Florian Kalenda

Eisenglanz


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es ist die Zeit der Ernte. Schwer bepackt ziehen Händler und Bauern über die Straße. Ich halte es für unsere Pflicht, sie zu schützen und die Räuber aufzustöbern oder wenigstens zu vertreiben. Die unzufriedenen Stimmen habe ich vernommen.“ Seine Augen richteten sich auf Cotapert und dessen Sohn Hucwalt. „Ich weiß, dass für euch gerade jetzt die arbeitsreichste Zeit ist.“

      Er ließ den Blick über die Schar schweifen, bis zur hintersten Reihe der Fußtruppen. Die Männer merkten, dass sie alle angesprochen waren, und verstummten.

      Der Dux fuhr fort: „Manche fragen sich, ob dieser Ritt nötig ist. Auf viele von euch wartet die Hofarbeit. Das Getreide muss eingefahren, eingelagert, ein Teil gegen Salz getauscht werden, um für den Winter gerüstet zu sein. Genügt es nicht, wenn Gott uns schützt, fragen einige. Nein, antworte ich ihnen.“

      Ein Murmeln ging durch die Menge. Gottes Hilfe genügte nicht? Der Dux, der in Glaubensdingen für den ganzen Stamm zu entscheiden hatte, redete nicht wie die Priester.

      „Ich werde eure Zeit so kurz wie möglich in Anspruch nehmen, hört ihr? Wir reiten einen Angriff gegen die Räuber und kehren dann zu unseren Höfen zurück.“

      Otilo sprach zu den Fußtruppen. Diese Männer waren Freie, die kleine Höfe bewirtschafteten: Huben, die gerade ihre Sippe versorgten. Männer wie Gudo, die selbst mit der Kraft ihrer Arme den Pflug ins Erdreich drückten, anders als Cotapert und seine Söhne, die ihre Knechte aufs Feld schickten.

      „Dieser eine Angriff ist nötig. Gott steht den Männern bei, die sich selbst helfen“, rief der Dux ihnen zu. „Wir werden nicht zulassen, dass man uns ausraubt. Wir werden die Ernte absichern, bevor wir sie einfahren. In zwei Tagen, ich gebe euch mein Wort, in zwei Tagen schon kehren wir um. Ob wir bei unserer Jagd Glück haben oder nicht. Zum mindesten werden wir diese Übelmänner zurücktreiben, sie einschüchtern und sie merken lassen, dass sie auf unserem Land sind, das wir verteidigen. Wir beweisen ihnen, dass Gott auf unserer Seite ist. Das sind wir den Unsrigen schuldig.“

      Die Männer raunten. Manche riefen ihre Zustimmung heraus. Freilich gab es solche, die nachdenklich schwiegen. Als der Beifall verklungen war, sagte Isanpert in die Stille: „Kann ich nicht mitkommen?“

      Seine Stimme trug gut, wenn sie einmal nicht umschlug. So wie jetzt. Alle Augen wandten sich ihm zu.

      „Du bist zu jung“, sagte Gudo schnell. Dem Dux erklärte er: „Nächstes Jahr wird er erstmals zur Heerschau reiten.“

      Uto schickte sich an, etwas zu sagen, aber Ula kam ihm zuvor: „Bis dahin wächst Isanpert hoffentlich noch, damit ihm der Helm nicht über die Augen rutscht.“

      „Ich bin nicht zu jung, ich bin dieses Jahr ins Mannesalter gekommen.“ Isanpert sah zu dem Buben hinüber, der neben dem vorlauten Liutker auf einem prächtigen Falben saß, aber doch so viel jünger war als er.

      Dux Otilo folgte seinem Blick. Dann stieg er vom Ross. Er legte Isanpert die Hände auf die Schultern, blickte ihm ins Gesicht und sagte: „Wundere dich nicht. Das dort ist mein Sohn Tassilo.“ Tatsächlich, er sah ihm ähnlich mit seinem schmalen Kinn. „Isanpert heißt du also. Ich danke dir, Isanpert. Solche Männer wie dich brauche ich. Ich – und eines Tages auch Tassilo.“

      Isanpert gab sich Mühe, dem Dux in die Augen zu sehen, der weitersprach. „Tassilo ist noch zu jung für den Kampf. Wenn er mich heute begleitet, so nicht als Krieger, sondern um zu lernen. Du aber bist schon ein waffenfähiger Mann. Und ein mutiger. Im nächsten Jahr werden wir zusammen reiten. Heute gebe ich dir eine andere Aufgabe. Schütze deine Tiere, dein Haus und deine Sippe, schütze ganz besonders deine gütige Mutter vor allem Übel. Gott wird dir dabei helfen.“

      Isanpert nickte, da er Angst hatte, seine Stimme könnte kippen, wenn er sich laut bedankte. Der Dux wandte sich Gudo zu. Man werde langsam weiterreiten, sagte er, und die Männer auf den nächsten Höfen verständigen. Gudo solle nachkommen, wenn er sich gerüstet habe.

      So zogen sie davon. Es dauerte lange, bis sich alle in Bewegung gesetzt hatten. Isanpert sah ihnen nach. Er hörte die unberittenen Männer Otilo rühmen. Gudo hatte inzwischen seinen Sax, seinen Helm und ein ledernes Wams herbeigeholt und schloss sich an.

      „Für dein Weib kannst du Gott dem Herrn danken“, sagte einer zu ihm. Ein anderer ließ sich im Vorübergehen von Ula den halbvollen Bierkrug reichen, den er auf einen Zug leerte.

      Zuletzt ritten die Priester und der Zwerg an Gramlinga vorbei. Fritilo lenkte sein Ross von der Straße, kam heran. Ula ging ihm entgegen, und er sagte ihr einige Worte, die Isanpert nicht verstand, denn Deso bedrängte ihn mit Fragen über den Dux.

      An diesem Tag musste Isanpert zur Arbeit angetrieben werden, sonst hätte er immer nur wechselweise von den Ereignissen des Vormittags erzählt und mit einem Stecken herumgefuchtelt, als wäre es ein Schwert. Engilpert und Deso ließen sich gern ablenken. Die Weiber dachten anders. Gisla mahnte, es sei Holz zu hacken, und Ula erinnerte an die Teller, die Isanpert zu drechseln begonnen hatte, um sie den Nachbarn als Tauschware anzubieten. Er drechselte recht geschickt.

      Noch am nächsten Morgen sprach er über nichts anderes. „Weißt du noch, Deso? Du hast mich neulich gefragt, ob Gott uns bei Gefahr einen Engel schickt. Otilo hat uns darauf eine Antwort gegeben. Als hätte er die Frage gehört. Wir sollen selbst auf uns und auf den Hof und alle aufpassen, hat er gesagt. Gott hilft uns dabei.“

      In Desos Augen erlosch der Zweifel nicht. „Ein Engel hat ein Flammenschwert. Wir haben nicht einmal eins aus Eisen, weil der Vater den Sax braucht, um die Räuber zu erschlagen.“

      „Das wird sich schon finden. Gott kann Holz in Eisen verwandeln, wenn er will. Wir müssen üben und stark werden, so stark wie Hucwalt.“

      „Oh. So stark wie Hucwalt werde ich nie.“

      Deso und Isanpert hüteten wieder die Schweine im Wald. Sie sollten auch Eicheln und Bucheckern in einem Korb sammeln, als Vorrat für den Winter. Ein fettes Schwein war die beste Rücklage für üble Tage.

      Dies beanspruchte einen kleineren Anteil ihrer Zeit, als Ula wohl meinte, die sie ausgesandt hatte. Aus gestürzten Stämmen und Ästen hatten die beiden Schweinehirten längst eine Einfriedung unter einigen Eichen gemacht. Dort konnten die Schweine wie in einem Gehege herumstreifen, ohne dass man sie ständig im Blick haben musste. Die Eicheln sammelten die Buben mit einem Rechen, den Isanpert mit besonders langen, dichten Zinken versehen hatte, auf einem Haufen. Es war dann zwar noch nötig, sie zwischen Zweigen und Blättern herauszulesen, aber längst nicht so aufwändig, wie sie einzeln mit der Hand aufzuklauben.

      Den schweren Korb setzten sie anschließend auf einen einfachen Karren mit zwei Rädern. Um die Last abzusichern, hatten sie Löcher in den hölzernen Boden des Karrens gebohrt. Hier ließen sich Keile einstecken, die ein Abrutschen des vollen Korbs verhinderten, wenn man den Karren nicht zu wild über den schmalen Pfad zog.

      So war nur Heila mit ihrer eigentlichen Arbeit beschäftigt: Ula hatte ihr erlaubt, ihre Brüder zu begleiten, wenn sie Flachs und Spindel mitnahm und fleißig spann. Garn für Stoffe konnten sie auf Gramlinga nicht genug haben.

      Isanpert baute einen Speer. Eine verrostete eiserne Spitze hatte er im Frühjahr gefunden. Nicht ganz zufällig. Im letzten Winter hatten zwei Sippen, die Männer aus Piparpah und die aus Gibinga, einen alten Streit ausgetragen. Isanpert war ihnen heimlich gefolgt und hatte sich den Ort des Waffengangs gemerkt. Nach der Schneeschmelze war er hingegangen und hatte den Boden nach verwertbaren Dingen abgesucht. Nun rieb er das Metall der Spitze, bis es glänzte, passte das Schaftende an und versuchte die ersten Stöße.

      „Täuschung, Treffer!“, rief er. Seinem Gegner, einer Rotbuche, war es nicht gelungen, rechtzeitig auszuweichen. Die Spitze steckte fest, der Schaft schwang zitternd nach.

      „Mal sehen, ob es hält, wenn du ihn herausziehst“, sagte Deso. Die Speerspitze war mit Widerhaken versehen, aber der Schaft hielt. Nur mit Wurfversuchen klappte es nicht recht.

      „Du musst ihn besser ausgleichen.“ Deso ließ sein Schnitzwerk fallen. „Darf ich auch mal?“

      „Das heißt nicht ausgleichen, sondern