Isabella Kniest

The sound of your soul


Скачать книгу

ehrlicher, offener, demütiger, die selbstverständlichen Dinge des Lebens schätzender, loyaler Mann stellte für mich das Nonplusultra dar. Jemand mit Herz und Hirn – keine unsäglichen Egospielchen und Machtkämpfe in Form von Erniedrigung und besserwisserischem Getue.

      »Ich kenne nicht einmal Ihren Namen«, entgegnete ich.

      Dies nahm mein mysteriöser Unbekannter sofort zum Anlass, um mir seine Hand entgegenzustrecken. »Ich heiße Tom.«

      Ich zögerte. Letztlich schüttelte ich sie. »Sara.«

      Er strahlte mich an. »Mit oder ohne stummes H?«

      Ich kicherte. »Ohne.«

      Himmelherrgott!

      Mit seiner charmanten Art schaffte er es im Handumdrehen, mich zu erreichen.

      »Na denn, Sara. Jetzt wissen Sie wahrhaftig genug über mich. Dann können Sie mir doch getrost etwas über sich verraten.«

      Sollte ich? Sollte ich nicht?

      Ich atmete hörbar durch. »Was möchten Sie wissen?«

      »Überraschen Sie mich.«

      Dieser Mann wurde minütlich rätselhafter.

      Wie sollte ich jemanden überraschen? Mein Leben war langweilig. Da passierte nichts. Ein Tag reihte sich an den nächsten.

      »Bedauerlicherweise muss ich Sie enttäuschen. Ich kann Sie nicht überraschen. Es gibt nichts Interessantes über mich zu erzählen.« Mit meiner rechten Hand deutete ich auf den Tisch. »Deshalb sitze ich ja hier.« Etwas leiser fügte ich hinzu: »Oder gehe überhaupt nicht außer Haus, da ich sowieso nicht weiß, was ich tun soll.«

      »Und Freunde? Sie müssen ja nicht alleine ausgehen.«

      Seine Aussage tat mir, ob ich es wollte oder nicht, in der Seele weh.

      »Ich habe keine.«

      Und hatte es nie gegeben.

      Ich konnte Menschen schlichtweg nicht vertrauen – weder damals in der Schulzeit noch heute in der Arbeit.

      Verwundert musterte er mich. »Gar keine? Ich meine … es gibt Arbeitskollegen, Nachbarn, Schulfreunde …« Das letzte Wort brachte ihn dazu, eine witzig-angewiderte Schnute zu ziehen. »Nun … Schulfreunde bilden wohl einen etwas eigenwilligen Zustand.«

      Ich musste schmunzeln. »Ich glaube, ich brauche nichts Weiteres zu sagen. Offensichtlich haben Sie ähnlich schlechte Erfahrungen gesammelt, wie ich sie mein Eigen nennen darf.«

      Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich stets alleine gespielt. Kinder oder Jugendliche in meinem Alter hatten meistens nichts mit mir zu tun haben wollen. Besser sollte ich sagen, sie hatten mich nie akzeptiert. Wenn ich mich beispielsweise zu einer Gruppe spielender Kinder gesellt hatte, hatte es andauernd geheißen: »Du gehörst nicht zu uns! Geh weg! Verschwinde!« Ähnlich verhielt es sich mit Geburtstagsparties. Lud ich die gesamte Klasse ein, kam eine Person.

      Anfangs hatte ich mich einsam und verloren gefühlt. Nun war dieses Einzelgängersyndrom zu einem selbstverständlichen Teil meines Lebens geworden.

      Und ich wollte niemals mehr etwas daran ändern.

      Kurze Bekanntschaften waren in Ordnung – doch richtige Freunde? Nein! Weder brauchte ich Menschen zur erheiternden Konversation noch zum Ideenaustausch. Lieber schwieg ich für den Rest meines Lebens und verkroch mich in meiner Wohnung. Wenn ich mich mit Leuten intensiv unterhielt, wurde ich meistens ohnehin verletzt, missbilligend angeblickt oder mit unnötigen neunmalklugen Sprüchen bombardiert.

      Beispiele gefällig?

      Du musst dich öffnen, dann kommen die Leute auf dich zu!

      Du musst dich an die Gesellschaft anpassen, dann wirst du dir keine blöden Meldungen mehr anhören müssen!

      Du musst deine Mitmenschen akzeptieren, wie sie sind! Du darfst keine Vorurteile hegen!

      Insbesondere die Sache mit den Vorurteilen hatte mir eine regelrechte Ohrfeige verpasst. Stets war ich diejenige gewesen, die Menschen bedingungslos und mit all ihren Macken und Vorurteilen akzeptiert und niemanden in eine Schublade gesteckt hatte. Ich hatte lediglich ebenfalls akzeptiert werden wollen – ob Personen meine Geisteshaltung und Lebenseinstellung verstanden oder nicht, war mir gleichgültig. Hauptsache in einem normalen vernünftigen Maß als Mitmensch und Individuum angesehen zu werden. Doch nein, das Gegenteil traf ein: Man machte sich lustig über mich, man ignorierte mich oder man beleidigte mich. Darum hatte ich mich an die Gesellschaft angepasst, indem ich mich von dieser abgewandt hatte.

      Eine jede Person war ein singulärer, in sich geschlossener Mikrokosmos, in welchem unbekannte Naturgesetze vorherrschten. Solange Menschen nicht reif oder weise genug waren, um diese Wahrheit zu begreifen oder zumindest zu akzeptieren, würde ich mich weiterhin von ihnen distanziert halten.

      »Was die Schule anbelangt«, erwiderte Tom und beendete damit meine philosophischen Ergüsse. »Ja wahrscheinlich. Ansonsten jedoch –« Die Intensität seines mich aufwühlenden Seelenblicks verdreifachte sich. »Sind Sie … nun … arbeitslos?«

      Noch nie hatte ein Mensch mich dermaßen interessiert gemustert. Keine Sekunde blickte er zur Seite – ausschließlich meine Augen hielt er anvisiert. Zu meiner eigenen Überraschung fühlte sich diese Seelenerkundung zu keiner Zeit unbehaglich oder aufdringlich an. Eher sogar angenehm, vertraut, verschmelzend.

      Es war irrsinnig …

      Diese ganze Situation war irrsinnig … und maßlos verwirrend.

      »Nein, nein. Ich bin nicht arbeitslos«, erwiderte ich und zwang mich krampfhaft, mich nicht noch weiter von seinem hypnotisierenden Blick einlullen zu lassen. »Allerdings mag ich es nicht, Arbeit und Privates zu vermischen.«

      Betrachtete er eine jede Person auf diese eindringliche Art? War dies eine natürliche Verhaltensweise seinerseits?

      Ich dachte zurück an den kurzen Wortwechsel mit der Kellnerin – und meine Frage war beantwortet. Ja, auch sie hatte er auffallend angeblickt … Womit meine minimale Hoffnung auf eine ehrliche Sympathie Toms zu meiner Person hin augenblicklich verstarb.

      Es lag ihm eben nichts an mir. Hier ging es, wie üblich, um Selbstsucht, sprich ein unbefangenes Gespräch, um die Zeit totzuschlagen, oder die Hoffnung auf einen One-Night-Stand.

      Hilflosigkeit in Kombination mit vorgegaukelter Wertschätzung wirkte beim weiblichen Geschlecht wie ein Brandbeschleuniger. Waren Männer sich dieses Vorteils bewusst, nutzten sie diesen schamlos aus – was im Umkehrschluss bedeutete, dass die leidtragenden Frauen ausgenutzt und schlussendlich weggeworfen wurden.

      »Oh.« Er hielt inne – schien angestrengt zu überlegen. »Ich verstehe.«

      Wertete er mein Verhalten? Suchte er eine Bestätigung? Ein Zeichen, ob ich Interesse an ihm hegte? Ob ich willig war, ihm blind zu vertrauen … ?

      Kälte kroch mir in die Glieder.

      Wollte Tom mich rumkriegen und ausnutzen … wie mein fürchterlicher Ex-Freund?!

      Eine heftige Gänsehaut raste mir stechend über den Körper.

      Nein, nein! Von mir erhielt kein Mann mehr Bestätigung, Verständnis oder Mitgefühl! Diese Zeit war lange vorüber! Ich war nicht mehr das naive, blinde Schulmädchen!

      Wahrscheinlich war es besser zu gehen, ehe ich mich noch gänzlich von diesem Mann einlullen ließ und mir gar eine Beziehung mit ihm zu wünschen begann.

      Ich wollte mich erheben, da startete die zweite Hälfte des Auftritts – und wie das Schicksal es wollte, musste die afrikanische Frau einen meiner Lieblingssongs anstimmen: »Hallelujah« von Leonard Cohen.

      Sie sang sämtliche Verse: die aus seiner ersten Version sowie die aus den späteren.

      Ich liebte die Melodie und Cohens Stimmfarbe, viele Stellen des Textes jedoch waren blanker Hohn. Hohn gegenüber Frauen. Es war mir schleierhaft, weshalb gut aussehende Frauen von