Isabella Kniest

The sound of your soul


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gut versichert war ich nicht!

      Mit einem Kribbeln im Hinterteil hockte ich mich zu dem Gestürzten.

      Die Person war ein Mann, wahrscheinlich in meinem Alter, mit kupferbraunem Haar – beinahe dieselbe Farbe, wie ich sie mein eigen nennen durfte. Sein Gesicht hatte er von mir weggedreht. Folglich war es mir unmöglich zu sagen, ob er bewusstlos, tot, angefressen oder schlichtweg geschockt war.

      »Habe ich Sie verletzt?«, fragte ich besorgt.

      Wenn er nun wahrhaftig tot war, was dann? Würde ich wegen Totschlags angeklagt werden?

      Dieser Vermutung folgte eine zweite über meinen Rücken kriechende eisige Kälte.

      »Nein, sorgen Sie sich nicht«, hörte ich den Unglücklichen jäh sagen.

      Mir fiel die halbe Gerlitzen vom Herzen.

      Gott sei Dank war er ansprechbar!

      Obwohl die Erleichterung und das ausgeschüttete Adrenalin mich dezent benebelten, konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, die Stimme des Unbekannten von irgendwo her zu kennen.

      Bloß von woher?

      »Mir geht es gut.« Diese Worte gesprochen stemmte sich der Mann behäbig hoch, drehte sich zu mir – und mich traf der Schlag.

      Diese Augen.

      Himmelherrgottsakrament! Es war Tom!

      Was machte der denn hier?!

      Geschockt, verwundert, verwirrt besah er mich … Mit großer Wahrscheinlichkeit schaute ich in dem Moment ebenso bescheuert drein wie er … Aber diese Augen! Dieser Ausdruck! Diese eigenartige, sich über mich legende Einigkeit …

      Weder konnte ich mich von Tom abwenden geschweige denn mich bewegen. Ich fühlte mich wie hypnotisiert. Hypnotisiert von diesen wunderschönen graublauen Augen.

      Graublau. Das schönste Graublau, das ich jemals in meinem Leben gesehen hatte.

      »Ist Ihnen etwas passiert? Soll ich einen Arzt rufen?«, vernahm ich die weibliche Stimme eines Kunden, wodurch ich halbwegs zur Besinnung kam.

      »Nein, nein«, beschwichtigte Tom teilnahmslos, unterdessen er mich weiterhin anstarrte und gleichzeitig mit seiner linken Hand unbeholfene Gesten Richtung Kundschaft vollführte. »Mir geht es gut.«

      Toms Reaktion bewirkte etwas Ähnliches wie einen Kaltstart meines Gehirns.

      Wie lange hatte ich Tom wortlos angestarrt … und wie lange hockte ich eigentlich neben ihm?

      Ich wusste es beim besten Willen nicht.

      Nicht zuletzt deshalb wurde es allerhöchste Zeit, diese peinliche Situation zu beenden, indem ich mich erhob und ihm meine Hand zur Hilfe reichte – welche er sofort und inklusive einem aufkommenden Lächeln ergriff und sich von mir hochziehen ließ.

      Alsbald mein flüchtiger Lokal-Bekannter in seiner ganzen Pracht vor mir stand, wurde ich mir erst seiner ausgeprägten Schönheit gewahr.

      Das dichte gewellte Haar, von welchem vereinzelte Strähnen locker über seine zarten Augenbrauen fielen, seine feinporige Haut, die edlen Gesichtszüge … aber vor allem dieser mich ununterbrochen musternde, seelenverschmelzende Blick. Ein Blick, intimer als eine sexuelle Vereinigung, leidenschaftlicher als ein lateinamerikanischer Tanz, zärtlicher als sich niederlassende Lindenblütenpollen im frühlingsfrischen Gras …

      Um Toms Seeleninspizierung kurzzeitig zu entgehen, bückte ich mich und langte nach seinem Schal.

      Warum musste ich ausgerechnet ihm begegnen? Warum musste ich ausgerechnet ihn zu Boden stoßen? Warum immer ich?!

      Verflucht!

      »Warten Sie, Sie brauchen sich nicht zu bemühen«, erwiderte er, jedoch hatte ich das Kleidungsstück längst an mich genommen. Eben war ich dabei, mich aufzurichten, da durchfuhr mich ein blitzartiger mich zu Boden werfender Kopfschmerz.

      »Grundgütiger!«

      Während Tom diesen lieblichen Ausruf tätigte, versuchte ich, mich vorsichtig und mit geschlossenen Lidern hinzuknien.

      Der Schmerz in meinem Schädel war exorbitant.

      Hatte ich eben einen Hirnschlag erlitten?

      Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, da fühlte ich, wie Toms Hände mein Gesicht umfassten – und reine Geborgenheit durchströmte mich. Sie erfüllte meinen Leib, mein Herz, meine Seele, meinen Geist. Sie brachte meine Gehirnleistung zum Erliegen, umschloss und erleuchtete jedwede Stelle meines verdunkelten Inneren. Was Tom zuvor mit seinem Seelenblick angedeutet hatte, hatte seine Berührung ein Stück in die Tat umgesetzt: Er war in mich eingedrungen, hatte sich mit mir vereinigt.

      Es war erschreckend wie wunderschön … beängstigend wie erregend … aufwühlend wie beruhigend.

      Oder trug gar mein hämmernder Kopfschmerz an dieser eigenartigen Reaktion Schuld?

      »Geht es?«

      Zögerlich richtete ich mich auf, suchte des Musikers Angesicht. Seine Hände hielt er weiterhin um meine Gesichtskonturen gelegt.

      Himmel …

      Tom war mir so nah … vielleicht zehn Zentimeter trennten unsere Nasenspitzen … dazu gesellte sich sein markanter wie besorgter Augenausdruck, von welchem mir zu allem Überfluss schwindlig wurde.

      »Falls ich keinen Hirnschlag erlitten habe«, antwortete ich gepresst. »War dies wohl der Beginn eines Clusterkopfschmerzes … oder so …«

      Engelsgleiche Güte trat in Erscheinung. »Zwar bin ich kein Humanmediziner, dennoch kann ich Ihnen garantieren, nicht an Clusterkopfschmerzen zu leiden.«

      »Na, das beruhigt mich.« Wenigstens gelang es mir, mich gefasst und unbeeindruckt anzuhören. Mein Herz hingegen schien nahezu zu zerspringen. Und meine Nerven? Diese waren nicht mehr angespannt, sondern längst zerrissen.

      Diese psychische Ausnahmesituation kompensierte mein Verstand, indem er just eigenwillige Fragen auftreten ließ.

      Wie würde sich ein Kuss mit Tom anfühlen? Wie würde er schmecken? Genauso gut wie sein zartes Aftershave vermengt mit diesem minimalistisch herben, mich verrückterweise an Stroh erinnernden Eigengeruch?

      Ich räusperte meine behämmerten gedanklichen Ergüsse davon. »Und wissen Sie, was mir fehlt?«

      Ein breites Grinsen verlieh Tom diesen spitzbübisch-charmanten Zauber. »Sie haben mir eben einen Kopfstoß versetzt. Das ist alles.«

      Ich blinzelte. »Wie … was?«

      Er begann zu kichern.

      Es hörte sich unwahrscheinlich an – unwahrscheinlich schön, niedlich, wunderbar …

      »Ich wollte selbst nach meinem Schal greifen, doch Sie waren schneller und erhoben sich exakt in dem Moment, als ich mich zu Ihnen herabgebeugt hatte.«

      Der Schal … natürlich!

      Da spürte ich das gestrickte Kleidungsstück in meinen Händen – und erst dadurch verstand ich, was Tom mir zu sagen versuchte.

      »O nein! Nicht auch noch das!« Meine Wangen erhitzten. »Habe ich Sie verletzt?«

      Er ließ von mir ab, um sein Kinn zu umfassen. »Nun, Zähne sind noch alle beisammen … wehgetan hat es dennoch.«

      »Das ist mir äußerst peinlich.«

      Erst warf ich ihn zu Boden, und dann verpasste ich ihm überdies einen Kopfstoß. Das Ganze entwickelte sich allmählich zu einer Katastrophe!

      Wackelig stand ich auf – und Tom war sofort dabei, mir aufzuhelfen, indem er seinen rechten Arm um meinen linken schlang. »Warten Sie, ganz langsam. Sonst fallen Sie mir noch um.«

      »Keine Sorge.« Ich strich mir ein paar Haarsträhnen hinters Ohr und aktivierte den Rest meiner kaum vorhandenen Schlagfertigkeit. »Ich lasse es bestimmt nicht so weit kommen,