Lisa W. Barbara

Avenae


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startete. "Du solltest dich lieber festhalten", sagte er und ich dachte gar nicht dran. Sicher nicht.

      Ich änderte meine Meinung schnell, als ich auf die Straße plumpste, weil er extra fest Gas gegeben hatte.

      Wütend rappelte ich mich auf, setzte mich hinter ihm, wobei ich ihm ausversehen in die Nieren boxte und wir fuhren los.

      Vor unserem Haus blieb er stehen.

      Ich schwang mich von der Vespa und er hielt meine Hand fest, bevor ich weglaufen konnte.

      "Ave, lass uns abends weiterreden, okay? Ich weiß, das war hart, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich dich liebe. Das weißt du doch, oder?"

      Er wollte mich zu sich hinziehen, um mich zu küssen, doch ich stemmte mich mit aller Kraft gegen ihn und dann drückte er mir zum Abschied einen Kuss auf meine Hand und fuhr weiter zur Polizeistation. Na toll. Jetzt steh ich hier, wie der begossene Pudel, nur ein trockener Pudel und meine Haare sahen bestimmt katastrophal aus.

      Nachdem ich eine Weile vor der Tür gestanden war und mich die Leute komisch ansahen (Was vielleicht auch daran lag, dass ich meine Bluse falsch zugeknöpft hatte) und ein kleines Mädchen hinter hervorgehaltener Hand murmelte: "Mami, gugg dir die mal an! Die ist bestimmt auch in einen Brunnen gefallen, ob ihre Mami auch so schimpft wie du?", ging ich in das kühle Haus und rannte die Treppen hoch.

      In meinem Zimmer schmiss ich mich auf den Boden. Tom hasste es so sehr an mir, wenn ich bockte, doch es war mir egal. Ich reagierte nicht auf die Anrufe und schaltete mein Handy wütend ab. Es kam immer irgendwas dazwischen. Wollte ich wirklich so weitermachen und vor allem nachdem er mir gesagt hatte, was er von unserer Beziehung eigentlich hielt?

      Und dann dachte ich daran, dass es wahrscheinlich nie wieder anders werden würde. Was hätte ich davon, wenn ich meine Beziehung zu Tom aufgab und wieder alleine wäre?

      Nein, in diesem Fall war ich vielleicht ein wenig egoistisch aber ich wollte auf keinen Fall wieder alleine sein.

      Na gut, das Schicksal hatte mich soweit, dass ich wieder aufstand, mich umzog und einen Entschluss fasste. Ich würde Tom besuchen. Was sollte ich sonst den ganzen Tag machen? Vielleicht könnte ich Nadine, meiner Betreuerin in meiner derzeitigen Abteilung ein bisschen Ablage abmurksen.

      Mit einem frischen Shirt und Jeans fuhr ich mit meinem Fahrrad zum Polizeipräsidium.

      Ich stellte es ab und ordnete meine Haare, die hoffentlich nicht allzu zerzaust waren und meine Gedanken, die ich einigermaßen aus dem Chaos lockte.

      Dann straffte ich die Schultern und stapfte selbstbewusst in das Präsidium.

      స 4 స

      Viele grüßten mich auf meinem Weg und einige sahen mich verwirrt an.

      Da war Theo, ein ziemlich guter Polizist, der unglaublich dick, aber auch unglaublich nett war. Ich fragte mich jedes Mal, wenn ich ihn sah, ob er noch Verbrechern hinterherjagte oder vorher einen Herzinfarkt bekommen würde.

      "Nanu, wo kommst du denn her? Hast du heute nicht frei?", fragte er und musterte mich belustigt.

      "Ja eigentlich schon, aber ich besuche Tom."

      Ich lächelte ihm zu und ging weiter. Leise murmelte er hinter mir: "Jaja, die junge Liebe. Was würde ich geben, um noch einmal jung zu sein..."

      Den Weg kannte ich auswendig und ich ging in Toms Büro, ohne vorher anzuklopfen.

      Es war stickig und alle standen zusammen um eine Pinnwand an der Bilder hingen.

      Schlagartig verstummte Toms Team und starrte mich an.

      Nach einem kurzen Schockmoment lächelte Tom gezwungen und ich ging weiter in das Großraumbüro hinein.

      Toms Team bestand aus zwei Frauen, die eine blond, Nikole und die andere mit roten Locken, Dana, und vier Männern. Phil, Alex, Andi und Flo. Ich kannte sie alle und hatte mit ihnen schon viel gelacht, vor allem mit Dana verstand ich mich super. Doch nun lachte keiner. Sie hatten Augenringe und ihre Zivilkleidung sah unordentlich aus.

      Mein Blick fiel auf die Pinnwand und die Fotos. Ungefähr zehn Mädchen und junge Frauen im Alter von 12 bis ungefähr 30 Jahren starrten mir entgegen. Es waren fröhliche Fotos und ich wusste mit einem komischen Gefühl im Bauch, dass diese Mädchen und Frauen nie wieder glücklich sein werden, wie mir zwei Bilder, die unter den ersten Mädchen hingen, bestätigten. Darauf sah ich, wie sie verrenkt dalagen, mit offenen leeren Augen.

      Tom trat auf mich zu und packte mich an den Schultern.

      "Ave, schön dass du mich besuchst. Ich schulde dir noch einen Kaffee, richtig? Komm, lass uns einen Kaffee holen."

      Er zog mich nervös aus dem Büro und schloss die Türe.

      "Was ist passiert?"

      Er überging meine Frage und redete mit einer ruhigen Stimme auf mich ein.

      "Hör zu, ich hab ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich einfach so wegmusste und dich stehen gelassen habe…"

      "Was ist passiert, Tomas Kellner?"

      Ich nannte ihn nie Tomas weil ich den Namen schrecklich fand, und das ließ ihn aufhorchen.

      "Ich darf dir das nicht sagen. Und auch nicht wenn du mich so ansiehst, du bist eine Praktikantin.“

      "Warum nicht? Ich komme nächste Woche in dein Team, da werde ich es sowieso erfahren. Und selbst wenn du's mir nicht sagst, ich werde es herausfinden, glaub mir", drohte ich ihm.

      Er seufzte und führte mich mit dem Arm um der Schulter zu der kleinen Cafeteria. Bestimmend drückte er mich auf einen Stuhl und holte zwei Cappuccinos, einen mit und einen ohne Zucker.

      "Lass uns über uns reden."

      "Nein Tom, ich will nicht über uns reden. Ich will darüber reden was passiert ist. Ich werde es herausfinden, du kannst es mir ruhig sagen. Bitte. Hast du den ohne Zucker?"

      Er seufzte, ignorierte meine Frage mit dem Kaffee und sah sich um, ob uns niemand beobachtet aber es waren ohnehin nicht viele Leute in der Cafeteria.

      "Okay, vielleicht ist es sogar besser, wenn du es weißt.

      Es sind Mädchen und junge Frauen verschwunden und wir haben zwei von ihnen tot aufgefunden. Es war kein Unfall. Und alles deutet darauf hin, dass die Vermisstenfälle zusammenhängen.

      Es ist uns unerklärlich, wie in so kurzer Zeit so viele verschwinden können, denn normalerweise verschwindet vielleicht ein Mädchen oder läuft eine junge Frau von zuhause weg, aber so viele innerhalb einer solchen Zeit, dass ist einfach nicht richtig. Es deutet auf einen Mehrfachtäter hin und wir glauben, dass er nicht eher ruhen wird, bis alle Mädchen tot sind."

      Ich war schockiert. Die Insel, die ich seit 19 Jahren mein Zuhause nannte war nicht mehr sicher? Wer macht denn sowas, einfach irgendwelche Mädchen entführen und zu töten? Und zu quälen.

      "Ich will, dass du das hier immer bei dir trägst. Und halte dich nie alleine auf, bleib immer bei mir oder in Begleitung von jemand anderem, bis wir diesen Kerl gefunden haben. Es darf dir nichts passieren."

      Er küsste meine Hand und legte etwas hinein. Ich starrte ungläubig in den unberührten Latte Macchiato. Der Milchschaum war in sich zusammengefallen und bildete kleine Bläschen. Er war machtlos, gegen die Wärme des Kaffees. Machtlos.

      "Wir werden ihn finden", sagte ich mit fester Stimme und stand auf.

      Tom sprang ebenfalls auf.

      "Nein Avenae. Du wirst ganz sicher nicht nach ihm suchen. Ich warne dich, wenn du es auch nur versuchen würdest, dann werde ich jemanden zu deinem Schutz schicken und glaub mir, ich bin in der Position das zu tun."

      Ich hörte nicht auf seine Worte und verließ die Cafeteria. Auf der Treppe schaute ich in meine Hand und sah ein Taschenmesser und ein Pfefferspray darin liegen.