Georg Dehio

Kunsthistorische Aufsätze


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gewesen. Das christliche Zeitalter wusste auch die altgermanische Freude an kunstvoll bearbeiteten Edelmaterialien auf den kirchlichen Zweck hinzulenken. Als liturgisches Prachtgerät und Priesterornat fanden die Kleinkünste ihre würdigste Verwendung. War doch das ganze Kirchengebäude nur Rahmen für das glänzende Bild des Altardienstes.

      Das Kunstgewerbe, technisch in eine Menge von Gattungen gespalten, steht ästhetisch unter demselben Grundgesetz wie die Architektur und ist auch historisch mit deren Stilentwicklung eng verbunden, nur dass das Verhältnis von Geben und Nehmen ein anderes auf den primitiven als auf den hochentwickelten Kunststufen ist. In der frühromanischen Epoche arbeitete das Kunstgewerbe der Architektur vor in der Schaffung ornamentaler Motive, in der gotischen wurden selbst in dieser Welt des Kleinen die Strukturformen der Architektur repetiert, natürlich auf winzigen Maßstab herabgedrückt. Noch größer ist die Abhängigkeit der Bildhauerkunst; lange Zeit existierte sie überhaupt nur in der kunstgewerblichen Hülle. Ja, auch die am meisten gepflegten Gattungen der Malerei, die gewebten und gestickten Darstellungen, die man bezeichnend unter dem Namen Fadenmalerei zusammenfasst, die Emailmalerei, die Glasmalerei, im Grunde auch die Buchmalerei, sie sind nicht nur im äußeren Betrieb, sondern auch nach ihrem inneren Stilgesetz Kunstgewerbe, d. h. nicht »freie«, sondern »angewandte« Kunst, und der sichere Takt in der Findung und Anwendung dieses Gesetzes ist eine der schönsten Seiten der mittelalterlichen Kunst. Ferner ist den Kleinkünstlern, besonders wieder in der Frühzeit, die wichtigste Vermittlerrolle zwischen räumlich entfernten Kunstgebieten zugefallen. Was der romanische Stil des Abendlandes von Byzanz und dem Orient aufgenommen hat, kam großenteils auf diesem Weg. Endlich liegen auf diesem Gebiet auch die Keime der an der Grenze zur Neuzeit sich selbständig machenden reproduktiven Künste: der Zeugdruck und die Schablonen der Sticker sind Vorläufer des Holzschnittes, die Gravierungen der Goldschmiede Vorläufer des Kupferstichs. So ist das Kunstgewerbe gleichsam die mikrokosmische Zusammenfassung aller übrigen Künste. Man kennt das Mittelalter nicht, wenn man nicht sein Kunstgewerbe kennt.

       Inhalt

      ÜBER DIE GRENZE DER RENAISSANCE GEGEN DIE GOTIK

      (1900)

      Das ablaufende Jahrhundert hat keinem Gebiet der Kunstgeschichte mehr Liebe und Arbeitseifer zugewandt als der Renaissance. Das Schlussergebnis aber muss ein seltsames genannt werden. Es ist Infragestellung des Grundbegriffes. Immer mehr Stimmen werden laut, die ihn dringend der Reform für bedürftig erklären; es sei ein unvollständiger Begriff gewesen, womit wir uns bisher behalfen; er müsse inhaltlich tiefer genommen und darum auch in seinen historischen Grenzen weiter gefasst werden. [Allein das verflossene Jahr hat drei hierauf bezügliche Reformschriften gebracht: August Schmarsow, Reformvorschläge zur Geschichte der deutschen Renaissance (Berichte der k. sächsischen Gesellsch. d. Wissensch. 1899); Erich Haenel, Spätgotik und Renaissance, Stuttgart 1899; Kurt Moritz Eichborn, Der Skulpturenzyklus in der Vorhalle des Freiburger Münsters, Straßburg 1899. Die folgende Erörterung beschäftigt sich nur mit dem allgemeinen, allen drei Arbeiten gemeinsamen Problem. Auf die Einzelheiten, auch wo sie zu kritischem Widerspruch auffordern, gehe ich nicht ein.]

      Der hiermit für überlebt erklärte Begriff war ausgegangen von der Umwälzung der Architektur unter dem Einfluss der Antike; dann wurden die Schwesterkünste angeschlossen; endlich als gemeinsamer Untergrund eine spezifische Renaissancekultur entdeckt. Alles dies Erzeugnis und Eigentum des modernen italienischen Geistes, aber mannigfach gefärbt durch die »Wiedergeburt des Altertums«, was hier in Italien jedoch nichts anderes war als das Zurückgreifen auf die nationale Vergangenheit. Später trat noch eine deutsche, französische usw. Renaissance hinzu, als Umbildung der nordischen Kunst und Kultur unter italienischem Einfluss. Wie man sieht, lässt diese Begriffsbildung an innerer Präzision und straffer, konzentrischer Fügung nichts zu wünschen übrig. Etwas ganz anderes ist diejenige »nordische Renaissance«, von der man seit 10 bis 15 Jahren bei uns zu sprechen begonnen hat. Sie soll gerade das selbständige Erwachen des modernen Geistes in der Kunst der germanischen Völker – von den van Eycks an oder, wie neuestens behauptet wird, noch früher – bedeuten und die neugeschaffene Gesamtrenaissance soll bis zum Beginn der »archäologischen Renaissance«, d. h. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dauern.

      Lassen wir die Benennungsfrage einstweilen [beiseite]. Sachlich enthält die These etwas unbestreitbar Wahres und [einen] wertvollen Fortschritt der historischen Ansicht. Die Kunst des 15. Jahrhunderts ist auch im Norden nicht mehr einfach Mittelalter, sie befindet sich zum italienischen Quattrocento nicht im Gegensatz, wie man es früher darzustellen liebte, sondern in Parallele. Indem wir dieses Sachverhältnis anerkennen – und wer wird es nicht anerkennen? – geben wir auch das Bedürfnis zu, ihm in der stilgeschichtlichen Terminologie einen passenden Ausdruck zu verschaffen. Über die Problemstellung also werden wir alle einig sein. Dass aber die vorgeschlagene Übertragung des Namens Renaissance eine gute Lösung sei, bestreite ich sehr entschieden.

      Betrachten wir sie zuerst von der Zweckmäßigkeitsseite her. Da ist doch wohl eine der beherzigenswertesten Warnungen für jede wissenschaftliche Terminologie: quieta non movere. Wenn einem stilistischen Terminus, der lange Zeit unverändert im Gebrauch gewesen ist – in unserem Fall so lange, als es eine Kunstwissenschaft gibt – ein neuer Sachinhalt untergeschoben wird, so werden Missverständnisse an der Tagesordnung sein, bis der ältere Sprachgebrauch völlig verdrängt ist. Schwerlich aber werden die Reformfreunde uns das in Aussicht stellen können. Wir werden es immer mit zwei Renaissancebegriffen zu tun haben, einem engeren (dem alten) und einem weiteren (dem neuen), und es wird eine stete Verlegenheit sein, wie man den Hörer oder Leser vor Verwechslung behüten soll. Eine vorhandene Terminologie verbessern heißt: sie verschärfen, verdeutlichen. Wir sind deshalb immer weiter in der Differenzierung gegangen. Wir unterscheiden heute genau zwischen altchristlichem, byzantinischem, romanischem Stil, die vor 50 Jahren noch als Einheit erschienen; wir haben die süd- und nordniederländische Malerei trennen gelernt; wir haben uns bemüht, das Barock von der Renaissance zu sondern und vom Barock das Rokoko und den Zopf. Was jetzt gefordert wird, ist das Gegenteil von Differenzierung. Indem die Grenzen der Renaissance einerseits tief ins Mittelalter zurückgeschoben, andererseits bis ans Ende des 18. Jahrhunderts vorgerückt werden, wird der ganze Begriff in eine andere Kategorie gestellt. Er umfasst nicht mehr einen geschlossenen Stil, sondern ein langgedehntes Zeitalter; er steht nicht mehr parallel den Begriffen »romanisch«, »gotisch« usw., sondern parallel dem Begriff »Mittelalter«, ist also nur ein anderer Ausdruck für das, was wir sonst »Kunst der Neuzeit« nennen. Was kann man praktisch mit einer Stilbezeichnung anfangen, unter deren Dach die van Eycks, Raphael und Rembrandt, das Ulmer Münster, die Peterskirche in Rom und der Zwinger in Dresden gleichmäßig Platz finden? Gesetzt, die Reform dränge durch, was wird man sich künftig dabei noch denken können, wenn von einer Statue, einem Möbel, einem Ornament gesagt wird, ihr Stil sei der der Renaissance?

      Aber sehen wir auch von diesen weiteren Konsequenzen ab – obschon sie unvermeidlich sind – und fassen allein das 15. Jahrhundert ins Auge, so muss auch hier die Mangelhaftigkeit einer Terminologie, welche die italienische und die nordische Kunst unter einen Namen stellen will, einleuchten. Denn selbstverständlich könnte der Begriff nur aus solchen Eigenschaften bestimmt werden, die beiden Teilen gemeinsam sind; was aber nicht gemeinsam ist, hätte mit ihm nichts zu tun. Nichts zu tun also hätte mit diesem Renaissancebegriff die Antike; nichts zu tun die bisher sog. Renaissancekultur, da sie für den Norden im 5. Jahrh. nicht besteht; ja nichts zu tun sogar ein großes Gebiet der Kunst selbst, nämlich die tektonischen Künste, welche im Süden handgreiflich von der Antike abgeleitet, im Norden unerschüttert gotisch sind. Genug, es blieben als einzige, weil allein beiderseits verwendbare Bestimmungen: der Realismus und Individualismus. Ihre Wichtigkeit für die Renaissancekunst ist längst erkannt. Aber unmöglich können sie allein die Renaissance zur Renaissance machen, wie es auch nicht die Renaissance allein ist, die auf sie Anspruch erheben kann.

      Dies führt uns zu den materiellen Irrtümern der neuen Lehre hinüber. Die heute beliebte Meinung von der Unerheblichkeit der Antike [Noch schärfer Moriz-Eichborn a. a. O. S. 337: »Die Antike hat zur Entwicklung der Renaissancekunst des 15. Jahrhunderts nicht das mindeste beigetragen.«] für die genetische Erklärung der Renaissance ist ebenso einseitig,