Isabella Kniest

The sound of your soul


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Die Farbe jedoch war mir beim besten Willen nicht zu erkennen möglich. Waren sie blau, grün, grau?

      Dieser mich aufwühlende, reine Ausdruck in ihnen intensivierte sich sekündlich. Sie erforschten mich. Sie durchbohrten mich. Sie drangen tief in mich ein, berührten mein Innerstes.

      Ich fühlte mich entblößt … ebenso behütet … ungleich mehr verunsichert.

      Für einen unbedeutenden, verrückten Moment erweckten sie in mir den Eindruck, sie hätten bereits einen jeden Quadratmillimeter meines Körpers, meiner Seele, meiner Gefühlswelt erforscht, gesehen, vereinnahmt.

      Räuspernd schüttelte ich den Kopf – zum einen, um dem Besitzer dieser wahnsinnigen Augen eine Antwort zu geben, zum anderen, um meine Gedanken zu fokussieren. »Nein, keine Sorge. Setzen Sie sich ruhig.«

      »Vielen Dank.« Mit einer überraschend eleganten Bewegung ließ der junge Mann sich mir gegenüber nieder, dessen Outfit aus einem schneeweißen Hemd und einer schwarzen Anzughose bestand. Ein Sakko fehlte. Ebenso eine Krawatte – was mir sehr zusagte. Krawatten hatten etwas Verklemmtes, Altmodisches, Steifes an sich, das mich stets an kleinkarierte, zwanghaft pingelige oder nach Selbstbestätigung dürstende Personen erinnerte.

      Die obersten drei Besätze des Hemds trug der Mann verwegen offen.

      »Heute ist es ungewöhnlich voll«, meinte dieser. »Üblicherweise sind die Tische nicht einmal zur Hälfte besetzt.«

      »Ja?«

      Nickend warf er mir ein aufgeschlossenes Lächeln zu, das es dennoch nicht gänzlich vollbrachte, den hantigen Beigeschmack der vorgespielten Freundlichkeit zu übertünchen. »Wahrscheinlich liegt dies an der Sängerin. Sie ist ein aufsteigender Stern. Wenn Sie mich fragen –« Unvermittelt stockte er. »Obgleich Sie dies nun nicht getan haben –« Ein sich nervös anhörendes minimales Kichern drang aus seiner Kehle. »Ich bin mir sicher, sie wird noch einmal Weltruhm erlangen.« Im Anschluss daran senkte sich sein Blick nahezu reumütig. Auf seinen Lippen dagegen ruhte weiterhin dieses – nun wesentlich lockerere – Dauerlächeln, von welchem mir ungewollt ein wenig warm wurde.

      Wer war dieser Mann?

      Dem Kleidungsstil nach hätte ich ihn geradewegs in die Businesskategorie eingeordnet – eine Art Regionalleiter auf dem Weg zum Managerposten. Seine von ihm zwanghaft unterdrückte verhaltene Ausstrahlung wiederum ließ eher auf einen Stammbesucher mit Schwerpunkt One-Night-Stands schließen. Genauso gut könnte es sich aber auch um den Sohn des Lokalbesitzers handeln, welcher sein aufpoliertes Ego an weiblichen Gästen präpotent zur Schau stellen wollte.

      Ich betrachtete sein freundliches Gesicht, spürte seine Nervosität …

      Oder war er gar ein arbeitsloser Studienabbrecher?

      Möglichst unauffällig – sprich indem ich einen Schluck Kakao trank – versuchte ich, Mr. Mysteriös nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen, was durch die fahle Lokalbeleuchtung bedauerlicherweise recht schwer zu bewerkstelligen war.

      Seine Lippen waren weder voll noch schmal – für meinen Geschmack genau richtig. Seine Augen zeigten eine angedeutet ovale bis schräge Form und wurden von langen dichten Wimpern umsäumt. Das füllige, höchstwahrscheinlich braune Haar – allmählich begann dieses dumpfe Licht mich wahrhaftig zu stören – trug der Mann locker nach hinten gekämmt. Dennoch hatten einige gewellte Strähnen sich gelöst, welche nun sachte über seine Stirn fielen. Eine elegant geformte, kleine Nase rundete sein jugendlich-feminines Angesicht ab. Seine Hände ruhten auf dem Tisch, die Finger ineinander verschränkt, und sahen gepflegt, ja nahezu zerbrechlich aus. Korrektur: Seine gesamte Statur wirkte filigran, ätherisch.

      Kurzum: Er sah umwerfend aus.

      Umwerfend für mich – andere Frauen in meinem Alter hätten ihm eher den Stempel Jungspund aufgedrückt. Insbesondere durch seine einerseits frische, unbeschwerte, andererseits unsichere, vorsichtige Wirkung. Dieser zum Trotz schätzte ich den Mann um die Dreißig ein. Vielleicht ein, zwei Jahre darunter.

      Ich konnte mir gut ausmalen, wie er regelmäßig um Akzeptanz kämpfen musste und von Menschen im Allgemeinen nicht ernstgenommen wurde.

      Dieses Schubladendenken kannte ich aus persönlicher, schmerzhafter Erfahrung. Alsbald man nicht dem gängigen Ideal entsprach – überhebliches Getue, altes und reifes Aussehen – wurde man zu einem unfähigen, eingeschüchterten Mauerblümchen degradiert. Vor allem im Job nagte ein solches Verhalten schwer am Ego, und Lebensfreude und Tatendrang nahmen sukzessiv ab.

      »Sind Sie zum ersten Mal hier?«, zog mein fremder Tischgenosse mich aus meinen ausschweifenden Überlegungen.

      Ich bejahte. »Und ich muss sagen, es gefällt mir – bisher jedenfalls.«

      Ein glückliches Lächeln enthüllte strahlend weiße Zähne. »Das freut mich! Hübsche junge Frauen begegnet man hier selten.«

      Eine peinliche Wärme stieg mir in die Wangen.

      Offenkundig ging Mr. Mysteriös sofort in die Vollen, alsbald seine Hemmungen sich gelegt hatten – was mich zurück auf meine anfängliche Vermutung brachte: War er Stammgast in diesem Lokal, auf der Suche nach einem sexuellen Abenteuer?

      »Soviel ich gesehen habe«, erwiderte ich. »Tummeln sich hier einige junge Frauen.«

      Frauen, welchen ich niemals das Wasser reichen konnte. Frauen, welche dieser Schönling normalerweise hätte ansprechen müssen.

      Sein durchdringender Blick nahm nochmals an Intensität zu. »Nun, die Betonung lag ja auf hübsch.«

      Ich und hübsch?

      Ich war nicht hübsch – bestenfalls langweiliger, normaler Durchschnitt … womit eindeutig bewiesen war: Feschak war ausnahmslos auf einen One-Night-Stand aus.

      Innerlich seufzte ich.

      Typisch.

      Welcher gut aussehende, ledige Mann war schon auf der Suche nach einer festen Beziehung? Stellte eine solche doch bestenfalls Pflichten, Freiheitsentzug und Alltagsallüren dar. Zumindest, wenn es nach männlicher Auffassung ging. Und der klägliche Rest hübscher, anständiger Männer? Dieser war bekanntlich längst verheiratet und mit unliebsamen Kindern gesegnet.

      Ich räusperte mich – und Mr. Ich-blicke-dir-bis-in-deine-Seele warf mir ein Lächeln zu, das in etwa sagte: »Ich habe dich damit erreicht – ob du es willst, oder nicht.«

      Wie viele Frauen riss er mit dieser plumpen Masche wohl auf?

      Nun, unbedeutend wie viele. Mich jedenfalls nicht! Dies konnte er sich gehörig in die engelsgleichen Haare schmieren!

      »Ich glaube, es gibt sehr viele hübsche Frauen hier.«

      »Tatsächlich?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Ist mir bislang nicht aufgefallen.«

      Allmählich wurde es ernsthaft eigenartig.

      Derart angeflirtet hatte mich noch kein Mann zuvor in meinem Leben – weder unsympathische, ungepflegte Alkoholiker, geschweige denn Modeltypen, wie dieses Prachtexemplar.

      »Dann sind Sie wohl nicht sonderlich oft hier?«, vermutete ich und nahm einen weiteren Schluck Kakao.

      Über den Tassenrand hinweg durfte ich beobachten, wie eine markante Überraschung in seinem Gesicht aufblitzte.

      »O doch! Jeden Tag.«

      Wie jetzt? Jeden Tag?

      Was machte er, bitte schön, jeden Tag hier? Hatte er nichts Besseres zu tun? War er tatsächlich arbeitslos, der Sohn des Lokalbesitzers … oder etwa hoffnungslos unbefriedigt?

      »Dann haben Sie den anderen Damen anscheinend nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet.«

      Für den Bruchteil einer Sekunde huschte über seine zarten Züge etwas Ähnliches wie ein Schatten. Doch noch ehe ich recht darüber hätte nachdenken können, war seine strahlende Freude zurück in den Vordergrund getreten. »Da muss ich nochmals widersprechen! Ich schenke Frauen grundsätzlich Aufmerksamkeit.« Er setzte eine