Georg Dehio

Kunsthistorische Aufsätze


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aber nicht durchbrochen werden. Die Stellungen der Figuren sind so gewählt, dass die im Gedächtnis als vorzüglich bezeichnend für Haltung, Bewegung, Gebärde haftenbleibenden Züge schon in der Umrisslinie Platz finden. Durch lange Erfahrung waren sie festgestellt, und es wäre Vermessenheit gewesen, daran zu rütteln. Mit großen Mängeln der Form verbindet sich Stärke des Ausdrucks. Wenn auch im höchsten Grade gebunden, ist diese Kunst nicht unwahr und vermag auch heute noch zu wirken. In welchem Umfang – es überrascht uns – schon in der Karolingischen Zeit die Wandmalerei geübt wurde, lassen die in einigen Klöstern angelegten Sammlungen versifizierter Unterschriften (tituli) erraten. Nichts davon hat sich erhalten. Das wichtigste Denkmal der Jahrtausendwende, die Wandmalerei in S. Georg auf Reichenau, zeigt das Prinzip unverändert. Reichlicher sind die Überreste aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Auch in ihnen ist die Einzelform völlig konventionell, aber geschmeidiger und ausdrucksvoller; besonders die Gewandung, die ja in ihrem Wesen etwas Tektonisches hat, nimmt einen großartigen, frisch belebten Schwung; die Gebärdensprache erreicht seelische Wahrheit. Den Höhepunkt der Gattung bezeichnen die sächsischen und rheinischen Wandgemälde dieser Zeit. Aus Frankreich hat sich zu wenig erhalten, um einen Vergleich zu gestatten.

      Zahlreich haben sich die Denkmäler der Buchmalerei und unter ihnen gewiss viele der besten Stücke erhalten. Wir dürfen uns durch diese beiden ihnen günstigen Umstände nicht zur Überschätzung ihrer relativen Bedeutung verleiten lassen. Ihrem Zweck nach steht sie dem Kunstgewerbe nahe. Schönschreiber nehmen es sich unbefangen heraus, gelegentlich auch Bilder abzuschreiben, so dass sich hier wohl mehr Dilettantismus breitmacht, als es in der Wandmalerei möglich gewesen sein kann. Das Stilgesetz ist in dem weiteren Sinne, als es im Kunstgewerbe überhaupt regiert, ebenfalls ein architektonisches. Man nehme als Beispiel, dass Pferde beliebig durcheinander rot, blau und grün gegeben werden, bloß weil an ihrer Stelle diese Farbenflecke erwünscht waren. Im Vergleich zur Wandmalerei gewährt die Buchmalerei dank ihrer leichteren Technik der Erfindung mehr Spielraum, und wenn da die erlernten Formen im Stich lassen, wird wohl ein kecker Griff in die Wirklichkeit gewagt; das erschrockene Straucheln vor dem Angesicht der Natur, das dann regelmäßig eintritt, zeigt am besten, wie viel die feste Schulung bedeutete. Ein Fortschritt von fleißiger Nachahmung alter Vorbilder zu stilistischer Selbständigkeit fand in der Miniaturmalerei nur statt, insofern sie eigentlichst Buchschmuck ist; auf der Höhe der romanischen Epoche ist darin Herrliches geleistet; die Probleme aber, welche die Malerei als freie Kunst stellt, rücken, auch wenn sie immer wieder gestreift werden, im Ganzen nicht vorwärts.

      Auf der Höhe des Mittelalters trat wie in der Baukunst so auch in der Bildkunst ein Stilwechsel ein. Er steht im Zusammenhang mit Veränderungen tief auf dem Grund des allgemeinen Bewusstseins. Die Vorherrschaft des asketischen Ideals wurde gebrochen, neben der Kirche erhob die Welt das Haupt, und so fiel jetzt auch die Scheidewand zwischen Kunst und Natur. Nicht als ob auf einen einzigen Schlag die Wandlung vom abstrakten Stilismus zur Einfühlung in die Wirklichkeit sich durchgesetzt hätte. Aber das neue Ziel war erkannt und wurde nicht mehr aus dem Auge verloren. Sehr bezeichnend ist, wie jetzt sofort das Verhältnis zwischen Malerei und Plastik umschlägt. Die Führerin auf dem neuen Weg zur künstlerischen Welterkenntnis wurde die Plastik. Mit gutem Recht, da in ihr das Problem der Form einfacher und klarer gestellt ist. Das Zurückbleiben der Malerei hat aber auch einen äußeren Grund. Er liegt in dem veränderten Verhältnis zur Architektur. Schon das letzte Stadium des romanischen Stils, von der Entwicklung des Gewölbebaus ab, hatte durch die stärkere Zerlegung der Flächen die Malerei ins Gedränge gebracht. Vollends nun die gotische Flächennegation zog ihr, soweit sie monumental sein sollte, den Boden unter den Füßen weg. Sie musste sich in die kleineren Nebenräume und in die architektonisch einfacher behandelten Landkirchen flüchten. So starb die gotische Wandmalerei zwar nicht völlig aus, wurde aber auf eine niedere Stufe herabgedrückt. An ihre Stelle trat in der vornehmen Architektur die Glasmalerei, eine Gattung, die ihren eigenen hohen Wert hat, aber die malerische Aufgabe ganz auf das Dekorative zurückweist, noch viel einseitiger als einst in der romanischen Wandmalerei. Die Glasmalerei ist nach ihrem ganzen Wesen eine Kunst in der Fläche, die Probleme der Körper- und Raumdarstellung konnten durch sie nicht gefördert werden. In ihr nimmt unbestritten Frankreich den ersten Platz ein. Der Luxus darin, wenn wir zu dem immer noch vielen, was sich erhalten hat, das Untergegangene hinzunehmen, scheint überschwänglich groß, und doch ist er unentbehrlich, weil ohne ihn eine gotische Kirche des aufgelösten Systems unfertig ist. Man begreift es, dass lieber auf die Vollendung der Fassade und der Türme verzichtet wurde, als auf den Besitz von Glasgemälden. Nächstdem hat sich Deutschland ehrenvoll hervorgetan; das Beste vor 1300. England und Italien sind an Glasmalereien arm.

      Die Buchmalerei wird in den Verfall der klösterlichen Kunst hineingezogen. Dass Handschriften weltlichen Inhalts jetzt häufiger mit Bildern geschmückt werden, ist kulturgeschichtlich bemerkenswert; die Kunstentwicklung hat bedeutende Impulse daraus nicht empfangen. Nur in den Niederlanden kommt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine Buchmalerei von und für Laien in die Höhe, in der wir den Anfang einer neuen Auffassung erkennen; sie führt alsbald aus dem Mittelalter heraus. Endgültige Befreiung sowohl von der Einschnürung ins Kunstgewerbe als von der Verflüchtigung in Baudekoration brachte dann das Altarbild. Seine Geschichte, wenn sie auch im 14. Jahrhundert beginnt, gehört in die Anfänge der Neuzeit.

      Ungleich der Malerei hatte die Plastik der Frühzeit jegliche Verbindung mit der monumentalen Kunst verloren. Die altchristliche Kirche konnte auf diesem Gebiet der Anschauung der nordischen Völker nichts darbieten. Geraume Zeit, bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts und länger, blieb die Bildhauerkunst ausschließlich Kleinkunst im Gefolge des Kunsthandwerks: sie schmückte Altarvorsätze, Kruzifixe, Leuchter, Diptychen, Buchdeckel, Messgeräte u. dgl. Kunstpsychologisch bemerkenswert ist die Tatsache, dass Auge und Hand der Neulinge sich weit leichter in die plastische Form einlebten als in die Abstraktionen der Malerei, und so tritt denn hier, neben dem, was den Vorbildern verdankt wird, verhältnismäßig früh auch Eigenes hervor. Die technischen Gattungen sind scharf voneinander getrennt, jede hat ihre eigene Formenüberlieferung. Den vornehmsten Eindruck macht die Elfenbeinplastik an Diptychen, Hostienbüchsen und Reliquienkästchen. Zu ihrer Schulung stand ein reicher Vorrat spätantiker und byzantinischer Musterstücke zur Verfügung. Doch es wurde nicht bloß kopiert, wir begegnen auch selbsterfundenen Kompositionen (z. B. in einer Reihe von Diptychen, die im 9. Jahrhundert in Metz oder Reims entstanden sind), ja sogar einer Formenauffassung, die das überlieferte Schema durch Naturbeobachtung zu ergänzen und zu beleben wagte (sächsische und rheinische Werkstätten). Im Lauf des 11. Jahrhunderts stirbt dieser Kunstzweig ab, um auf veränderten Grundlagen im 13., jetzt vornehmlich in Frankreich, eine zweite Blüte zu erleben.

      Wollte man eine Stufe höher hinauf gehen und auch der Architektur plastischen Schmuck geben, so wandte man sich an den den Germanen sehr früh vertraut gewordenen Erzguss. Solcher Art sind aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts die großen Domtüren zu Augsburg und Hildesheim und die sog. Bernwardsäule daselbst. Monumental sind sie nur durch ihre Funktion; nach Stil und Technik gehören sie völlig der Kleinkunst. Die Erinnerungen an italienische Vorbilder erstrecken sich nur auf die Anordnung im Großen; der Einzelausdruck musste selbständig gefunden werden. Die Hildesheimer Tür zumal ist ein denkwürdiges Beispiel dafür, was entstehen konnte, wenn ein begabter Künstler von energischem Unabhängigkeitssinn sich voraussetzungslos dem Naturalismus in die Arme warf: in der Stärke des Ausdrucks ist er unerreicht, aber die Herrschaft über Form und Komposition hat er gänzlich verloren. Mit so keckem Sturmlauf ließ sich das Ziel nicht gewinnen. Das Interesse an plastischen Aufgaben blieb im sächsischen Stammgebiet lebendig, mehr als in anderen Teilen Deutschlands, aber das 11. Jahrhundert verging und ein großer Teil des 12., ohne dass ein nennenswerter Fortschritt gemacht wurde. Nur das Programm erweiterte sich: Grabplatten mit lebensgroßen Gestalten kamen in Aufnahme, nicht in Stein, sondern in dem noch immer geläufigeren Bronzeguss oder in fügsamer Stuckmasse; in gleichem Material dekorative Figuren an den Zwickeln zwischen den Arkaden der Kirchenschiffe oder an Chorschranken; kolossale Kreuzigungsgruppen aus Holz. Man sieht, an monumentalen Aufgaben fehlte es nicht mehr, wohl aber noch immer an einem monumentalen Stil.

      Bis zu diesem Punkt war der Stand der Plastik in Deutschland, Frankreich, Italien ungefähr gleich hoch oder niedrig gewesen, in Deutschland vielleicht etwas höher sogar als in den anderen Ländern trotz deren älterer Kultur. Der monumentale Stil ist die alleinige Schöpfung