Florian Kalenda

Eisenglanz


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seine Zähne. „Ich nehme an, ihr kennt uns?“

      „Ihr seid die Cotapertssöhne“, rief Isanpert. Für den vorlauten Einwurf strafte ihn Gudo mit einem finsteren Blick. Der blonde Krieger nickte. „Die sind wir. Der Sippe der Mohingara gehören wir an, aus dem Geschlecht der Fagana. Ich bin Hucwalt, meine Brüder heißen Martilo und Fritilo. Es war Fritilo, der in der Finsternis diesen Hof entdeckt hat.“ Der zuletzt eingetretene Mann mit dem Kreuz auf der Brust nickte knapp.

      Gudo senkte demütig den Kopf. „Es ist eine Ehre für uns, euch unter unserem Dach zu beherbergen und unsere geringe Habe mit euch zu teilen.“

      „Auch von Bischof Alto aus Irland werdet ihr gehört haben“, fuhr Hucwalt fort und zeigte auf den Mann mit den schwarzen Augenhöhlen. „Seit Jahren zieht er durchs Land und predigt den rechten Glauben.“

      Gudo winkte Leuba, sie solle Bier bringen. „Jetzt erkenne ich dich.“ Er war Hucwalt auf Heereszügen und an Markttagen begegnet.

      Hucwalt kam Gudos rundes, bärtiges Gesicht ebenfalls bekannt vor. „Bist du nicht ein Knecht des Uto von Utinga?“

      Gudo wurde rot. „Dem Uto gehört diese Hube, wir leisten mit ihm die Heerfolge, doch von der Knechtschaft hat er mich befreit.“

      „Wohin führst du aber den Zehnten ab?“, wollte Hucwalt wissen. Und er nickte zufrieden, als er Gudos Antwort hörte: „An die Kirche Sankt Martin zu Piparpah, die dein Vater erbaut hat.“

      Ja, sie waren fast Nachbarn. Die Martinskirche lag nur einen kräftigen Fußmarsch von Gramlinga entfernt. Auch Cotaperts Hof an der Ambra war in weniger als einem Vormittag zu erreichen. Isanpert erinnerte sich an den zwergenhaften Sohn des Grafen. Er hatte ihm vor Jahren einmal gegenübergestanden. Damals hatten sie die gleiche Größe gehabt.

      „Meine Brüder haben in den letzten Jahren nicht viel Zeit an der Ambra verbracht“, erklärte Hucwalt. „Fritilo wurde im Kloster in den christlichen Glaubenssätzen unterwiesen. Vor wenigen Wochen ist er zurückgekehrt, uns Baiuwaren das Evangelium zu predigen. Auch unseren Kleinen, Martilo“ – er deutete mit dem Finger auf den Zwerg – „konntest du lange nicht in dieser Gegend sehen. Er hat zwei Jahre bei fränkischen Verwandten zugebracht. Kein Wunder, wenn du ihn nicht erkennst. Obwohl er nicht gewachsen ist.“

      Auch wenn Hucwalt auffordernd in die Runde blickte, wagte niemand zu lachen. So dankte er für die gastliche Aufnahme und setzte sich.

      „Was ist ein Fagana?“, fragte Deso leise.

      Sein Vater gab zurück: „Das ist eine alte Sippe, und so vornehm, dass doppelte Buße zahlen muss, wer einen von ihnen zu Schaden bringt.“

      Deso dachte einen Augenblick nach. „Essen sie dann auch doppelt so viel wie andere?“

      Gudo hörte es nicht. Er war aufgestanden, den Bierkrug entgegenzunehmen, den die Magd brachte. Wie es das Gastrecht vorsah, überreichte er ihn mit einem Trinkspruch.

      Hucwalt trank. Dann gab er den Krug Fritilo. „Du bist zwar der Jüngste, aber immerhin ein Mann Gottes.“ Der Priester versuchte, verzog den Mund und reichte das Bier hastig weiter. Martilo nippte und bat um etwas Wasser. Hucwalt ließ sich nichts anmerken. Er nahm den Krug erneut und leerte ihn bis auf den Grund.

      Den Prediger Alto mit den seltsamen schwarzen Augen vergaßen sie. Er hatte sich neben den Kindern auf dem Lehmboden niedergelassen und beantwortete Desos Frage: „Heute haben wir alle großen Hunger, denn wir haben ein großes Stück Wegs zurückgelegt. Auch mir wird die Mäßigung schwerfallen, und ich bin kein Fagana, ja nicht einmal ein Baiuware.“

      Deso sah Alto mit offenem Mund an, wie er umstandslos auf dem Boden saß. Er rutschte um eine Handbreit zurück. Leise fragte er seinen Bruder: „Ist ein Bischof nicht so etwas wie ein Herzog?“

      „Mehr wie ein Graf, glaube ich“, antwortete Isanpert.

      „Seit vielen Sommern bin ich kein Bischof mehr“, erklärte Alto, der sie gehört hatte.

      Ula trat an den hageren Mann und die Kinder heran. „Es freut mich, dich nach all den Jahren wieder in diesem Haus zu sehen, Alto. Du wirst dich gewiss nicht erinnern, aber du hast meinen Ältesten getauft.“

      Alto sagte in einem zugleich knurrenden und singenden Ton: „Ich weiß es noch genau. Es war vor dreizehn Sommern, als ich meine Wanderschaft eben erst begonnen hatte.“ Dann wandte er sich dem jungen Mann zu. „Isanpert, so habe ich dich getauft. Glänzend wie Eisen. Heute sehe ich, der Name war gut gegeben. Ich selbst heiße Alto, weil mir ein Finger fehlt an der Hand, die dich segnete.“ Er hob die Rechte, deren Mittelfinger nur ein Stummel war. „Alto heißt Glied in Irland. Mir fehlt eines am Finger, also gab man mir diesen Namen. Aber auch im Lateinischen passt er auf mich, denn ich bin wirklich größer als manche.“

      „Das ist mir damals entgangen“, sagte Isanpert. „Ist der Segen vollständig, wenn an der Hand ein Finger fehlt?“

      „Er ist immer so vorlaut“, seufzte Ula.

      Alto machte ein ernstes Gesicht. „Keine Sorge, Gottes ganze Gnade passt auch in halbe Finger.“ Dann fragte er nach den Namen der beiden jüngeren Kinder.

      Strahlend antwortete Ula: „Ich weiß noch, du liebst die Namen und ihre Bedeutungen. Mein Zweitgeborener heißt Deso. Gudo hat den Namen gewählt. Es ist der seines Vaters.“

      „Es war sein väterliches Recht“, sagte Alto.

      „Bei Isanpert habe ich mich durchgesetzt“, erklärte Ula ein wenig zu entschieden. Jeder im Haus hörte es. Hucwalt lachte, Gudo runzelte die Stirn. Fritilo betrachtete sie wie ein Jäger, der im Unterholz auf ein seltenes Tier gestoßen war.

      Es musste niemanden wundern. Ulas Haut war weißer als Schnee auf einem Ast, und sie hatte gerade Zähne, ohne Lücken oder braune Stellen. Ihre Haare waren wie gesponnenes Gold, wenn die Sonne daraufscheint. Kein Mann konnte an ihr vorübergehen, ohne sich zu freuen, selbst jetzt noch, da sie im sechsundzwanzigsten Sommer stand und drei Kinder geboren hatte.

      Sie errötete und fuhr leiser fort: „Unsere Kleine haben wir Heila genannt, denn es war eine schwere Geburt. Wir mussten um sie fürchten und waren froh, als sie am Ende heil zur Welt kam.“

      „Gewiss nicht nur um sie“, sagte Alto und streichelte dem Mädchen über den Kopf.

      Ula stand auf, geräucherten Schweinespeck aus dem Lager zu holen. Die Gäste blickten ihr nach. Als sie mit der Schwarte wiederkam, lobte der Zwerg Martilo die schön gearbeitete Spange, die ihr Kleid zusammenhielt, aber sie hörte ihn nicht, denn sie lachte über eine Bemerkung, die der stille blonde Priester Fritilo ihr zugeraunt hatte.

      Gudo antwortete für sie: „Unser Herr Uto hat ihr die silberne Spange geschenkt. Ihr wisst vielleicht, sie ist auf Utinga aufgewachsen, dem Hof seiner Sippe. Was da glänzt, sind Glasperlen. Sie trägt sie nicht oft. Für unseren Hof ist sie eigentlich zu schön.“

      Hucwalt sah Gudo an. Der Herr des Hauses war ein gedrungener Mann mit einem lockigen braunen Bart im Gesicht. Dann ging sein Blick zu Isanpert, dessen glattes, dunkelblondes Haar auf die Schultern fiel, wie es nur bei erwachsenen Männern üblich war.

      „Ist dein Sohn nicht im Mannesalter?“

      „Freilich ist er es“, bestätigte Gudo. „Schon seit letztem Jahr.“

      Da wagte Ula, ihm zu widersprechen. „Seit diesem Jahr erst.“

      Keiner von ihnen hätte sagen können, dass seit Christi Geburt 747 Jahre vergangen waren. Nur die Abfolge der Jahre seines eigenen Lebens, die Ereignisse all der Sommer und Winter hatte jeder im Kopf.

      „Ich glaube, du hast dich verzählt“, erwiderte Gudo. „Ist es nicht schon sein vierzehnter Sommer?“

      „Ich bin seine Mutter, wie sollte ich mich verzählt haben!“

      So genau wollte Hucwalt es gar nicht wissen. „Warum hast du ihn nicht an deiner Stelle ausgeschickt, um an Utos Seite dem Heer zu folgen?“

      Gudo räusperte sich verlegen, denn wirklich