Isabella Kniest

The sound of your soul


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warme, verbindende Empfinden trat zurück in mein Herz – und verstärkte sich. Gleichzeitig schlug mir ein schmerzhafter Blitz in die Seele, ausgelöst durch die bittere Tatsache, für Tom bestenfalls eine Bettgeschichte darzustellen.

      Ich atmete tief durch, versuchte, meine Enttäuschung zu verdrängen. Zu meinem Pech wollte es mir nicht gelingen.

      Tom hatte etwas so Einzigartiges an sich besessen – eine ehrliche, liebevolle Ausstrahlung, respektvolle Selbstsicherheit … und diese seltsame Schüchternheit, welche dann und wann in den Vordergrund trat und ihn für wenige Sekunden schier gänzlich ausfüllte.

      Sein delikates Aussehen, seine Aufmerksamkeit …

      Weshalb war es mir nicht möglich, einen Mann kennenzulernen, bei dem ich mich wohlfühlte und welcher sich eine Beziehung mit mir vorstellen konnte … und wollte?

      Selbstverständlich, wahre Liebe existierte nicht. Bedingungsloses Vertrauen existierte nicht. Doch zumindest einen halbwegs anständigen Partner an meiner Seite zu wissen, auf den ich mich verlassen konnte – war dies zu viel verlangt?

      Ich warf das Bettzeugs in die Waschmaschine und fing mit dem Abstauben an. Kästen, Lichtschalter, Türen, Türgriffe, Fensterbänke und der Bürotisch. Danach reinigte ich Bad und WC.

      Du bist eine Niete, hallte es just durch meine Gehirnwindungen. Zum Glück habe ich bloß drei Monate meines Lebens mit dir verschwendet.

      Mein Ex-Freund hatte mir diese wundervollen Worte vor die Füße gespuckt. Genauer gesagt: erster und bisher letzter Freund.

      Weshalb hatte ich mich auf ihn eingelassen? Wahrscheinlich, weil er mich mit dummen und verlogenen Komplimenten um den Finger gewickelt hatte. Ich war zu naiv gewesen, hatte angenommen, Menschen wären grundsätzlich nett und zuvorkommend. Dabei ging es ihnen seit jeher um Machtmissbrauch und Erfüllung ihrer egoistischen Ziele. Solange ich ihnen half und alles tat, was sie wollten, waren sie halbwegs freundlich zu mir. Alsbald jedoch ich etwas forderte oder wünschte, wurde ich ignoriert – oder, wie im Falle meines Ex-Freunds, fallengelassen.

      Und andere Männer, welchen ich in den darauffolgenden Jahren begegnet war? Diese wollten allesamt kurze Affären oder einen Blowjob.

      Nun, eigentlich waren es lediglich drei Dreckskerle gewesen, die mich angesprochen hatten. Und alle drei waren verheiratet. Die Blowjob-Nummer hingegen bot mir ein Alkoholiker in seinem Suff an. Seine verfaulten Zähne und der penetrante aus Talg und Schweiß zusammengesetzte Körpergeruch hatten mich mindestens genauso abgestoßen wie das verwahrloste Erscheinungsbild und die Frage an sich.

      Ja, liebes Leben, du beschenkst mich andauernd mit Lorbeeren. Womit habe ich derart viel Glück verdient?

      Frustriert und verzweifelt packte ich den Staubsauger und schaltete das Lärmmonster ein.

      In meinen Kindheitstagen hatte ich das Geräusch eines Staubsaugers nicht eine Sekunde lang ertragen. Alsbald meine Mutter zu saugen begann, hatte ich mir entweder die Ohren zugehalten oder mich ins entlegenste Zimmer der Wohnung verkrochen. Glücklicherweise gewöhnte ich mich nach und nach daran – und heute gelang es mir problemlos, selbst zum Teleskopauszug zu greifen und lästigem Feinstaub den Garaus zu machen.

      Nach getaner Arbeit trat ich ans Küchenfenster. Es gewährte mir den Ausblick auf den parkähnlich angelegten Hinterhof des dreistöckigen Mehrparteienhauses.

      Im Sommer tummelten sich dort Kinder und Rentner. Im Winter traf man meistens niemanden an. Die Spielgeräte wurden stets abmontiert und im Keller untergebracht, um sie vor starker Witterungseinwirkung zu schützen. Ebenso vergeblich suchte man Bänke.

      Ich war zufrieden damit. Das penetrante Kindergeschrei reichte mir die Sommermonate über.

      Schleierhafte Winterwolken tauchten den Himmel in ein cremiges Eisblau. Helios selbst präsentierte sich in Form einer weißlich-gelben Kugel, welche ihr schwaches, kaltes Januarlicht teilnahmslos gen Erde sandte.

      Ich dachte zurück an Tom, und mit welchen negativen Gefühlen ich das Lokal verlassen hatte.

      Einst hatte ich nicht solcherweise überreagiert. Ich hatte keinerlei Vorurteile gehegt und jedem Menschen die Chance eingeräumt, sich mir vorzustellen. Ich war ausnahmslos objektiv und hatte Verständnis und Mitgefühl für jeden – selbst für charakterlose Dreckskerle. Stets dachte ich: Hinter einem jeden Menschen steckt ein Schicksal, eine Geschichte, ein einschneidendes Erlebnis. Niemand reagiert grundlos kalt, unfreundlich, verängstigt oder fröhlich.

      Aufgrund meiner Naivität hatte ich allerdings Egoismus, Eigennutz, Gier, Dummheit und andere negative Persönlichkeitsmerkmale nicht miteinbezogen – da ich dachte, diese würden sich zumeist im Rahmen halten. Stattdessen suchte ich die Schuld bei mir selbst. Ich dachte, wenn Menschen unfreundlich auf mich reagierten, läge es ausnahmslos an mir.

      Wie man in den Wald hineinruft, hallt es zurück. Dieses Sprichwort hatte ich gegen mich gewendet, hatte mich geändert, mich freundlicher und nochmals freundlicher verhalten – und ich wurde noch weniger akzeptiert, noch mehr belächelt, ignoriert, ausgenutzt.

      Ja, meine Metamorphose hatte lange angedauert. Doch nun stand da eine andere Sara. Eine, die sich nicht mehr belügen ließ.

      Es war ein schmerzhafter Prozess gewesen – und manchmal fühlte ich mich erst recht schuldig, nun wie all die anderen asozialen, verkommenen, emotionslosen, nutzlosen Menschen geworden zu sein. Nichtsdestoweniger hatte ich einen Erfolg vorzuweisen: Niemand mehr hatte mich verletzt.

      Und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern! Selbst wenn ich für den Rest meines erbärmlichen Lebens alleine bleiben musste!

      Ich strich mir das Haar zurück und wandte mich der Küchenanrichte zu. Aus dem oberen Schrank holte ich ein Dinkelweckerl hervor, brach es entzwei und legte es zum Austrocknen auf die Heizung. Anschließend kredenzte ich mir gebratene Hühnerfleischstreifen auf gemischtem Blattsalat verfeinert mit Tomaten und Radieschen.

      Ich liebte es, frisch zu kochen. Das Empfinden etwas zu kreieren, ließ mich den Aufwand gerne vergessen – zumal Fertiggerichte mir nicht sonderlich schmeckten und ich davon Hautunreinheiten und Bauchkrämpfe bekam.

      Besonders gerne mochte ich Hühnerfleisch in Kombination mit Brokkoli, Rosenkohl oder Blattspinat mit Zitronensaft. Teigwaren, Obst und Pilze sagten mir ebenfalls sehr zu. Und süße Nachspeisen sowieso. Was mir überhaupt nicht schmeckte, waren Innereien, Kren, Spargel, Schweinefleisch und Hülsenfrüchte. Ausnahmen bildeten Leberstreichwurst, Frankfurter Würstel und zartgeräucherter Schinken.

      Nach Essen und Abwasch nahm ich mein neu gekauftes Taschenbuch – ein Spionagethriller – zur Hand und setzte mich auf meine zwar neuwertige nichtsdestotrotz ungemütliche hellgraue Couch. Sie war zwei Meter lang, hart wie Beton und obendrauf rau wie Schurwolle. Ursprünglich hatte ich sie entsorgen wollen. Leider Gottes kannte ich niemanden, der mir beim Hinuntertragen dieses sperrigen Dings vom zweiten Stock ins Erdgeschoss geholfen hätte. Ferner wollte ich kein Geld für eine andere Sitzgelegenheit ausgeben. So hatte ich mich erzwungenermaßen dazu entschlossen, sie zu behalten.

      Solche Momente erinnerten mich daran, dass ich nicht alles alleine bewerkstelligen konnte – gleichgültig, wie sehr ich es wollte oder wie viele Belange des Lebens ich bislang erfolgreich selbst geregelt hatte.

      Wie dem auch sei – jammern brachte mich nicht weiter. Ich musste froh sein, eine Couch zu besitzen. Andere Menschen hatten nicht einmal das!

      Obwohl ich mir dieser Tatsache vollauf bewusst war, gelang es mir nicht, diesen bitteren Beigeschmack der Verleugnung loszuwerden.

      War es in Ordnung, angesichts meiner Einsamkeit mir durchgehend Ausreden zu suchen, um Positivität und irgendeinen Sinn in mein Leben zu bringen?

      Jahrelang hatte ich nicht einmal bemerkt, dies ständig zu tun. Ich hatte all meine Wünsche und Sehnsüchte verdrängt, mich ausnahmslos auf den Alltag konzentriert, gegen auftretende Panikattacken gekämpft und sämtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen versucht.

      Stellte dies das Leben dar? Sich tagtäglich zu fürchten, zu bangen – und letztendlich Dankbarkeit zu