Nadja Christin

Natascha


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      Aber auch Natascha wird getroffen, die Schrotmunition reißt ihren Bauch auf, Blut quillt unaufhörlich aus der großen Wunde. Sie presst eine Hand dagegen, ihr schmaler Körper scheint zusammenzuklappen. Hasserfüllt ist der Blick, den sie den Vampiren zuwirft.

      »Ich wollte euch die Freiheit schenken, aber ihr seid wohl lieber Gefangene …«

      Nicki hebt den Kopf, sieht sie von unten her an.

      »Verschwinde besser, Schätzchen. Es ist nicht der Zeitpunkt, große Reden zu schwingen. Geh.«

      »Das … das werdet ihr mir büßen«, krächzt sie, legt sich den Tragegurt der MP um und verlässt stolpernd das Gelände.

      *

      Die Bauchwunde verheilt rasch, aber ihre Wut wird nur größer, je länger sie darüber nachdenkt. Was wollte sie nicht alles erreichen. Zusammen mit den Blutsaugern dieser Stadt hatte sie vor den Hohen Rat zu stürzen, selbst die Macht an sich zu reißen … es wäre ein Leichtes geworden.

      Warum nur haben diese Idioten plötzlich ein Gewissen?

      Es war Stevy, der mich ablenkte, als er mit Collin durch die Fensterscheibe flog. Warum war es ausgerechnet mein zweitbester Mann.

      Ich hätte dieses Bübchen Max sofort abknallen sollen, das war mein Fehler, damit so lange zu warten.

      Und Nicki erst … Die Vampirin ballt voller Wut ihre Hände zu Fäusten, knirscht mit den Zähnen. Wieso er? Er hätte meine rechte Hand werden können, alle Blondinen in dieser Stadt würden ihm gehören, wieso war er nur so … so menschlich?

      Die schwarzhaarige Vampirin strafft die Schultern, geht langsam an den vielen schmalen Gassen entlang, die allesamt hinauf in die Stadt führen.

      Natascha aber will die letzte Gasse nehmen, um wieder in die City zu gelangen, mit dieser Entscheidung besiegelt sich ihr Schicksal.

      *

       Ansgar:

      Ich kann sie schon riechen, atme ihren Duft tief ein, filtere ihn aus den anderen stinkenden Gerüchen die mich umgeben heraus. Da ist er endlich wieder. Mir scheint, als sei es eine Ewigkeit her, dass ich ihn zuletzt gerochen habe. Sie kommt in meine Richtung, gleich wird sie die Gasse entlanggehen, in der ich stehe und auf sie warte.

      Ihre Schritte sind schleppend, als trage sie eine schwere Last auf ihren Schultern. Eng presse ich mich gegen die raue Hausmauer, ich will nicht, dass sie mich zu früh entdeckt.

      Langsam geht sie an mir vorbei, ihre Augen stur geradeaus gerichtet, sie sieht nicht in meine Richtung. Ich kann nur einen flüchtigen Blick in ihr Gesicht und auf ihre Gestalt werfen. Aber das alleine reicht aus, um Eiswasser durch meinen Körper fließen zu lassen. Ein Gefühl, als müsse ich nach Luft schnappen, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

      Zum ersten Mal bin ich froh, tot zu sein.

      Ich trete aus meiner Deckung heraus, stelle mich breitbeinig mitten in die schmale Gasse.

      »Natascha«, rufe ich laut und versuche das schmerzende Gefühl in mir zu ignorieren.

      Sie bleibt abrupt stehen, die Arme baumeln an ihrem zierlichen Körper herab.

      Ansgar …? Höre ich sie fragen und bin mir nicht sicher, ob sie es nur gedacht, oder gesagt hat.

      Aber das kann doch nicht sein, wir waren eine Zeit lang getrennt, ich kann nicht mehr ihre Gedanken hören.

      Das glaube ich nicht, erklingt es leise in meinem Kopf. Ich bin so entsetzt, dass ich fast vergesse, warum ich hier bin.

      Zögernd und viel zu langsam dreht sie sich um. Das Gefühlschaos in mir drin ist unbeschreiblich.

      Ich liebe sie, das weiß ich genau. Aber die Vampirin Natascha liebe ich und nicht dieses … dieses Ding da vor mir. Sie ist nicht das Mädchen, das mit mir einst die Augen der engen Verbundenheit teilte, deren Gedanken ich hören, sogar spüren konnte. Der Blutsauger in der engen Gasse ist nichts von alle dem.

      Was da vor mir steht, ist mein Feind, mein persönlicher Untergang, etwas, das ich unbedingt vernichten muss … töten will.

      Ein überaus hämisches und gemeines Grinsen breitet sich auf ihrem sonst so hübschen Gesicht aus. Dazu funkeln mich ihre schwarzen Augen an, als wollten sie mich durchbohren.

      »Ansgar, was für eine … hm … nette Überraschung.«

      Ihre Stimme ist fast nicht wiederzuerkennen, sie klingt, als käme sie direkt aus den Tiefen der Hölle. Obendrein höre ich ihre wahren Gedanken, die sich in die Windungen meines Gehirns einfressen, wie Säure.

       Was zum Teufel macht er denn hier?

      Ich bin so überrascht, dass ich mich nicht entschließen kann, welcher Stimme ich antworte. Ihre dunklen Augen blicken fragend, als ich nach einigen Sekunden immer noch nichts sage.

      Ich hatte mir das alles so leicht vorgestellt. Sie treffen, sie töten und zurück in die Hölle fahren. Aber meine Pläne, meine Absichten werden mit einer solchen Wucht aus meinem Kopf gespült, als hätte sie ein Tsunami getroffen. Ich kann mich nicht entschließen, wie ich vorgehe, was soll ich sagen, oder tun.

      Das schwarzhaarige Biest kommt mir zuvor.

      »Sprichst du nicht mehr mit mir?«, fragt sie krächzend und zuckt einen Wimpernschlag später mit den Schultern.

      »Dann kann ich auch wieder gehen. Hat mich gefreut, dich zu treffen.« Gleichzeitig höre ich in meinem Kopf:

       Was für ein Idiot. Steht da mit offenem Mund und kriegt kein Wort raus.

      Mein Mund klappt hörbar zu, ich habe nicht bemerkt, dass ich sie wie ein Tölpel anstarrte.

      Natascha dreht sich langsam um, sie will wirklich gehen.

      Plötzlich packt mich die Wut, ich bin über tausend Jahre alt, noch niemals hat mich jemand Idiot genannt, na ja, die wenigen, die es wagten, sind einen qualvollen Tod gestorben. Aber das kann und werde ich mir nicht gefallen lassen.

      »Was ist mit dir geschehen?«, brülle ich sie an. Meine Stimme prallt von den eng beieinanderstehenden Hauswänden ab und kommt hundertfach zu uns zurück.

      Wir lauschen beide dem verklingenden Echo.

      »Nichts«, ruft sie zurück.

      Ich bin versucht, sie einfach ihrer Wege ziehen zu lassen. Ich könnte mich jetzt umdrehen und den Dingen ihren Lauf lassen. Aber darum bin ich nicht hier, aus dem Grund hat mich der Teufel nicht zurück in die Welt geschickt.

      Du bist ein verdammter Feigling, schreie ich mich in Gedanken an, du hast Angst vor einem Mädchen.

      »Natascha«, beginne ich erneut, diesmal etwas leiser, damit ich kein Echo erzeuge.

      »Du bist böse geworden, das Blut in dir hat dich zu einem … einem Miststück werden lassen. Das war nicht der Sinn des Ganzen.«

      »Der Sinn? Was für ein Sinn?«

      »Das war vielleicht nicht das richtige Wort«, versuche ich einzulenken.

      »Ich meine den Plan, den Plan des Lebens. Natascha du …«

      »Du meinst es gibt einen Plan?«, kreischt sie so laut, dass die Häuser neben uns zu schwanken scheinen.

      »Sicher.« Ich bin mehr als erstaunt, dass sie davon nichts wissen will.

      »Der Plan des Lebens kann mich mal. Ich habe meine eigenen Pläne.«

      Ich gehe einen Schritt auf sie zu.

      »Das ist es ja gerade, meine süße, kleine mellila.« Ich sehe deutlich, wie sie zurückzuckt. Das Kosewort hat sie erschreckt. Es ist etwas von früher, aus einer Erinnerung, die sie wahrscheinlich lieber verdrängen möchte.

      »Süße.« Ein weiterer Schritt von mir, ich höre sie in meinem Kopf kreischen: Bleib bloß von mir weg, komm