Florian Kalenda

Eisenglanz


Скачать книгу

dass sie es sich anders überlegen“, rief ein Witzbold von der unteren Tafel hinauf.

      „Das werden sie, wenn sie sehen, wie du dich jeden Tag mit deinem Weib zankst“, rief sein Nachbar. Die beiden hätten zu raufen begonnen, wenn Olko nicht eingeschritten wäre.

      Der Priester erhob den Blick zum Strohdach. In der Volkssprache lobte er Gott für Speise, Trank und seinen Schutz des Hauses. „Wir danken dir für deine Milde, Herr. Nicht allen ist es bestimmt, enthaltsam zu leben wie die Heiligen. Darum hast du uns die Ehe gegeben, in der Mann und Weib einander beiwohnen zur Vermehrung des Stammes. Treu sollen sie vereinigt bleiben bis ans Ende ihres Lebens, dann wird Gott sie mit Nachkommen segnen.“

      Clementia sah Uto forschend ins Gesicht. Er zeigte keine Regung. Dagegen ging Hucwalt das Wort des Priesters so zu Herzen, dass er wieder laut wurde: „Ha, wenn sie treu sind, segnet der Herr sie mit Nachkommen, sagst du! Und wenn nicht? Muss ein Mann einem Weib treu sein, das ihm keinen Erben schenkt? Ist er lebenslang gekettet an das unfruchtbare, nutzlose Weib? Du tust dir leicht, Priester – du hast keine Höfe und kein Gold, um sie deinem Sohn zu hinterlassen!“

      Maximinus entgegnete, einem Paar, das sündlos und in gutem Einvernehmen lebe, werde Gott einen Erben schenken. Es dürfe die Hoffnung nie aufgeben. Die Wege des Herrn seien unergründlich. Martilo verhinderte eine erneute Gegenrede seines Bruders, indem er Rihho den bronzenen Kelch aus den Händen nahm und Hucwalt mit einem Trinkspruch zureichte.

      Das Feuer war niedergebrannt. Unter der Tür trat ein kalter Lufthauch ein und zog durch den Raum, ohne die Gerüche vertreiben zu können. Es roch nach gebratenen und erbrochenen Speisen, nach frischem und verschüttetem Bier, nach schwitzenden Männern und erhitzten Weibern. Clementia aber fröstelte von der Zugluft. Da sie weder links noch rechts einen Knecht sah, den sie nach Feuerholz schicken konnte, stand sie unwillig auf, einen zu suchen.

      Sie ging hinunter in Richtung Tür, aber sie traf weder Knechte noch Mägde. Alle waren davongelaufen, in der Hoffnung, dass man sie zu dieser Stunde nicht vermissen werde. Niemand war da, den Clementia beauftragen konnte.

      Fast niemand. Ihr finsterer Blick fiel auf Isanpert an der unteren Tafel. Da wurde er noch finsterer. „Heda“, rief sie ihn an, „lass den Krug stehen und geh Holz zu holen. Das Feuer ist heruntergebrannt. Unsere Gäste sollen es warm haben.“

      Isanpert sah sie überrascht an. „Uto hat aber …“

      „Geh schon“, rief Clementia. „Tu nicht, als wäre es das erste Mal. Und merk dir, mein Wort ist so gut wie Utos. Nun mach! Ich will nicht länger frieren.“

      Isanpert stand zögerlich auf. Olko brummte: „Gute Entscheidung.“ Clementia drehte sich zufrieden um. Jemandem zu befehlen, hatte ihr gutgetan.

      Isanpert ging hinaus an die kühle Luft und lud einen Korb voll Brennholz. Zum Glück war er vorsichtig gewesen mit dem starken Bier. In fast gerader Linie kehrte er ins Haus zurück, rumpelte mit dem Korb gegen den Türpfosten, aber niemand bemerkte es. Als er seine Last an der oberen Tafel vorbeischleppte, wandte er den Kopf ab.

      Dagoprant beschrieb eben eine Schlacht, die sich vor hundert Jahren zugetragen hatte, als wäre er mittendrin gewesen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Jeder bemühte sich, nichts zu verpassen und gleichzeitig kluge Bemerkungen aus seinem Erfahrungsschatz anzubringen.

      Niemand achtete auf einen Knecht, der einen Korb Holz brachte. Unbemerkt erreichte Isanpert die Feuerstelle. Er legte zwei Scheite auf und schichtete die anderen zu einem Haufen. Als er sich erhob, um den Korb wegzubringen, flammte die Glut auf. Der Schein erleuchtete sein Gesicht.

      Hucwalt blickte zum Feuer. „Den habe ich schon einmal gesehen“, sagte er undeutlich.

      Martilo kannte seinen Bruder, er bemerkte den drohenden Ton in seiner Stimme. Er drehte sich um und sah Isanpert sich abwenden.

      „Das ist doch“, sagte Hucwalt.

      „Trink“, sagte Martilo. „Trink auf meine anstehende Hochzeit und auf unsere großzügigen Gastgeber.“ Er betonte die Wörter Hochzeit und Gastgeber.

      „Nicht wahr, so ist es besser“, sagte Clementia zu ihrem Nachbarn Hucwalt. „Ich habe wegen des Luftzugs ein wenig Holz nachlegen lassen. Wir wollen nicht frieren.“

      Hucwalt starrte Isanpert mit offenem Mund hinterher. Doch Dagoprant schilderte eben den entscheidenden Zweikampf. Das lenkte ihn ab.

      „Waren nicht noch gebratene Vögel da?“, fragte Olko.

      „Gute Frage“, sagte sein Gegenüber, ein Mann namens Atto, der schon mit Utos Vater in den Kampf geritten war. „Wenn ich trinke, bekomme ich Hunger.“ Er griff nach einer vorbeigehenden Magd, um sie zu fragen, wo das Federvieh hingekommen sei. Es war Hulda, deren Hüften er umklammerte. Hilfesuchend blickte sie zu Isanpert.

      „Bei mir ist es umgekehrt“, sagte Isanpert. „Vom Essen bekomme ich Durst. Wo ist denn das Bier hin?“ Er musste übersehen haben, dass der Krug vor Atto stand.

      „Nimm“, sagte Atto, ließ Hulda los und reichte ihm mit beiden Händen den schweren Krug. „Wenn du abwechselnd isst und trinkst, kannst du die ganze Nacht weitermachen.“ Er wollte Hulda wieder fassen und auf die Bank ziehen, aber er langte ins Leere. Sie hatte sich geschwind entfernt.

      Viele Schüsseln waren inzwischen leer und der Boden voller Knochen. Hucwalt erhob sich, um erneut zu sprechen. Martilo zog ihn am Gewand, und auch Uto bedeutete ihm, sich doch bitte zu setzen. Keinem gelang es. „Nein, nein. Ich sage nichts über die Zukunft des Stammes, liebe Freunde“, versprach Hucwalt. „Ich habe etwas anderes auf dem Herzen. Wir feiern ein junges Paar, das sich bald vereinigen wird zur Freude ihrer Sippen. So hat es Uto gesagt. Wer will ihm da widersprechen.“

      Das Wort „Sippen“ auszusprechen fiel ihm nicht leicht.

      „Ich wünsche ihnen Kinderglück. Viele Söhne. Genug, um eine eigene Dekurie zu stellen. Ja, wir Krieger rechnen in Dekurien. Wie viele sind das? Mindestens so viele, wie ein Mann Finger an seinen Händen hat!“ Er streckte seine Hände hoch. Er hatte noch alle zehn Finger.

      „Sie sollen die stärksten Kämpfer sein, die gescheitesten Priester, die besten Reiter. Die Stützen des Herzogtums. Wie ich und meine Brüder.“

      Er stutzte und verbesserte: „Mein Bruder.“

      Martilo sah den Schatten auf Hucwalts Stirn. „Schön gesagt, Bruder. Ich danke dir. Setz dich, wir wollen einen Schluck Bier trinken, gegen den Durst …“

      Hucwalt hörte ihn nicht. Er sprach weiter. „Wenn ich schon dabei bin, will ich eines Mannes gedenken. Er hatte die beste Veranlagung. Nur das Jenseits plagte ihn. An das Weltgericht hat er uns erinnert, zu gottgefälligen Taten ermahnt. Nicht, weil er streng war. Er fürchtete um unsere Seelen.“

      Der Redner wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Er wollte uns drüben wiedersehen. In ihm brannte das Feuer des Glaubens. Seine Aufgabe erfüllte ihn. Wisst ihr, von wem ich spreche? Von meinem Bruder. Er fehlt mir wie niemand anderes auf der Welt. Fritilo hieß er, heimtückisch wurde er ermordet –“

      Hucwalt verstummte. Er blickte sich suchend um, sah Isanpert am untersten Tisch mit den einfachen Männern des Hofes zusammensitzen –

      Schwankend stand Hucwalt und murmelte, „den Gefangenen hat er auch befreit, um den Dux gegen uns aufzubringen“ –

      Er sprang vor, wie ein Wolf, der ein Huhn gackern hört, riss im Vorübergehen den Bratspieß an sich, noch heiß von der Glut, über der er gedreht worden war, das spürte er gar nicht –

      Hucwalt stach den langen Spieß in das Holz eines Firstständers, dass das Dach wackelte und man Angst um das Haus haben musste. Dass er nur den Ständer traf, war Martilo zu verdanken. Der Zwerg hatte den Ausbruch seines Bruders vorhergesehen und schneller als alle gehandelt. Er griff nach dem Kelch. Als Hucwalt mit dem Bratspieß nach Isanpert stach, goss Martilo ihm einen Schwall des roten Römerweins ins Gesicht. Nur deshalb verfehlte Hucwalt sein Opfer.

      Männer eilten herbei. Fünf hielten Hucwalt fest, andere versuchten, ihn mit Worten zu