Ханс Фаллада

Der eiserne Gustav


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      Aber, wenn sie an eine Ausrede denken wollte, verwischte sich gleich alles. Sie konnte ihre Gedanken nicht festhalten. Das bräunliche Gesicht mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart und den bösen schwarzen Augen schob sich dazwischen. – »Du Nutte!« hatte er gesagt. Keiner hatte je so zu ihr gesprochen, aber wenn es einer getan hätte, sie hätte ihn bloß ausgelacht. Wenn sie es auch mit den Männern nicht so genau nahm, das hatte sie noch nie getan, und so war sie auch keine Nutte. Er aber nahm sie von Anfang an so, und in seinen Händen würde sie immer so sein, er würde sie dazu machen ...

      Unausweichlich, unentrinnbar stieg ihr Schicksal vor ihr auf. Flüchtig muß sie daran denken, daß ihr Erich kurz vor dem Abendessen »ihr Geld« wiedergegeben hat, mit einer verlegen gemurmelten Entschuldigung – sie muß daran denken, wie groß sie jetzt dastände, fast fünfhundert Mark und so viel kostbaren Schmuck ... Aber an der Ecke der Kleinen und Großen Frankfurter Straße flackert die Gaslaterne im Sommerabend, Eugen – Eugen! – pfeift, und sie kommt. Eugen sagt: Lad ab!, und sie lädt ab. Eugen befiehlt: Leg dich hin!, und sie legt sich hin!

      Aber das dritte Kind? Aber der Otto? Er ist der einzige von den sieben Personen, die um den Abendbrottisch sitzen, der sein Schicksal für die nächsten Tage genau kennt, in diesen Tagen, da alles allen so ungewiß ist. Er stellt sich morgen, er wird eingekleidet, verladen ...

      Er steigt die Treppe hinauf, er drückt zweimal auf den Klingelknopf – und dann? Und dann?!

      Der Gustäving, der Junge, der wird dann schon schlafen, aber nur um so schlimmer! Allein, ohne Ablenkung, werden sie einander gegenüberstehen, und sie wird fragen: Und dein Versprechen? Die Papiere? Die Trauung? Gustäving ...?

      Sein Hirn arbeitet langsam, es überlegt, daß die Papiere wohlgeordnet in des Vaters Schreibtisch liegen, für jedes Kind gibt es eine Mappe. Morgen früh, direkt, ehe er in die Kaserne geht, wird Vater den Schreibtisch aufschließen und ihm geben, was er haben muß: den Militärpaß also, den Geburtsschein, den Taufschein ... Ja, braucht er die denn ...?

      Und sein Kopf verliert den Weg über dieser Frage: Was braucht er für Papiere? Was braucht er für Papiere für das Militär, und was für Papiere für den Pastor? Aber er hat ja gar keine Zeit für den Pastor, direkt, wenn er die Papiere hat, muß er in die Kaserne. Ein Pastor aber braucht viel Zeit, Traukutsche und Orgel, Rede und Hochzeitszeugen – und sie haben ja noch nicht einmal Ringe!

      Hilflos sieht er hoch. Er schaut in die Gesichter von Geschwistern und Eltern, er bewegt die Lippen, fast erlöst denkt er bei sich: Das werde ich ihr sagen: Wir haben ja noch keine Ringe! Und wer keine Ringe hat, den kann man doch auch nicht trauen, das verstehst du doch, Tutti?

      »Was redest du denn, Otto?!« ruft Bubi übermütig. »Ich glaube, der redt mit dem Mann im Mond!«

      Alle lachen, und der Vater sagt: »Der Otto ist schon gar nicht mehr bei uns. Der sagt sich schon die Felddienstordnung her. Oder die Kriegsartikel. Nicht wahr, Otto?«

      Otto murmelt etwas, und die anderen vergessen ihn gleich wieder, wie sie ihn immer gleich vergessen. Nein, denkt er, es ist unmöglich, den Vater schon heute abend um die Papiere zu bitten, und wenn es möglich wäre, so hätte es keinen Zweck, denn nachts wird man nicht getraut, und morgen früh ist keine Zeit mehr ...

      Der alte Vater Hackendahl, der eiserne Gustav, sitzt so recht behaglich am Abendbrottisch der wiedervereinten Familie und fühlt: Es ist alles noch wieder gut geworden, alle sind wieder heimgekehrt, wie es sich gehört.

      Aber er irrt sich, er fühlt sich nur darum so behaglich, weil er nichts weiß von seinen Kindern. Alle denken sie fort, alle empfinden den Familienzwang lästig, allen brennt der Boden unter den Füßen. Aber Hackendahl merkt nichts von alledem, und er ist darum baß erstaunt, als sich seine Familie sofort nach dem Mahlzeit-Sagen zerstreuen will.

      »Aber, Kinder!« ruft er vorwurfsvoll. »Ich denke, wir sitzen alle noch ein bißchen gemütlich zusammen. Bubi holt eine Kanne Bier und ein paar Zigarren, und wir quatschen noch ein bißchen! So jung kommen wir doch nicht wieder zusammen!«

      Sophie aber muß sofort ins Krankenhaus und Otto zum Rappen mit der Nasenblesse, der ein heißes Bein hat und gekühlt werden muß. Erich aber will unbedingt noch zum Schloß, ob es Neues gibt, und Eva möchte ihn ein Stück begleiten – sie denkt, ihre Kopfschmerzen gehen in der Abendluft fort.

      So bleibt nur Bubi – und der muß natürlich ins Bett. Da er aber heftig protestiert, so gibt dies willkommenen Anlaß zu einem gewaltigen militärischen Befehlsaufwand. Bubi wird nach allen Regeln der Kunst »gestaucht«, und als das vorüber ist, als Bubi heulend im Bette liegt, entdeckt Hackendahl, daß seine anderen Kinder indessen verschwunden sind.

      Nur die Mutter sitzt behaglich im Korbsessel am Fenster, sieht in den sinkenden Abend und jammert zufrieden: »Das war mal wieder ein schönes Abendessen, Vater. Aber der gekochte Schinken hatte einen kleinen Stich von der Hitze – hast du das gemerkt, Vater? Und zu fett war er auch. Ich sage Eva immer, sie soll gekochten Schinken bei Hoffmann holen, aber sie hört ja nicht.«

      Vater Hackendahl geht in den Stall, wird er wenigstens mit Otto noch ein bißchen schwatzen können!

      Aber Otto ist nicht im Stall. Er ist über die beiden Höfe gegangen, und nun steigt er wirklich die Treppen empor, die vielen Treppen bis hinauf in den fünften Stock, die wie eine Aufgabe vor ihm gelegen haben. Er ist wohl schwach und ohne Eigenwillen, aber darum ist er noch kein Drückeberger. Er steigt die Treppen hinauf, er ist nicht zu Haus geblieben, er hat dem Rappen mit der Nasenblesse nicht das entzündete Bein gekühlt, das hat er dem Rabause aufgetragen.

      Als Otto oben im fünften Stock ist, seufzt er nur einmal schwer auf. Aber er zögert nicht, er drückt zweimal auf den Klingelknopf der Gertrud Gudde, Schneiderin. Er muß eine ganze Weile warten, ehe Tutti an die Tür kommt, Tutti, die schon geschlafen hat, mit aufgelöstem Haar, in einem wolligen Morgenrock.

       »Du, Otto?!« ruft sie ganz erstaunt. »Jetzt noch?«

      Es stellt sich heraus, daß sie noch nichts weiß. Sie ist den ganzen Tag nicht aus dem Haus gekommen. Eine Zeitung liest sie nicht – und ihre Anproben sind ohne Absage ausgeblieben.

      »Mobil«, sagt Otto nur. Er sieht sie scheu an. Dann sagt er: »Ich muß gleich wieder weg. Vater weiß nicht, daß ich fort bin.«

      »Was ist das: mobil?« fragt sie ängstlich. »Heißt das Krieg?«

      »Nein, nicht. Es heißt, daß ich morgen in die Kaserne muß.«

      »Mußt du wieder dienen? Soldat sein? Aber warum, wenn es keinen Krieg gibt? – Es ist doch nicht Krieg?!«

      »Nein, Tutti.«

      »Aber warum mußt du dann in die Kaserne?«

      »Vielleicht«, versucht er zu erklären, was er selber nicht genau versteht, »vielleicht bekommen die anderen Angst, wenn sie sehen, wieviel Soldaten wir haben.«

      »Darum mußt du in die Kaserne?«

      »Vielleicht – ich weiß doch nicht. Mobil heißt: Ich muß wieder dienen.«

      »Wie lange denn?«

      »Das weiß ich auch nicht ...«

      Stille, lange Stille. Er sitzt mit gesenkten Augen da, er schämt sich, daß er sie angelogen hat, alle haben davon geredet, daß es Krieg wird. Er aber sagt ihr immer bloß, daß mobil nicht Krieg ist. Vielleicht ist es die letzte Stunde, die sie so zusammensitzen ...

      Sie hat nachgegrübelt. Nun fragt sie: »Was sagt der Vater?«

      »Ach, der ...«

      »Was sagt er, Otto?«

      »Der ist doch immer noch wie beim Militär ...«

      »Er sagt, daß Krieg wird ...?«

      Otto nickt langsam.

      Lange Stille.

      Dann