setzt du es aufs Spiel. Vor einigen Tagen hörte ich, wie du zu Radaspona einem Mädchen sagtest, du würdest notfalls für sie sterben.“

      Viele lachten. Nur Uto sah missbilligend auf Liutker. Auch ein Bub, der neben Liutker ritt, blickte ernst. Vielleicht hatte er den Witz nicht verstanden. Er mochte im sechsten Sommer stehen, war also viel zu jung für einen Heereszug. Isanpert hatte ihn zuerst gar nicht bemerkt. Jetzt trafen sich ihre Blicke. Unwillkürlich nickte Isanpert dem unbekannten Buben zu, der sich sehr aufrecht auf seinem Ross hielt, genau wie die erfahrenen Reiter.

      „Vorkosten wird nicht nötig sein. Ich rate trotzdem ab“, sagte Hucwalt, als das Gelächter verklungen war. „Wir haben kürzlich im Unwetter hier auf der Hube Zuflucht gesucht und wurden als Gäste bewirtet. Ich will die Wahrheit sagen: Das Bier war nicht vergiftet, aber es schmeckte übel und war wenig bekömmlich. Noch zwei Tage später gingen mir grässliche Winde ab.“

      Otilo legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich bin froh, Männer mit weit reichenden Kenntnissen um mich zu haben. Aber in manchen Fällen ist es die Pflicht eines Dux, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, statt sich auf die Zunge anderer zu verlassen. Macht Platz für das Weib!“

      Aus den hinteren Rängen von Otilos Gefolgschaft drang zustimmendes Murmeln. Cotapert und Hucwalt bildeten eine Gasse, durch die Ula herantreten konnte. Isanpert hielt sich dicht hinter ihr. So gelangte auch er in den innersten Kreis der Männer und sah aus nächster Nähe, wie der Dux den Krug entgegennahm.

      Als er ihn an die Lippen hob, rieb sich Isanpert gespannt die Nase. Drüben vor dem Haus verkniff sich die Magd Leuba mit Mühe ein Lachen. Das Bier, das sie auf Gramlinga vor einigen Wochen gebraut hatten, schmeckte wirklich streng.

      Der Herzog wischte sich den Mund ab. „Sehr gut“, sagte er in Richtung von Hucwalts zweifelndem Gesicht und wandte sich dann zu Uto: „Stimmt’s nicht?“ Der antwortete: „Ich hatte noch keine Gelegenheit.“ Otilo reichte ihm den Krug. Uto trank, sichtlich bemüht, keine Regung zu zeigen. Dann nickte er.

      Ula hielt dem Dux den zweiten Krug hin. „Wir haben auch köstliches Wasser, nicht aus dem Brunnen, sondern frisch vom Bach, um den Geschmack des Bieres hinunterzuspülen.“

      Dux Otilo lachte, nahm einen großen Schluck Wasser und sagte zu Uto: „Ich sehe, diese Hube liegt zwar fernab deiner anderen Güter, aber sie liefert dir außergewöhnlichen Ertrag.“

      Uto rang um die rechte Antwort. „Noch nicht. Aber wenn hier wieder vier oder fünf Häuser bewohnt sind, wenn ein Dutzend Männer sie bewirtschaftet, lohnt es sich für mich, häufiger vorbeizukommen.“

      „Ich wundere mich, wie ein Mann dem Feind gegenüber so stürmisch, aber Weibern gegenüber so vorsichtig sein kann. Du wärst ein Narr, nicht herzukommen, denn hier leuchtet die Sonne goldener als andernorts.“ Otilo neigte den Kopf vor Ula. Sie errötete.

      Die meisten Männer lagen ohne Hemmungen bei anderen Weibern, holten sich eine Magd ins Lager, wenn ihnen danach war, in der Fremde, aber bisweilen sogar auf dem eigenen Hof. Gab es uneheliche Söhne, hielten sie sie in ihrer Nähe, übertrugen ihnen Aufgaben und Ämter und hinterließen ihnen oft sogar einen kleinen Erbteil, stolz auf das Blut von ihrem Blut.

      Uto war anders. Er lächelte nicht.

      Gudo kam endlich herbeigeeilt. In der Hand hielt er noch die Axt, mit der er Holz gehackt hatte. Er bemerkte es und blickte auf das Werkzeug, als hätte er es nie gesehen, bückte sich und legte es sanft ins Gras. Verlegen stand er vor seinem Herzog und zupfte einen Spreißel aus der Handfläche.

      „Dann kann es weitergehen mit diesem sinnlosen Ritt.“ Hucwalt ließ sein Ross einen Schritt machen. „Bringen wir es zu Ende, damit wir uns um die Ernte kümmern können.“

      Otilo