Maxi Hill

EINFACH. ÜBER. LEBEN.


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Hütte am Ende des holprigen Weges.

      »A minha casa.«

      Er lehnte seinen Körper gegen den Pfosten am Stacheldrahtzaun und schob das lose Feld einen Spalt breit zurück. Geschmeidig wie eine Katze wand er sich hindurch und lief zu den Frauen, die vor der Hütte mit wuchtigen Schlägen Maismehl oder Hirse stampften. Die jüngere, hochschwangere Frau im zerfetzten Kittel trug ein Kleinkind auf den Rücken gebunden, dem das ständige Auf und Ab das Wiegenlied ersetzte. Die Frauen blickten ernst, keine hielt inne. Nicht einmal beim Anblick der bunt verpackten Bonbons erhellten sich ihre Gesichter, die runzelig und matt aussahen, wie vertrocknete Mangos. Wortlos nahm die ältere entgegen, was der Junge ihr reichte und trug es in die Hütte. Diesen Moment nutzte die jüngere, um ihren Körper einen Moment zu strecken. Mit einer Hand den Rücken stützend, ließ sie ihre Augen blitzschnell den Stand der Sonne suchen, ehe das rhythmische Schlagen erneut den stark gewölbten Bauch und gleichsam das Baby auf dem Rücken erschütterte.

      Auf dem säuberlich gefegten Boden türmte sich ein kleiner Haufen gelber Kolben. Zwei kleine Mädchen saßen davor und puhlten den Mais mit ihren wundgescheuerten Fingern. Ein anderes Kind, vermutlich ein Junge, spielte im Dreck. Einen Vater sahen wir nicht. Es dauerte nicht lange, bis der freundliche Junge sich wieder durch den Drahtzaun zwängte und seine dunkle, von Schwielen durchfurchte Hand auf den Arm meines Mannes legte. Ich konnte meinen Blick nicht lösen vom Anblick der Kinderhand, die sich so deutlich von der Haut des weißen Mannes abhob, der in den Augen des Jungen ein weiser Mann zu sein schien. Oder ein reicher? Es war nicht nötig zu grübeln, was für das Kind, das vermutlich seine Familie zu ernähren hatte, als wertvoller galt.

      »Eu Enkembe«, sagte er mit strahlenden Augen, die scheu zu den Frauen hinüber blitzten, deren dumpfes Schlagen mit den Stöcken wieder den erbarmungslosen Takt ihres Lebens bestimmte. Der Junge blieb stehen, ohne ersichtlichen Grund. Er schien ruhig, nur die nackten Füße, die bis zu den Knien mit hellem Staub bedeckt waren, scharrten unruhig über den trockenen Weg. Arne strich dem Kind über das krause Haar, das hart und knotig aussah, aber nicht schmutzig und nicht verfilzt.

      »Eu Arne, deste Maxi, a minha Esposa. Deste Amigos Allemaes«, stelle er uns der Reihe nach vor, um irgendetwas zu erwidern. Dann fiel ihm ein zu fragen, warum der Junge keines der Bonbons probiert habe. Enkembe zog die Schultern bis zu den Ohren und er erklärte, er habe nicht das Recht, darüber zu entscheiden. Sein Vater würde es tun, später. Er wies mit dem Kopf in die Richtung, wo sich die Männer dem Stumpfsinn und den magischen Steinbildern hingaben, während den Frauen die Last der harten Arbeit blieb. Dieses weibliche Fügen in die Tradition machte mich ebenso betroffen wie das ganze Elend ringsum. Zuerst hatte ich gedacht, dass diese unerträgliche Wirklichkeit ein Traum sein musste, man wischt sich die Augen und sieht wieder klar. Wenn ich nachts darüber nachgedacht hatte, war mir unsere Anwesenheit in diesem Land so sinnlos erschienen. Wenngleich Arnes Arbeit einen Sinn machte, so war es doch nur ein winziger Tropfen auf heiße, brodelnde Lava. Von mir fiel nicht einmal dieser Tropfen auf die Erde. Wenn ich aber bei Tage meine Augen mit dem Elend quälte, dann schien das kleinste bisschen Hilfe so wichtig und so zwingend. Das Elend zu sehen und sich einzubilden, nicht helfen zu können, erkannte ich bald als Selbstbetrug.

      DER MUT EINER UNWISSENDEN

      Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum wir hier waren. Wenn es um Solidarität ging, warum halfen wir denen nicht, die in der allergrößten Armut vegetierten. So wie diese Hoffnungslosen Opfer unverständlicher Fehlentscheidungen waren, so wurde ich mehr und mehr Opfer meines Gewissens. Ich hatte nichts dagegen, dass wir Frauen seit Anbeginn unseres Aufenthaltes allerlei Solidaritätsgeschenke bastelten, dass wir nähten und strickten. Dass wir Kuchen buken und Säfte kochten, wenn es ein Kinderfest in der Stadt oder in einem großen Betrieb auszugestalten galt. Ich hatte auch nichts dagegen, einigen Leuten aus der Stadt all das abzugeben, was uns aus der staatlichen Versorgung geboten wurde, aber nicht unserem Geschmack entsprach. Das betraf unseren angolanischen Freund Marco ebenso wie die junge Frau, Dida, eine aus der Putzkolonne für das Treppenhaus des Laureano. Marko war eines Abends zu Arne gekommen, weil er einen Brief aus der DDR übersetzt bekommen haben wollte. Marko war eins Basketball-Spieler bei der angolanischen Nationalmannschaft. Nach einer schweren Verletzung wurde er in Bad Saarow geheilt und unterhielt noch immer Briefverkehr mit Schwestern und Ärzten. Er hatte zu uns großes Vertrauen, und bisweilen erwartete er auch, etwas geschenkt zu bekommen.

      Dida hingegen brachte immer das kleinste ihrer vielen Kinder mit zu Arbeit, und bisweilen saß das kaum einjährige auf dem puren Beton und knabberte an einem rohen Fisch herum, was mir einen Stich bis unter die Kopfhaut versetzte. Warum sollte ich nicht auch Dida etwas von dem abgeben, was wir ohnehin nicht selbst aßen.

      Ich konnte auch all den Leuten, die zum Tauschen in unser Haus kamen, abgeben, was ich erübrigen konnte. Der Gegenwert war maximal etwas Handgeschnitztes oder frische Gartenfrüchte, zu denen wir ansonsten keinen Zugang hatten. All diese Leute litten nicht so, wie die Elenden im bairro in unvergleichlicher Weise zu leiden hatten.

      Die simple Einsicht, durchaus Gutes zu tun, aber nicht an der notwendigsten Stelle, nagte an mir. Nicht mehr besonders quälend, nicht mehr besonders vorwurfsvoll, immerhin sah ich jetzt einen vagen Weg vor mir, für den Rest der Zeit nicht unschlüssig den Mond anheulen zu müssen. Das Herz sieht schärfer als die Augen. Mein Herz hatte längst entschieden, wohin mein Hirn mich steuern sollte. Es war Zeit, mich von der zwangsauferlegten Nebenrolle einer mitreisenden Ehefrau zu emanzipieren und meine Nachbarin Hellen sollte teilhaben an diesem guten Gefühl. Noch vermied ich es, ihr genau zu sagen, was in mir vorging.

      Die Luft war trocken und es wehte ein leichter Wind. Zehn Uhr stand die Sonne nordöstlich über dem Kopf von Christo Rei und ließ die Blüten der violetten Bougainvillea aufleuchten. Ein Anblick, den Arne besonders mochte, der ihn noch Jahre später, als wir endlich auch ohne staatlichen Auftrag in alle Ecken der Welt reisen durften, in verzückte Erinnerung versetzte, auch wenn er den Namen dieser Blüten noch heute nicht aus seinen Hirnwindungen heraus kramen kann.

      In Momenten wie diesen konnte sogar Hellen die Widrigkeit des staubigen Weges ignorieren oder wenigstens tolerieren. Auch ihre Augen blieben ungewöhnlich lange an dem Farbenspiel haften, während ihre Lippen den Vergleich zwischen den Schönheiten dieses Landes und den vielen Unannehmlichkeiten zu formulieren versuchten, denen wir hier ausgesetzt waren. Weil ich dazu schwieg, blieb sie stehen und stippte mich heftig an:

      »Stell dir vor Maxi, du müsstest immer hier leben? Neben diesem Dreck und der Armut …« Die Blicke ihrer rollenden Augen tasteten mein Gesicht ab, das sich bemühte, so gleichgültig wie nur irgend möglich zu tun.

      »Man kann überall leben. Der Ort ist nicht das Wichtigste.«

      Es schien, als fragten Hellens Augen, was für mich das Wichtige sei, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, dem Unrat auszuweichen, der mit jedem Schritt zunahm, den wir auf den bairro zugingen,.

      »Das Wichtigste im Leben ist immerhin, genau zu wissen, was das Wichtigste ist«, vollendete ich meine Gedanken, ohne wirklich auf Hellens Befindlichkeit achtgegeben zu haben. Ich war nicht bei der Sache, meine Unruhe war kaum zu beherrschen, aber irgendwie traf mich ihre Frage. So wenig ich früher daran geglaubt hätte, einmal in diesen Winkel der Welt zu geraten, so sehr bewusst machte mir eben diese Tatsache, dass man immer auf einen plötzlichen Wandel des Lebens gefasst sein musste.

      »Arne meint, wegen des Klimas würde er gerne bleiben.«

      »Und du?«

      »Ich natürlich nicht!«

      Meine Worte kamen zu barsch über die Lippen. Es war nicht fair. Ich benutzte Hellen an diesem Vormittag für meine Zwecke, nun sollte ich auch ihre Nachteile ertragen. Mehr noch, ich sollte nett zu ihr sein.

      »Es ist doch das uralte Lied: An grauen Novembertagen wünschst du dir den Himmel von Afrika, und wenn du ihn hast, denkst du an nichts anderes, als an erfrischenden Regen. Das Wichtigste ist beides dennoch nicht. «

      Hellen stöhnte leise. Dieses Stöhnen kannte man nicht nur von Hellen. Es war ein winziges Indiz des Aufbegehrens unserer, an ihr Geschick gewöhnten Generation.