Nadja Christin

Natascha


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aus weiter Entfernung und so leise, dass selbst ich es kaum verstehen kann, höre ich ihre Stimme in meinem Kopf:

       Was für eine Chance?

      »Du hast die Wahl, Kleines. Du musst dich für eine Seite entscheiden. Ist es die Schlechte, die du bereits betreten hast, oder die Gute, deren Weg du noch nicht kennst? Es liegt nun an dir, meine süße, kleine mellila.«

      Ihre Lippen zittern, es dauert nicht mehr lange und sie kann sich wieder bewegen. Es wird Zeit.

      Ich krame aus meiner Jackentasche ein Feuerzeug hervor, halte es mir vor das Gesicht.

      »Feuer«, krächze ich heiser, »hat eine reinigende Wirkung, wusstet du das?« Mit einem hämischen Grinsen blicke ich auf sie herab.

      Schneller, als ich es registrieren könnte, packt sie mich am Hals, die kleinen Finger drücken zu. Aber ihre Kraft ist noch nicht wieder da, es ist so, als würge mich ein kleines Kind.

      Dabei bleibt ihr Gesicht, ihre Augen völlig ausdruckslos.

      Mit dem Daumen öffne ich die Schutzkappe, drehe das Reibrad des Zippos. Funken spritzen umher, dann zuckt die Flamme vor meinem Gesicht auf und ab.

      Ich hasse dich … höre ich sie in meinem Kopf flüstern.

      Ich beuge mich näher zu ihr herab, lächle leicht.

      »Und ich liebe dich. In perpetuum, bis über den Tod hinaus. Meine süße, kleine mellila.«

      Dann lasse ich das Zippo fallen.

      Es ertönt ein hohles Geräusch, als es auf den Boden aufschlägt. Sofort steht alles um uns herum in Flammen.

      Ich habe Benzin ausgekippt, jede Menge von dem Zeug. Woher ich allerdings wusste, dass sie genau diese bestimmte Gasse nehmen wird, weiß ich nicht, ich ahnte es vielleicht nur.

      Die Flammen fressen sich durch ihre Kleidung, verbrennen sie.

      Natascha reißt den Mund auf, ich kann die spitzen Zähne sehen. Eine Feuersäule schießt aus ihrem Inneren. Sie brennt viel schneller, als ein Mensch. Gut so, denke ich bei mir und betrachte ihre bereits verkohlte Haut, so geht es rascher.

      Aber auch ich werde ein Fest für die Flammen, sie züngeln an meinem Körper empor, fressen sich durch mich hindurch, verschlingen mich mit Haut und Haaren.

      Die Schmerzen, die zuerst nur ein weit entferntes Pochen sind, werden immer schlimmer, ich darf mich nicht wehren, sonst spüre ich das alles noch stärker. Ich muss mich dem hingeben.

      Erschöpft lasse ich mich auf ihre Schulter sinken, die Flammen schlagen über mir zusammen, Funken und Glut spritzen nur so umher. Es wird gleich vorbei sein, denke ich, hab keine Angst, bald sind wir erlöst.

      Die Dunkelheit wird stärker, ich versuche die Augen zu öffnen. Ich möchte so gerne noch einmal in ihr hübsches Gesicht blicken, aber es ist nichts mehr da, womit ich sehen könnte.

      Ich liebe dich, meine süße Kleine … denke ich noch.

      Mit einem Mal höre ich zart und leise, ihre Stimme, sie flüstert: Ich liebe dich, mein Geliebter. Für immer, für ewig, auch über den Tod hinaus, das schwöre ich dir.

      Ich lächele und gebe mich endgültig der Dunkelheit hin, was immer mich auch erwartet … ich bin bereit.

      *

       Natascha:

      Dunkelheit und Schwärze sind um mich herum. Dieses unerträgliche Gefühl zu fallen, ein grausamer Sog, der mich scheinbar in eine unendliche Tiefe reißt.

      Geräusche dringen plötzlich zu mir durch, langsam wird es heller. Ich kneife die Augen zu, ganz fest.

      »Ansgar, wo bist du nur?«, schreie ich.

      Stille.

      Plötzlich eine Stimme, sie klingt erstaunt und kommt mir sehr bekannt vor, so vertraut.

      »Das glaube ich ja nicht.«

      Erschrocken reiße ich meine Augen auf, blicke mich um.

      »Ich auch nicht …«, murmele ich und bin vollkommen fassungslos.

      Ich sehe Josh vor mir, seine Haut ist schwarz, wie verkohlt sieht er aus.

      Ein Lächeln überzieht sein Gesicht, er drückt mich an sich, atmet tief ein, ich kann es hören und spüren. Ein weiteres Paar Arme schlingen sich um uns herum.

      »Es ist schön, dass du wieder da bist«, höre ich jemanden flüstern. Nur ganz langsam wird mir bewusst, dass ich diese Stimme kenne, es ist Nicki.

      Ich taste umher, will ihn spüren. Ich brauche eine Bestätigung, dass ich nicht träume. Ich ertaste eine Hand, drücke sie fest.

      »Wer hat mich zurückgeholt?«, frage ich und höre, dass meine Stimme klingt, als käme sie aus den Tiefen der Hölle.

      Ganz plötzlich höre ich jemanden rufen, es scheint aus meinem Kopf zu kommen. Laut und kraftvoll brüllt er, schreit mich an:

       Du musst dich entscheiden. Welche Seite wirst du wählen? Die Gute? Die Böse? Bedenke, von deiner Entscheidung hängt dein Leben ab.

      Ich schnappe nach Luft, es fühlt sich an, als stehe ich kurz vor einem Erstickungstod.

      »Josh«, haucht in diesem Moment Nicki dicht neben mir.

      »Er hat dich aus dem Feuer geholt und dir sein Blut gegeben. Er hat dich gerettet.«

      Ich seufze auf, schmiege mich eng an meinen alten Freund.

      Die Stimme kreischt mich an: Deine Entscheidung, denk daran.

      »Danke schön, Josh«, hauche ich, »du hast mir das Leben gerettet.«

      Ich höre jemanden in meinem Kopf seufzen, er klingt zufrieden und irgendwie … erleichtert.

      Dann kehrt Stille ein.

      Josh küsst mich aufs Haar.

      »Ich liebe dich, meine Süße«, wispert er in mein Ohr. Ich streichele über seinen Arm, fühle das verbrannte Fleisch unter meinen Fingern.

      »Danke schön.«

      Abrupt hebe ich meinen Kopf.

      »Was ist eigentlich geschehen?«, frage ich und bin insgeheim froh, das Thema wechseln zu können.

      Nicki erhebt sich stöhnend, zieht Josh und mich mit hoch.

      »Das, meine Kleine, ist eine echt lange Geschichte. Die erzählen wir dir erst nach einer ausgiebigen Dusche.«

      Ich blicke an mir und auch an meinen beiden Freunden hinunter, kichere hinter vorgehaltener Hand.

      »Du hast recht, Nicki, eine Dusche wäre toll.«

      Beide legen die Arme um meine Schultern, gemeinsam gehen wir in Richtung Joshs Hexenladen.

      Die Aussicht auf eine kochend heiße Dusche, die den ganzen Dreck und auch meine mehr als merkwürdigen Gedanken von mir spült, treibt mich vorwärts.

      Ich sehe immer wieder seltsame Bilder vor meinen Augen auftauchen, gemein und blutig. In rascher Folge ziehen sie an mir vorbei. Sie sind so schnell, dass ich der Handlung, falls das Ganze einen Sinn ergeben soll, kaum folgen kann.

      Immer wieder sehe ich Nicki, mich, einige andere und sogar Josh. Blut ist um uns herum, es spritzt förmlich vor meinen Augen, wie aus einer Vene, die aufgeschlitzt wurde.

      Auf einigen Bildern, die wie eingefroren wirken, entdecke ich Vampire und wie sie sich an jungen Mädchen vergehen. Sogar Nicki, bemerke ich mit Entsetzen, nimmt sich mit Gewalt eines der blonden Dinger.

      Die Bilder verlassen mich nicht, selbst dann noch nicht, als ich bei Josh unter dem heißen Wasser stehe und es über meinen geschundenen Körper fließen lasse.

      Auch ein paar Tage später begleiten die grausamen Eindrücke