Kerstin Hornung

Die Nähe der Nornen


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von Weiden weiß, dass du kein Abkömmling derer von Wasserfurt bist, und verleiht dir trotzdem diesen Titel. Er schenkt dir ein Stück von seinem Land und erlaubt dir, dich als Verlobter seiner Tochter auszugeben.« Olaf pfiff durch die Zähne. »Alle Achtung! Er muss ΄ne Menge von dir halten.«

      Philip zuckte wieder mit den Schultern, es schien alles zu sein, wozu er fähig war. »Wären Agnus und Walter nicht gewesen, hätte er mich möglicherweise sofort ausgeliefert. Ich hatte einfach nur ein bisschen Glück.«

      »So kann man das auch nennen. Aber jetzt verstehe ich deine Sorgen erst recht nicht.«

      Philip sah Olaf von der Seite an. »Ich habe keine Eltern, und die, die ich dafür hielt, haben es nicht für nötig befunden, mir das zu sagen.«

      »Haben sie dich irgendwie schlecht behandelt, geschlagen, niedere Arbeiten verrichten lassen?« Olaf versuchte, mitfühlend auszusehen, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht nachvollziehen konnte, was Philip derart aus der Bahn warf.

      Philip holte tief Luft. Jetzt, da er begonnen hatte, darüber zu sprechen, wollte er es Olaf erklären. »Sie haben mich nie schlecht behandelt, wir hatten ein gutes Verhältnis, aber … aber das ist das Schlimmste daran. Ich dachte, sie wären meine Familie ... doch ich gehöre nicht dazu.«

      »Das ist Blödsinn«, sagte Olaf. »Entschuldige, dass ich dir das so sage, aber es ist ausgemachter Blödsinn. Deine Eltern wussten die ganze Zeit über, dass du nicht ihr Kind bist, und haben dich trotzdem so behandelt, als wärst du es. Glaubst du wirklich, dass sich etwas daran geändert hat, nur, weil du es jetzt auch weißt?«

      »Ja! Für mich hat sich was geändert. Sie hätten es mir selbst sagen müssen.«

      »Du bist kleinlich.«

      »Bin ich nicht!«, rief Philip empört. »Mein Leben ist eine Lüge, nichts stimmt, alles ist erstunken und erlogen. Ich heiße nicht Philip, sondern Philmor, und bin ein ganzes Jahr älter, als ich dachte. Ich wurde dort unten in Corona geboren. Mein Urgroßvater ist ein Elbe und mein Vater war der rechtmäßige Erbe der Könige von Kronthal, ehe jemand sein Leben und das meiner Mutter deswegen auslöschte.« Philip sprang auf und stürmte aus dem Zelt.

      Zurück blieb ein ratloser Olaf, der auf die wehenden Stoffbahnen an der Zeltöffnung starrte.

      Frendan’no holte Philip ein, bevor der den Wald erreicht hatte, und ging schweigend neben ihm her. Als seine Schritte langsamer wurden und der gehetzte Ausdruck aus seinen Augen verschwand, setzte der Elbe zum Sprechen an.

      »Ich habe gehört, was du deinem Freund gesagt hast«, begann er.

      Philips Kopf war leer, er wusste nicht mehr, was er Olaf gesagt hatte. Zumindest konnte er sich nicht an seine Worte erinnern.

      »Du bist verletzt und immer noch zornig, aber du richtest deinen Zorn gegen die Falschen«, mahnte der Elbe. »Deine Mutter – Felicitas – nannte dich Philip. Vom ersten Tag an nannte sie dich so. Ich nehme an, dass du bei deiner Weihe nur deshalb als Philmor in den Kirchenbüchern eingetragen worden bist, weil der Umbruch nahe schien, weil dein Vater sich darauf vorbereitete, sein Geburtsrecht geltend zu machen.«

      Philip blieb stehen.

      Frendan’no sah ihn beinahe schuldbewusst an. »Seit ich mich damit beschäftige, und das tue ich noch nicht sehr lange«, gestand er, »weiß ich, dass die damalige Königin, Eleonore, einige Wochen nach deiner Geburt starb. Die Kunde von ihrem Tod erreichte die Stadt Corona ein paar Tage vor dem Weihfest.«

      »Wie hieß mein Vater?«, fragte Philip leise.

      »Clemens«, antwortete Frendan’no. »Viele deiner Vorfahren hießen so, zumindest steht es so in den Aufzeichnungen der Kirchenarchive. Es gab auch etliche Philmors und Peredurs. Die Listen sind nicht sehr abwechslungsreich.«

      »Gab’s noch irgendeinen Philip?«

      Frendan´no schmunzelte. »Wäre es denn wünschenswert?«

      Philip zuckte mit den Schultern. Er wusste es selbst nicht. Es war nur so ein Gedanke, weil so viele Vornamen mir P anfingen. Mit einem ziehenden Schmerz in der Magengegend wurde ihm bewusst, dass alle seine Brüder einen Namen trugen, der mit J begann. Alle außer ihm! Inbrünstig wünschte er sich, dazuzugehören, wieder einer von ihnen zu sein. Aber dieses Privileg wurde ihm genommen. Er war ein Außenseiter.

      Frendan’no wich nicht von seiner Seite, aber seine Nähe wirkte nicht aufdringlich, sondern fühlte sich an wie die natürlichste Sache der Welt. Er war das, was er in all den Jahren, für seine Tochter und alle seine Kindeskinder gewesen war. Ein guter Geist, der seine Hand schützend über ihn hielt. Philip spürte den Hauch einer Erinnerung und die Geborgenheit, die in ihr lag.

      Als sie Stunden später zurück ins Lager kamen, war Philip ruhiger. Der Schmerz und das deutliche Gefühl etwas verloren zu haben, blieben jedoch bestehen.

      Die Wiese lag dunkel vor dem leicht rötlich schimmernden Himmel über der Schlucht. Das Feuer glimmte behaglich und leuchtete einen Fleck auf der freien Fläche aus. Schattenhafte Gestalten saßen um die Glut.

      Als Philip und Frendan’no aus dem Dunkel in den Lichtkreis des Feuers traten, sprang Olaf auf und verbeugte sich tief. Sein Knie berührte den Boden.

      Philip sah ihn verständnislos an. »Was tust du da?«, fragte er.

      »Ich neige mein Haupt vor dem verschollenen König und bitte um die Gnade, Euch dienen zu dürfen.«

      »Bist du von allen guten Geistern verlassen. Hör sofort mit dem Unsinn auf.«

      Olaf erhob sich zwar, aber seinen Blick hielt er gesenkt, und er sah aus, als ob er jederzeit bereit wäre, wieder auf die Knie zu fallen.

      Aus Philips Unverständnis wurde Fassungslosigkeit, doch bevor er sich über sein weiteres Empfinden klarwerden konnte, berührte ihn Leron’das leicht am Arm.

      »Es freut mich, dass du dich nun zu uns gesellst. Wenn du willst, könnten wir jetzt gemeinsam ein Mahl einnehmen.«

      Auch Leron’das wirkte förmlich und steif. Philip setzte sich ans Feuer. Er hatte einen Bärenhunger und keine Lust, sich über das eigenartige Verhalten seiner Freunde Gedanken zu machen. Aus dem Kessel duftete es verführerisch.

      Während des Essens wurde nicht viel gesprochen, aber als Philip seine leere Schüssel von sich schob und sich zufrieden streckte, spürte er Leron’das΄ Blick auf sich ruhen. Olaf sammelte hektisch Philips Geschirr ein und ging mit einem der Elben davon.

      »Wir haben viel zu besprechen, und wenn du erlaubst, würden wir dir gerne bei der einen oder anderen Sache beratend zur Seite stehen«, begann Leron’das. »Es ist nicht leicht für dich. Auch für mich war es überraschend und erschreckend zugleich, als ich erfuhr, dass du derjenige bist, den ich die ganze Zeit über gesucht habe. Destina’riu, die Norne des Schicksals, war mir wohlgesonnen, doch ich war nicht in der Lage, diese Gunst zu erkennen. Ich bin froh, dass du es bist. Schon allein deine Herkunft gibt uns Elben Grund, zu hoffen.«

      Philip suchte Worte, fand aber keine. Offensichtlich ging Leron’das davon aus, dass er sich in den vergangenen Tagen Gedanken über das Erbe seines unbekannten Vaters gemacht hatte, aber dazu war er noch gar nicht gekommen. Es gab noch keine Verbindung zwischen dem verschollenen König und Philip. Er fühlte sich überrumpelt und sein kaum gefundenes Gleichgewicht geriet wieder ins Wanken. Er dachte an Olaf, der in dieser scheußlichen Demutshaltung vor ihm niedergekniet war. Sie waren doch Gefährten. Freunde. Obwohl Olaf glaubte, Philip sei Herr über ein übersichtliches Stück Land.

      Er schüttelte den Kopf. »Ich bin das nicht«, murmelte er. »Ich kann das nicht.«

      »Wer, wenn nicht du?«, fragte Leron’das. In seinen Augen stand jedoch keine Frage, sondern eine Aufforderung, die Philip erschreckte. Er wusste, wie viele Hoffnungen auf Peredurs Erben lasteten. Agnus, Hilmar, Vinzenz – sie alle warteten nur darauf, sich ihm anschließen zu können. Die Elben – sie hatten ihn gesucht, um ein neues Zeitalter einzuläuten.

      Wie viele Hoffnungen hatte Philip selbst in diesen unbekannten