Martina Kirbach

Aus smarter Silbermöwensicht


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PC-Analphabeten aus der Patsche zu helfen! Zeitweilig tat er es gerne, und war stolz, wenn er nach wenigen Minuten die Ursache einer scheinbaren Funktionsstörung identifiziert und behoben hatte.

      Andererseits kam es leider auch vor, dass er für die Fehlersuche mehrere Stunden brauchte. Jetzt malte er sich aus, wie Max dann sein ‚Siehste-mal-wie-kompliziert

      -das-ist-Gesicht‘ aufsetzen und ihn damit zusätzlich unter Zeit- und Leistungsdruck setzen würde. Nervig war es immer. Besonders schmerzhaft wurde es, wenn solche Leute kurz darauf begannen, herablassend über Computerfreaks zu lästern. Max hatte stets einen Hang zu Überheblichkeit gehabt.

      Als Seb schließlich verspätet auf den Hof der Autowerkstatt fuhr, kam ihm die Idee, eine mentale schwarze Liste mit den Personen anzulegen, die ihn ausnutzten. Zu welchem Zweck war ihm selbst nicht klar, doch allein der Gedanke tat ihm gut. Und so schlenderte er wenig später freudig gelaunt, entspannt die Uferpromenade der Schlachte entlang.

      Wie die jungen hellgrünen Blätter der Ahornbäume wandte Seb sein Gesicht den ersten Strahlen der Sonne entgegen und genoss den Frühling. Unvermittelt nahm er auf den Stufen einer Fußgängerbrücke Platz und war mit sich und der Welt zufrieden.

      Es war nach 23:00Uhr, doch Seb saß noch vor zwei Computerbildschirmen, umringt von Zeitschriftenstapeln und diversen leeren, wie halbvollen Kaffeetassen. Auf dem Bett lag flüchtig zusammengelegte, saubere Wäsche. Obwohl seine Türe nur angelehnt war, klopfte Anja vorsichtig an und schob sie einen Spaltbreit auf, ohne selbst einzutreten. Seb wandte sich ihr zu. »Hi Anja, was gibt’s?« Er lächelte freundlich.

      »Du Seb, kannst du mir einen Gefallen tun?«

      »Nur, wenn es nicht um PCs geht. Schieß schon los.«

      »Darum geht es nicht, aber ... «, Anja zögerte einen Moment, ... »Du hattest mir mal angeboten, am Wochenende auf Phillip und Clara aufzupassen, erinnerst du dich?«

      »Hab ich das?«

      »Hast du, das weiß ich genau ... und morgen ist mal wieder Personalnotstand auf Station.« Anja ließ sich Zeit, weiterzusprechen. »Und, ich habe versprochen, einzuspringen.« Anja schien schuldbewusst und erfolgsgewiss zugleich.

      »Ohne mich vorher zu fragen. Das grenzt ja an Nötigung«, empörte sich Seb fadenscheinig.

      »Wieso Nötigung? Du kannst ja ‚nein‘ sagen.«

      »Gibt es hier vielleicht jemanden mit Helfersyndrom? Was ist, wenn ich wirklich ‚nein‘ sage?«

      »Dann versuche ich, mir die Schicht mit Mona zu teilen.« Anja griff zu ihrem Handy.

      »Das ist ja wohl ein wenig zu spät, um anzurufen, findest du nicht?«

      »Seb?«

      »Ja?«

      »Ich kann den Feiertagszuschlag gut gebrauchen.«

      »Ich weiß. Hast du eigentlich gesehen, dass ich euren Frühstückskram weggeräumt habe?«

      »Hab ich, vielen Dank. - Und ist dir aufgefallen, dass ich nichts zu deinem Müll im Badezimmer gesagt habe? ... Also?«

      »Was, also?«

      »Bist du morgen hier und….«

      » …spielst Kindermädchen?«

      »Bitte!«

      »Okay. Meinetwegen.«

      »Danke, du bist ein Schatz.« Anja warf ihm eine Kusshand zu, war im Handumdrehen heraus aus der Tür und in ihrem Zimmer verschwunden.

      Sebastian lag noch einige Zeit wach und überlegte, ob er eine zweite mentale Liste anlegen sollte, doch ihm war nicht klar, in welcher Farbe. Vielleicht hellgrün? Sicher mit vielen Fragezeichen versehen. Nein, er schob den Gedanken beiseite. Es war ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden. Um ehrlich zu sein, freute er sich auf die endlosen Diskussionen und Scheingefechte mit Phillip. Auch für Clara würde ihm gewiss etwas einfallen.

      Die Sache mit den Versprechungen

      Wieder vertröstet! Fassungslos starrte Clara auf die Kurznotiz auf dem Küchentisch.

      Seit Wochen hatte Anja ihren Kindern einen gemeinsamen Kinobesuch versprochen und Clara und Phillip hatten es hingenommen, wenn es dann doch mal aus diesem, mal aus jenem Grund nicht klappte. Nun sollte es diesen Samstag abermals ausfallen. Mit ziemlicher Sicherheit würde der Film, den Phillip und Clara sich ausgesucht hatten, nächste Woche in den Kinos gar nicht mehr laufen. Missmutig setzte sich Clara an die unerledigten Hausaufgaben ihres Wochenplans. Wenig später tauchte Phillip verschlafen im Flur auf. Als er Clara am Küchentisch arbeiten sah, rutschte ihm ein »Na, Streberin, schon wieder dabei?« heraus.

      Phillip sah ihr Gesicht und bereute seinen Spruch sofort, aber leider war es zu spät. Er nahm ein Glas Milch und fragte: »Wo ist Mama?«

      »Arbeiten.«

      »Wieso? Die hat doch heute frei.«

      »Hatte. Eine ihrer Kolleginnen ist mit dem Fuß umgeknickt, und deshalb ist sie da heute wieder hin. Du weißt genau, wie Mama ist. Kann nie ›nein‹ sagen.«

      »Schade, und was ist jetzt mit dem Kino?«

      »Rate mal. Nach dem Dienst ist sie immer völlig fertig.«

      »Na toll. Was für ein Wochenende. Computer spielen dürfen wir nicht, fernsehen erst heute Abend, wenn wir Glück haben.«

      »Ich bin auch total begeistert.«

      Als Seb in die Küche kam, blätterte Phillip gelangweilt im Werbeteil der Tageszeitung und Clara klappte ihr Deutschheft zu.

      »Moin, ihr beiden. Ihr seid ja früh auf den Beinen.«

      »Es ist kurz vor zehn. Das nennst du früh?«

      »Für mich ist das rechtzeitig, sagt mal, habt ihr schon gefrühstückt? Ich meine so richtig. Mit amerikanischen Pancakes, englischen Baked Beans & Ham, französischen Croissants und deutschem Müsli und Brötchen?«

      »Klingt ein bisschen übertrieben! Ich schlage vor, dass wir an jedem Sonntag eins davon ausprobieren. Dann haben wir Programm für die nächsten drei Wochenenden ohne Mama«, hielt Clara schnippisch dagegen. Seb ging nicht darauf ein.

      »Warum arbeitest du eigentlich in der Küche und nicht an deinem Schreibtisch?«, erkundigte sich Seb.

      »Hier ist es heller und gemütlicher«, antwortete Clara gereizt. »Noch eine Frage?«

      »Okay. Okay. Ich lass dich in Ruhe.«

      »Also gut. Ich hole Croissants«, rief Phillip und stürmte zur Tür hinaus, um kurz darauf wieder in der Küche zu stehen. »Seb, hast du Geld?«

      »Hier, das muss reichen, wir sind nur zu dritt.«

      Wenig später saßen Clara, Phillip und Seb gemeinsam am Frühstückstisch und ließen sich die Croissants mit Butter schmecken. Im Radio lief eine Oldie Sendung mit ›I can’t stand the rain‹.

      »Ach übrigens, wo die da gerade über die 70er Jahre reden, fällt mir ein, dass heute Nachmittag hier um die Ecke ein Straßenfest stattfindet. Man kann sich im Stil der 70er Jahre verkleiden«, erwähnte Seb beiläufig.

      Keine Reaktion.

      »Hättet ihr Lust, dahin zu gehen?«

      »Rittermärkte kennen wir, da waren wir schon oft. Die sind cool«, begeisterte sich Phillip dann doch.

      Seb bemühte sich redlich, ein Grinsen zu unterdrücken. »Also, ein Rittermarkt ist das sicher nicht, aber wir können ja trotzdem mal vorbeischauen. Es gibt da bestimmt viel Musik.«

      Das Telefon klingelte. So ein Mist, es war Max.

      »Hi Seb, wie geht‘s?«

      »Eh… gut, wieso?«

      »Ja, ich wollte nur fragen, ob du früher kommen kannst. Ich muss noch ein