Nadja Christin

Natascha


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zusammengekniffenen Augen betrachtet Natascha ihn. Er hält ihrem Blick stand.

      Das stumme Duell dauert nur Sekunden, aber Collin erscheint es wie Stunden, Tage, gar Jahre, in denen über sein Dasein entschieden wird.

      Langsam löst die Vampirin den eisenharten Griff um sein Gelenk.

      Rasch zieht er die Hand an seinen Körper, reibt sich über die schmerzende Stelle.

      »Rede. Jetzt!«, ihre Wut ist fast spürbar.

      »Die Jungs sind mir gefolgt, weil sie mich respektierten«, beginnt Collin und hat das unbestimmte Gefühl, selbst sein Schicksal besiegelt zu haben.

      »Sie fürchteten mich nicht. Die Kerle wussten, dass sie mir vertrauen konnten. Bei dir hingegen ist es eher die Angst, die sie … und auch mich, antreibt. Ich denke, du wirst nicht einen hier finden, der sein Leben für dich opfern würde. Freiwillig, meine ich. Nicht, weil du es ihm befiehlst und ihn mit deinen toten Augen ansiehst.«

      Zitternd atmet Collin ein, er hat echte Angst, wie wird diese Ausgeburt der Hölle reagieren? Tötet sie ihn, oder hat er wenigstens einmal in seinem Dasein Glück.

      Natascha lehnt sich nach vorne, gegen die Tischplatte, verbirgt ihre Hände darunter.

      »Du denkst also, sie hören nicht auf mich?«

      »Doch schon. Aber nur, wenn du sie mit … mit deinem Blick bannst.«

      Natascha lacht trocken auf.

      »Was bin ich? Ein Hypnotiseur?«

      Collin zuckt mit den Schultern.

      »So in etwa.«

      »Wer ist deine rechte Hand?«, fragt Natascha leise, »oder war es, bevor ich kam.«

      Der Vampir sieht sie verwirrt an.

      »Max«, krächzt er, »der war immer mein Vertreter.«

      »Ruf ihn!«, zischt die Schwarzhaarige, ohne Collin aus den Augen zu lassen.

      »Max«, erklingt seine Stimme laut durch das Haus. »Komm mal her.«

      Es dauert nicht lange und ein junger Vampir mit schwarzen Haaren steht vor ihrem Tisch.

      »Was gibt’s?«

      »Max?«, fragt Natascha ohne Collin aus den Augen zu lassen.

      »Hmm?«, brummt der Junge.

      Die Vampirin deutet auf ihren Gegenüber.

      »Töte ihn!«

      »Was?«, rufen Collin und Max gleichzeitig.

      »Du sollst deinen ehemaligen Boss umbringen. Was ist daran nicht zu verstehen?«

      Langsam, mit äußerster Vorsicht erhebt sich Collin, sein Blick zuckt zwischen Natascha und Max hin und her.

      »Du bist völlig wahnsinnig.«

      Natascha grinst nur boshaft.

      »Was ist denn hier los?«

      Nicki steht mit verschränkten Armen vor ihnen, sieht einen nach dem anderen an.

      »Was zieht ihr hier für eine Nummer ab?«

      Die Augen der kleinen Schwarzhaarigen lösen sich widerstrebt von Collins, wandern zu Nicki.

      »Meine Herrschaft scheint zu bröckeln. Ich wollte nur sehen, ob sich plötzlich jeder hier widersetzt.«

      Natascha steht auf, durchquert den blutbesudelten Raum. Mit einem Ruck öffnet sie die Türe und schlägt sie hinter sich krachend ins Schloss.

      Collin lässt sich aufatmend zurück auf den Stuhl sinken, stützt die Arme auf und schlägt sich die Hände vor das Gesicht.

      »Was zum Teufel war denn los?« Nicki tippt Max auf die Schulter. Der junge Vampir antwortet leise:

      »Sie wollte das ich ihn töten«, dabei zeigt er auf Collin, seine Fingerspitze zittert leicht. Sogleich zieht er die Hand zurück. Mit großen Augen sieht er zu Nicki.

      »Sie hat den Verstand verloren. Stimmt’s?«

      Der alte Vampir, der in seinem Dasein schon so viel gesehen hat, zuckt mit den Schultern.

      »Ganz normal ist sie wohl nicht mehr. Aber wer kann das schon von sich selbst behaupten.« Nicki lächelt flüchtig.

      »Hättest du es denn getan?«

      Auf Max’ fragenden Gesichtsausdruck hin, fährt er fort:

      »Deinen Boss getötet, hättest du es gemacht?«

      Der Junge scheint einen Moment nachzudenken, bevor er antwortet:

       »Nein. Verdammt, ich … ich weiß es nicht. Ich war nur froh, dass du so plötzlich erschienen bist.«

      »Ja«, knurrt Nicki und wird mit einem Mal so wütend, wie noch nie zuvor, in seinem langen Dasein.

      »Ich bin wohl der Retter der Blutsauger.«

      Er dreht sich auf dem Absatz um, geht in Richtung Ausgang.

      *

       Nickis Erwachen:

      Tief atme ich die kühle Morgenluft ein, der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern, ich kann ihn schon riechen.

      Natascha sitzt auf der Motorhaube des Mustangs, ihr zarter Rücken mir zugewendet. Tief atme ich die frische Luft ein, bevor ich die Holzstufen herunter und auf sie zu gehen, meinem Schicksal entgegen.

      Dem toten Mädchen, das vor dem Wagen auf dem Boden liegt, würdige ich nur einen flüchtigen Blick. Ich weiß nicht mehr, warum ich mich weigerte, sie zu töten. Vielleicht hat das schwarzhaarige Biest mich mit ihrem Befehl verletzt.

      Dabei ist es noch nicht lange her, da habe ich alles genauso erledigt. Mädchen und Frauen geschändet, nur zu meinem eigenen Vergnügen und um mein vor Begierde strotzendes Monster in mir ruhigzustellen. Die Befriedigung, die mir ihre zarten, zerbrechlichen Körper verschafften, konnte nur durch einen Biss in ihr Fleisch gesteigert werden. Es war mir gleich, wohin ich meine Zähne schlug, lediglich ihr Blut stillte meine Gelüste. Weitaus bestialischer, als es heute geschehen ist, habe ich mich früher der Weiber angenommen.

      Ich bin eine fleischgewordene Bestie, ein Mörder und Vergewaltiger. Dennoch ist es mir unerklärlich, wieso ich es nicht übers Herz brachte, das junge Mädchen zu töten. Ich weiß nur, dass ich mich weigerte und hinterher fühlte ich mich gut, besser denn je.

      Nachdenklich betrachte ich Nataschas Rückenansicht.

      Seit ich meine Zähne in ihr totes Fleisch versenkte und sie mich ebenso biss, kommt es mir vor, als könnte ich nicht mehr selbstständig denken. Sie hat scheinbar alles in mir ausgelöscht, jede Eigenständigkeit. Aber jetzt ist es so, als erwache ich aus einem tiefen, komatösen Schlaf. Mit einem Mal kann ich erkennen, was sie in Wirklichkeit ist: eine überaus böse Erscheinung.

      Ich mochte sie, liebte sie vielleicht sogar. Aber all das wird verdrängt, von einem enormen Hassgefühl, das gerade mit tödlicher Langsamkeit meine Eingeweide hochkriecht.

      Von meinen Empfindungen überrascht, schnappe ich keuchend nach Luft, meine Hände ballen sich wieder und wieder zu stahlharten Fäusten.

      »Bist du ein Freund oder mein Feind?«, fragt Natascha mit einem hämischen Unterton.

      Ich zwinge mich dazu, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

      »Was bist du für … mich?«

      Geschmeidig springt die Vampirin von dem Wagen herunter, geht lässig auf mich zu.

      »Sieh mich an, Nicki«, haucht sie, als sie dicht vor mir steht. Aber ich presse die Lider zusammen und schüttele stumm den Kopf. Ich will sie nicht ansehen, zu groß ist meine Furcht erneut in ihre dunklen Tiefen hinabzustürzen. Ich werde es nicht noch einmal zulassen, dass sie meinen Verstand umnebelt und mich meiner eigenen Entscheidungen beraubt.