Florian Kalenda

Eisenglanz


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wonach er gesucht hatte: Eine Leiter lehnte, unter dem tiefen Dach vor dem Regen geschützt, quer an der Mauer. Er hob ein Ende an. Sie war zu schwer. Er konnte sie nicht unter dem Stroh hervorziehen, ohne Lärm zu machen, darum legte er das Ende wieder ab.

      Ein dumpfer Laut ertönte, als Holz an Holz stieß. Isanpert zuckte zusammen. Eine Weile blieb er hocken und lauschte den Stimmen, den Seufzern und dem Knacken.

      Als er glaubte, dass alle wieder schliefen, ging er zurück und berichtete Firko von seinem Fund.

      „Wir müssen sie zu zweit anheben, wenn wir Lärm vermeiden wollen. Im Webhaus schläft wahrscheinlich keiner, aber ganz bestimmt in den angrenzenden Gebäuden.“

      Firko sagte, er sei froh, nicht mehr warten zu müssen. „Und der Hund?“

      „Ich habe ihn nicht gesehen.“

      Isanpert führte Firko an der Umzäunung entlang, wo die Schatten am schwärzesten waren. Einmal brach ein Ast, auf den Firko trat, und ein anderes Mal knickte Isanpert um, weil er ein Loch in der Wiese nicht gesehen hatte.

      „Hier unter dem Dach ist sie“, flüsterte Isanpert. „Pass auf, dass du nicht am Ried hängen bleibst. Das knackt furchtbar laut.“

      Sie gingen in die Knie, jeder packte an einem Ende an. Firkos Mund zuckte, als er mit der verstümmelten Rechten zugriff. Ohne sich abzusprechen trugen sie die Leiter zu einem dunklen Abschnitt des Pfahlwerks, hinter dem Gesindehaus. Vorsichtig richteten sie sie auf, lehnten sie gegen das Holz der Pfähle. Firko setzte den Fuß auf die erste Sprosse.

      Da legte Isanpert ihm plötzlich die Hand auf die Schulter. Firko öffnete den Mund. Isanpert schüttelte den Kopf, nahm sein Messer aus dem Gürtel und legte es ihm in die Hand. Dann verschwand er zwischen den Häusern, leise wie ein Schatten und ebenso schwer zu sehen.

      Er trat auf den Platz vor der Halle. Das Feuer war heruntergebrannt, der Wachmann lag daneben im Gras. Isanpert näherte sich bis auf wenige Schritte der Glut. Erleichtert hörte er den Mann mit einem Pfeifen durch die Nase atmen. Er ging nach rechts, auf die Halle zu. Seitlich der Eingangstür, kurz vor dem Eck, wo das Dach sich senkte, lehnte sein Speer.

      Er streckte die Hand danach aus, als er ein Knurren hörte. Im Schatten des Daches, keine zwei Schritte von dem Speer entfernt, richtete sich der Wachhund auf.

      Isanpert griff in seine Gürteltasche. Er kramte eilig, fand aber weder Fleisch noch Speck, um das Tier abzulenken. Der Hund knurrte lauter. Da streckte er ihm besänftigend die Hand hin. „Ruhig, Faho“, flüsterte er. „So heißt du doch, Faho.“

      Der Hund leckte die Hand mit rauer Zunge. Isanpert atmete auf. Nicht lange. Im Gras hinter seinem Rücken regte sich der erwachende Wächter.

      Das naheliegende, das einzige mögliche Versteck war an der Seite der Halle. Hinter dem Eck, unter dem Rieddach. Zwischen Wand und Gras. Einen Schritt entfernt, dort, wo der Hund stand.

      Isanpert hatte keinen Augenblick zu verlieren. Er drängte den Hund beiseite, quetschte sich neben ihn. Sein Blick galt dem Maul, das jederzeit nach seiner Hand schnappen konnte. Oder nach dem Bein, mit dem er Faho wegdrückte.

      Der Hund bellte, doch nicht bösartig, sondern freundschaftlich. Er schien zu glauben, dass dieser Junge mit ihm rangeln wollte. Mit der Masse seines Körpers hielt er dagegen, hechelte und schnappte.

      Isanpert rutschte neben dem schweren Tierkörper ins Gras. Er wurde fast von ihm begraben.

      „Was ist denn, Faho?“, rief der Wächter. „Hast du etwas gerochen, Faho?“

      Durch die Grashalme sah Isanpert, wie sich ein Lichtschein ausbreitete. Der Mann hatte ein Scheit aus der Glut gehoben. „Guter Hund“, sagte er und ging auf den guten Hund zu. „Na komm, Faho. Hilf mir suchen.“

      Der Hund blieb, wo er war. Neben Isanpert, zwischen Wand und Gras. Er schnüffelte an Isanperts Gürteltasche.

      „Wo bist du denn?“ Der Lichtschein fiel auf das Ried.

      Isanpert versuchte, den Hund wegzuschieben. Vorsichtig, damit er nicht nach ihm schnappte.

      Der Hund blieb. Er leckte die Gürteltasche.

      Isanpert drehte sich zur Seite, um ihn für einen Augenblick abzuschütteln. Er öffnete die Tasche, griff hinein, erwischte einen Feuerstein, nahm ihn heraus und warf ihn aus dem Handgelenk in Richtung des Lagerfeuers. Der Stein verschwand zwischen Grashalmen.

      Der Hund war der Bewegung gefolgt. Er sprang hin, versuchte zu fassen, was auch immer sich dort im Gras bewegte.

      Und er bellte.

      Der Mann blieb stehen. „Ist gut, Faho. Wird eine Maus sein“, sagte er und gähnte. „Lass dich von ihr nicht um den Schlaf bringen.“

      Faho wühlte Gras und Erde auf. Schließlich beruhigte er sich. Der Mann nickte zufrieden. „So ist es besser.“

      Das Ried schimmerte schwächer im Licht. Isanpert wagte einen Blick. Der Mann ging zum Tor hinüber. Da er es verschlossen fand, trottete er im Halbschlaf zur Feuerstelle zurück. „Schlaf weiter, Faho“, brummte er.

      Der Hund kam zurück. Er streckte sich neben Isanpert aus, schnupperte an dessen Hand und leckte sie, bis er nicht mehr den kleinsten Hauch von Speck roch.

      Lange lag Isanpert zwischen Hund und Wand. Als er endlich, endlich aufzustehen wagte, murrte Faho. Das Tier war ebenso müde wie der Mann, der ein Dutzend Schritte weiter neben der Glut laut schnarchte.

      Isanpert trat noch einmal vor die Halle und griff sich seinen Speer. Dann verschwand er in der Dunkelheit.

      Firko war nirgends zu sehen. Die Leiter stand, wo sie sie gegen den Pfahlzaun gelehnt hatten.

      Isanpert klemmte den Speer mithilfe des Gürtels auf seinem Rücken fest. So hatte er die Hände frei. Ungelenk und steif erklomm er die Sprossen. Er suchte Halt an einer der Spitzen der Stämme, schwang sich hinüber, ließ sich ins regennasse Gras fallen. Kaum dass er sich aufrappelte und zwischen die Bäume trat, hörte er eine Stimme.

      „Hier lang“, zischte jemand. Es war Firko, der ihm das Messer reichte. „Bist du wegen des Speers zurückgegangen? Ich hätte verbluten können.“

      „Ich wusste nicht, dass es so lange dauert. Du musst die Wunde auswaschen und abbinden …“

      „Was glaubst du, was ich die ganze Zeit über gemacht habe!“ Firko zeigte die verstümmelte Hand vor. Tatsächlich hatte er ein Stück Stoff um den Stumpf gewickelt, der von stockendem und geronnenem Blut bedeckt war. „Zieh es fest. Ich kann es mit einer Hand nicht.“

      Den Stoff hatte Firko vom Ärmel abgerissen, wie ein nackter Unterarm zeigte. Isanpert kniff die Augen zusammen, wickelte ihn mehrmals um den blutigen Stumpf und zog zu. „Alto fehlt auch ein Finger“, sagte er.

      „Wem?“

      „Dem irischen Prediger, der mich getauft hat. Bei ihm ist es der Mittelfinger.“

      „Hat der Prediger gestohlen?“

      „Er wurde so geboren, hat er gesagt.“

      Sie folgten einem Trampelpfad, dessen Verlauf sie im Licht eines Viertelmonds kaum erkennen konnten. Zweige schlugen ihnen ins Gesicht. Isanpert sagte: „Besser ist es, wenn du einen Arm nach oben ...“

      „Hör mir mal zu“, sagte Firko. „Ich bin oft nachts im Wald gewesen. Also. Folge mir vorsichtig und spar dir den Atem.“

      Isanpert nickte. Dann fuhr er zusammen. Ein Käuzchen rief. Es war nicht Firko, es war ein echtes Käuzchen. Er lachte leise.

      Firko führte ihn hügelan. Beide atmeten sie schwerer. Die Steigung ließ nach. Das erste Licht des Tages drang durch die Bäume. Zwischen den Ästen, die schon Blätter verloren hatten, tat sich ein weiter Blick auf. Firko bog mit der unverletzten Hand einen Zweig beiseite, um besser zu sehen.

      Sie blickten über die fruchtbare Ebene, die sich bis zu den unüberwindlichen Bergen zu erstrecken schien. In der Morgendämmerung stiegen hunderte Rauchsäulen