Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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in der Nase, das Gemisch aus seiner weichen Haut und seinem Parfüm. Seinen erotisierenden Duft, wenn wir ineinander verschlungen uns der Liebe hingegeben haben. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich im Hochgefühl zur Musik auf Thomas und den Bildern, die meine Sinne glaubten, im Kopf zu produzieren. Es war so intensiv. Ich hörte von weitem den Klang seiner Stimme. Mir rannen Tränen übers Gesicht. Um uns herum überall Pärchen, die sich verliebt in den Armen lagen. Und ich saß wieder alleine und fuhr auf der Seine durch die Stadt der Liebe. Ich erinnere mich nicht, wie lange ich so dagesessen bin. Ein leichter Ruck unterbrach die Gedankenflut. Es war das Ruckeln des Schiffes am Anleger. Wir waren wieder zurück. Der Bootsmann zurrte die Taue fest. Das Licht wurde angeknipst. Die Passagiere erhoben sich von ihren Plätzen. Mir die Tränen trocknend stand ich auf und reihte mich in die Warteschlange ein. Schweigend schritten alle hinaus. Festland unter den Füßen. Die Trauer hielt meinen Geist gefangen. Die versuchten Aufheiterungen von Helga, indem Sie z. B. über ihn schimpfte, halfen mir ein wenig, den seelischen Schmerz zu verdrängen. Sie beschimpfte ihn solange, bis wir in unserem gestrigen Restaurant unweit des Hotels angekommen waren. Der Magen knurrte und das Essen war Erlösung und Seelennahrung zugleich. An der Rezeption lächelte uns erneut nicht nur der nette Portier an, sondern das Pariser Lieblingsgetränk und schwupp, da waren wieder zwei Flaschen auf unserem Zimmer: Champagner Veuve Clicquot brut. „Das Schmerzensgeld-Taschengeld!“ Lecker! Ob die beiden Flaschen heute Abend reichen werden? Getrunken und gequasselt wurde bis spät in die Nacht. Wir waren so müde zu vorgerückter Stunde, dass wir beim Reden eingeschlafen sind. Der nächste Morgen kam schnell, die Nacht war kurz und es hieß wieder packen und mit Reisetasche auf der Schulter den letzten Tag bis zur Abfahrt durch Paris traben. Ehrlich gesagt, habe ich vergessen, wie wir den Tag herumgebracht haben. Recht unspektakulär, glaube ich. Ein Weg führte uns zum Kaufhaus La Fayette. Es war riesengroß mit einer Sintflut von überflüssigen Produkten bestückt. Ach ja, essen und trinken stand ebenso auf dem Stundenplan. Ein magenfüllender Zeitvertreib, der Laune bereitete. Lokale und Restaurants gibt es in dieser Stadt genug. Vornehmlich in den Kleinen ließ es sich prächtig ausruhen. Wir erreichten Gard du Nord. Rechtzeitig vor Abfahrtszeit, suchten wir den korrekten Bahnsteig und setzten uns an die Gleise. Der Thalys rollte ein, einsteigen, fertig, los. 3 Stunden später und der Alltag, das altes Dasein hatte mich wieder. Aber nach welcher Art von Leben dürstete meine Seele? Job, ja klar, der bleibt. Die Kinder, auf jeden Fall. Den Ehemann glaube ich nicht – oder doch? Welche Alternative hatte Frau denn? Schwarze Wolken zogen auf und legten sich finster und düster auf die Gedanken. Wider mein Naturell, ließ ich es zu. Wer nimmt eine alleinerziehende Frau mit zwei schulpflichtigen Sprösslingen? Welcher Mann ist bärenstark genug und wird diese Kinder akzeptieren, so, wie sie sind. Womöglich sogar eines Tages ein wenig lieben, selbst wenn es nicht seine Leiblichen sind? Gott was flogen mir Fragen durch den Kopf. Eine Stimme hörte ich neben mir sagen: „Nicht so doll grübeln. Macht traurig. Hier, unser Zeitvertreib bis Heimatort. Trocken und lecker, dein Wein“, weckte mich Helga erneut aus trübsinnigen Gedanken. „Danke“, sagte ich kurz und lächelte. Die Rückfahrt war etwas schneller vorüber. Man kannte die Strecke ja schon. Hauptbahnhof Heimat. Pünktlich 19:15 Uhr. Aussteigen, das Auto mit dem Fahrer suchen und ab nach Hause. Der Chauffeur war mein damaliger Ehemann. Bei der Verabschiedung von Helga und ich bedankte mich bei ihr für die abwechslungsreichen, unterhaltsamen Tage, die ausgezeichnete Ablenkung und die klärenden Gespräche. Mit dem Kompliment „beste Seelsorgerin ever“ entließ ich sie in den Abend. Wir fuhren nach Hause. In der ersten, bedrückendsten Zeit sowie den darauffolgenden Jahren war Helga mit zwei weiteren Mädels, Petra und Anette, der seelische Beistand. Ohne Sie alle hätte ich diese Zeit nicht so erbaulich überstanden. Meinen Dank hier an dieser Stelle an Euch, Mädels. Die Begrüßung zu Hause war wie immer, äußerst nüchtern und schweigsam. Und weil die Kinder schon in der Koje lagen, bin ich ebenfalls recht bald in meiner gelandet. Ein letztes Glas Rotwein, trocken, so wie WIR, Thomas und ich, ihn geliebt haben, ein paar nette, belanglose Worte zum Ehemann auf seine Nachfrage, wie denn der Trip war, und das Bett hatte mich wieder. Beim Erwachen am kommenden Morgen war der erste der Gedanken: Thomas. Wen wunderte das. Meine Laune stieg mit jeder Minute. Heute würde ich ihn wiedersehen. Die Anfahrt zur Firma war kurz, dem Wohnort geschuldet. Pünktlich zum Start saß ich im Büro. 07:30 Uhr zeigte mir die Handyuhr, mein Thomas nicht in Sicht. Das liegt am Autobahnstau, begründete ich sein Zu-spät-Kommen. Kurze Zeit nach dem Arbeitsbeginn öffnete eine Kollegin die Türe meines Büros und trat ein. „Hallo“, sagte ich spontan zu ihr, „du bist garantiert voller Neugier, wie es in Paris war“. Ich holte Luft, um mit den Reiseerzählungen loszulegen. Da unterbrach sie den Versuch des Erzählens. Sie fing unverzüglich an zu reden: „Hallo zurück. Herr Kramer ist am vergangenen Freitag freigestellt worden. Er wird die Firma verlassen. Am Mittwoch holt er nur seine Privatsachen ab und das war dann das Kapitel Kramer.“ Recht fassungslos und erstarrt hielt ich die Luft an. Ich registrierte dasselbe Gefühl in mir, wie damals, nach dem Lesen seiner SMS aus dem Urlaub. Der Atem stockte und ich drohte zu ersticken. Denken unmöglich. Die Kollegin merkte, Gott sei es gedankt, nichts von dem Schock. Meine Antwort kam, trotz meines Zustandes, gefestigt: „Hallo, zum Zweiten. Es war eine Wucht in Paris. Besten Dank der Nachfrage. Für die Info zum alten Kollegen ebenfalls mein Dankeschön. Jetzt würde ich mich gerne ein wenig sortieren, mir einen Überblick verschaffen und, wir werden später über Paris sprechen, sofern es die Zeit erlaubt“. Die Kollegin verließ das Büro. Ich setzte mich auf den Stuhl, weil meine Beine es vorzogen, den Körper nicht länger zu tragen. Ihre Worte zogen mir den Boden unter den Füßen weg. Zum wiederholten Male verspürte ich den Sinkflug im freien Fall. Ich versuchte, mir tagsüber in keiner Art und Weise etwas anmerken zu lassen. Ich fragte niemanden aus dem Kollegenkreis nach dem Grund für seine Freistellung, um keinen Verdacht zu wecken. An ihrem Blick und an ihrer Stimme, wie sie mir die Nachricht mitteilte, befürchtete ich, dass sie etwas gemerkt hatten, oder besser, schon im Bilde waren. Dann schoss mir in den Kopf, dass ich vor Paris zufällig gedankenversunken an mein Handy gegangen war, weil es klingelte und derjenige am anderen Ende sofort auflegte. Erst vermutete ich damals, dass Thomas es war. Heute, nach der ausgezeichneten Nachricht zur Freistellung von Herrn Kramer war mir klar, dass das die Kollegin mit den Telefonlisten war. Sie hatten den Durchblick. So schnell wird man enttarnt. Aber gleich wegen mir direkt jemanden zu kündigen, das überstieg mein Verständnis. Wir liebten uns doch nur, und diese Liebe ist privat. Das berührte das Dienstverhältnis rein gar nicht. Was sprach also dagegen? Nichts. Glückliche Menschen sind an sich produktiver. Und die nächste Frage war: „Warum wartete man den Urlaub ab, um meinen Kerl, ja korrekt gehört, meinen Kerl, mir nichts, dir nichts zu entlassen?“ Mir wurde speiübel. Der einzige Gedanke, der jetzt permanent im Kopf war, lautete: „Ab heute wirst du Thomas definitiv nie mehr wiedersehen! Nie wieder! Nie wieder!“ Ich wiederholte diesen Satz sehr oft. Keine klaren Gedanken waren in meinem Schädel, der brummte. Jeder kennt das Gefühl, wenn man einen lieben Menschen durch Tod verliert. Ihn beerdigt und weiß, dass es kein Zurück mehr gibt. Ihn loslässt. Es ist eine Trauer, die irre schmerzt, aber in der Gewissheit, dass derjenige sein Leiden überstanden hat, werden mit der Zeit Schmerz und Kummer erträglicher. Ja sie kehrt sich zeitweise sogar ins Positive, wenn man sich in den Leidenden, den Sterbenden, hineinversetzt. Wie befreiend ist es abzutreten, endlich von Schmerzen befreit zu sein, die Seele frei zu lassen. Ruhe zu finden. Das Gegenteil war soeben mit mir passiert. „Nie wieder Thomas“, hauchte ich leise. Ich, die Alleingelassene, Liebende, Leidende, Sterbende blieb zurück. Für die Kollegin, die das Büro nach ihrer Mitteilung verlassen hatte, war Thomas nur ein Kollege. Sie hörte den Satz nicht, den ich hauchte. Die Bürotür fiel ins Schloss und ich ins Dunkel, in die Tiefe! Mein Inneres war völlig leer. Ihre Worte lagen wie Blei auf der Seele. Ich atmete schwer, grübelte und sprach nicht mehr. Ich sterbe nicht mehr. Ich war schon Tod. Alles ertrage ich, dass er seine Frau nicht verlässt. Dass der Grund nicht seine Gattin, sondern die Kinder sind. Dass er eines Tages der enge Vertraute wird, den er mir zum Abschied vorgegaukelt hatte. „Lass uns gute Freunde bleiben,“ sagte er damals beim letzten goodbye. „Und wenn du mich brauchst, komme ich sofort.“ Ob er seine Worte je selbst für bare Münze nahm, wagte ich, mit Recht, jetzt anzuzweifeln! Freunde sein nach dieser tiefen Liebe, dem Abschied mit der großen Lebenslüge? Nein, nicht bei mir und für meine Person ein absolutes No-Go. Arbeiten war nicht möglich. Ebenso nicht am darauffolgenden Dienstag. Eine Tatsache ertrug ich seitdem gar nicht mehr: Thomas nie wieder sehen und riechen! Das zerriss mir das Herz! Das war mein Sterben! Ja, ich sterbe.

      Der