Nadja Christin

Natascha


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ihre Lippen voneinander lösen.

      »Bring sie um … für mich.«

      Nicki wirft einen Blick auf die Blondine, sie ist bereits mehr tot als lebendig. Aus der großen Halswunde fließt unaufhaltsam Blut, ihre Haut hat die Farbe frischer Milch angenommen. Der Atem geht nur noch stoßweise, langsam und röchelnd. Das Mädchen ist zu keiner Gegenwehr mehr bereit oder fähig, sie hat sich ihrem Schicksal hingegeben.

      Er zieht sich zurück und zerrt seine Hose hoch. Leise knurrend schließt er seinen Gürtel, hebt den Kopf und sieht Natascha an.

      Sein Blick ist wütend, aber auch verletzt und gekränkt.

      »Du willst, dass sie stirbt?«, zischt er, lässt ihr keine Chance auf eine Antwort.

      »Dann mach es selbst.«

      Er dreht sich um und geht mit festen Schritten die ausgetretenen Stufen empor.

      »Nicki …«, ruft Natascha ihm herrisch hinterher, er reagiert nicht. Sie kreischt ein weiteres Mal, aber auch dieser Ruf geht ins Leere.

      Krachend schließt sich hinter dem dunkelhaarigen Vampir die Türe. Er hat ihren Befehl nicht ausgeführt, sich ihr widersetzt.

      Natascha ballt die kleinen Hände zu Fäusten.

      »Na warte«, ihre Stimme ist heiser und gepresst vor Zorn.

      »Das wirst du mir büßen.«

      Mit dem Fuß stößt sie das arme Mädchen von der Motorhaube, sie rutscht über das Metall und prallt stöhnend auf den Boden.

      Natascha richtet den Lauf ihrer Waffe auf die Blondine.

      »Nein, bitte … nicht«, krächzt sie und hält abwehrend ihre Hände hoch. Ihr Blick ist flehend, aber er trifft nur auf eine dunkle Wand. Eine undurchdringliche Schwärze, in der kein Mitleid für Ihresgleichen existiert, keine Barmherzigkeit zu erwarten ist.

      Die Vampirin drückt den Abzug durch, die MP spuckt eine tödliche Salve aus. Das Mädchen zuckt wild, als die Kugeln sie treffen.

      Dann ist alles still.

      »Na also geht doch.« Natascha dreht sich um, legt den Lauf der Maschinenpistole über ihre Schulter und geht zurück in das Haus der Bande von Vampiren, die jetzt zu ihr gehören.

      *

      Sie essen und trinken sich satt an den Überresten der Menschen. Immer wieder albern die Vampire herum, legen sich Fleischfetzen auf den Körper, binden sich ausgerissene Mädchenhaare um oder versuchen einen abgeschlagenen Kopf auf der Stirn zu balancieren. Sie feiern ausgelassen eine blutige Party, auch der Alkohol fließt reichlich. Das gesamte Haus erzittert, die Vampire grölen und rufen lautstark.

      Natascha hat sich mit dem bulligen Vampir, dem ehemaligen Anführer der Bande, in eine ruhige Ecke zurückgezogen.

      Sie breitet auf dem einzig sauberen Tisch einen Stadtplan der Gegend aus. Ihr Blick geht kurz zu dem Vampir, der vor ihr sitzt und wie erstarrt auf den Plan sieht.

      »Sag mal, wie heißt du denn nun wirklich?«, die Vampirin lächelt schief.

      Der Kerl räuspert sich umständlich.

      »Mein Name ist Collin«, er grinst verlegen, »der ist mir eben tatsächlich nicht mehr eingefallen.«

      Natascha zuckt mit den Schultern.

      »So etwas geschieht, wenn man in die Finsternis blickt.«

      »Ja«, knurrt Collin, »das war echt … nun ja, ich möchte es nicht noch einmal mitmachen. Ich hab mich gefühlt wie …«

      »Keine Sorge, Junge«, unterbricht Natascha ihn, »das wirst du auch nicht.«

      Collin atmet sichtbar auf.

      »Und nun zur Sache«, die kleine Schwarzhaarige deutet auf den Plan, der vor ihnen liegt.

      »Sag mir, wo sich der Hohe Rat der Vampire im Moment aufhält.«

      Schelmisch grinsend beugt sich Collin zu ihr herüber.

      »Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet ich das wissen könnte?«

      Sie lehnt sich entspannt in ihrem Stuhl zurück, ein selbstgefälliges Grinsen auf ihrem schmalen Gesicht.

      »Ich weiß es eben. Und jetzt raus mit der Sprache, sonst zwingst du mich zu einer Lüge.«

      »Hä?«, Collin hebt fragend die Augenbrauen.

      »Ich sagte eben erst, dass du nicht mehr in die Finsternis blicken brauchst … Sollte das eine Lüge gewesen sein?«

      Der bullige Vampir schluckt trocken, sein weißes Gesicht wird noch eine Spur heller.

      »Alles, bloß das nicht.« Er tippt ein paar Mal mitten auf den Stadtplan.

      »Der Hohe Rat tagt meist in den unterirdischen Gewölben des Rathauses. Aber zurzeit befindet er sich …«

      Collins Finger kreist über dem Papier, so als suche er die genaue Stelle.

      »Hier«, er hält die Fingerspitze auf den Plan gedrückt. Natascha beugt sich vor, um die genaue Stelle zu erkennen und sich zu merken.

      »Alles klar, bei Tagesanbruch geht’s los.«

      Natascha lehnt sich entspannt im Stuhl zurück, nimmt sich ein Glas, das mit frischem Blut gefüllt ist, das Blut eines der Opfer hier.

      Ihre schwarzen Augen fixieren Collin, es dauert einige Sekunden, dann wird der stämmige Vampir unruhig. Ihm ist nicht wohl dabei, diese düstere Verdammnis, die in ihrem Blick liegt, es schreit geradezu nach Tod und Verderben.

      »Was ist?«, fragt er und zwingt sich dazu freundlich zu bleiben.

      »Deine Männer«, flüstert Natascha, »kann man sich auf sie verlassen?«

      Collin dreht sich um, betrachtet die Vampire, die nach wie vor ausgelassen in dem alten Haus herumtanzen.

      »Sie standen immer loyal und wie eine Wand hinter mir. Ich denke, jetzt werden sie dir ebenso treu ergeben folgen. Vor allem …«, der Blutsauger gerät ins Stocken, als er wieder in Nataschas Blick zu ertrinken droht.

      »Ja? …Vor allem …?«, hilft sie ihm auf die Sprünge.

      Er schluckt trocken.

      »N-Nichts. E-Es ist schon okay.« Collin will sich erheben, er muss dringend etwas trinken.

      Natascha packt ihn am Handgelenk, zerrt den Vampir zurück auf seinen Stuhl, als wenn es nichts wäre.

      »Vor allem …Was?«, zischt sie gefährlich leise, »sprich, oder ich reiße dir den Kopf ab und verfüttere ihn an Stevy, der steht auf so was.«

      Collin wirft einen flüchtigen Seitenblick auf den großen Vampir, der gerade das austretende Blut aus einem abgerissenen Bein trinkt. Ben, Mikka und Nicki stehen um ihn herum und feuern ihn an:

      »Los, alles auf einmal, Junge … Du schaffst das … Trink, trink, trink.«

      »Ich werde nicht noch einmal fragen«, knurrt die Vampirin und drückt Collins Handgelenk noch fester zusammen. Es beginnt bereits leise zu knirschen, nicht mehr lange und sein Gelenk wird mit einem lauten Krachen brechen.

      »Schon gut«, murmelt er und versucht ihre Hand abzustreifen. Aber sie lässt nicht locker.

      Der Vampir holt tief Luft, warum zum Teufel kann ich mein Maul nicht halten, denkt er bissig.

      Laut sagt er:

      »Es war nicht so gemeint, Natascha. Aber … du musst zugeben … wir folgen dir, wegen … nun ja, weil du die Dunkelheit in uns erweckt hast. Nicht …«

      Collin streicht sich über den Nacken, er befürchtet, wenn er ihr die Wahrheit sagt, dass seine Sekunden, die er auf der Erde verweilen darf, gezählt sind.

      »Sprich weiter!«, knurrt sie.

      »Lass mich zuerst los.«