Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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Antwort kannte zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich Thomas. Mein Herz klopfte bei dem Gedanken an den Büroschluss wieder, wie bei der letzten SMS. Die Aufregung stieg, bis zum Treffen auf dem Parkplatz, ins Unerträgliche. 16.30 Uhr Ende des Arbeitstages. Ich schnappte mir rasch meine Tasche, rannte zum Wagen, öffnete das Verdeck, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr los. Feierabend auf dem Parkplatz am Wald. Mit Thomas. Endlich! Klarheit nahte. Auf der kurzen Fahrt dorthin sprach der Bauch ein eindeutiges NEIN aus. Er wird zu seiner Frau zurückkehren. Und wie gesagt, mein Bauch irrt sich nie. Ich zwang mich, einen klaren Kopf zu bewahren und die Hoffnung nicht aufzugeben. Die stirbt ja bekanntermaßen zuletzt. So versuchte ich, mich mental auf das Treffen vorzubereiten und mich ein wenig verhalten auf ihn zu freuen. Zweckoptimismus taufte ich das. Wir fuhren nie gleichzeitig los, damit die Kollegen bloß keinen Verdacht schöpften. Ich parkte schon längst auf dem Waldplatz, da fuhr Thomas auf den freien Platz neben mir. Er stieg aus, öffnete die Beifahrertür meines Wagens und setzte sich auf den Sitz. Es gab den berühmten Begrüßungskuss, kurz aber heftig. Das Herz pochte wie wild, nachdem seine Lippen meine verlassen hatten, und ich war einen kleinen Augenblick dem Glauben verfallen, er hört ihn. Wir schauten uns an. Niemand sagte ein Wort. Keiner von uns fand einen Anfang. Absolut Frau, ergriff ich die Initiative. Öffnete das Handschuhfach und übergab sein Willkommensgeschenk mitsamt der sorgsam ausgesuchten Karte. „Bevor du deine Rede hältst, bitte erst auspacken“, sagte ich mit fester Stimme. „OK,“ erwiderte er und packte aus. Hingerissen, aber äußerst verlegen, so kenne ich ihn, bedankte er sich und antwortete: „Jetzt habe ich immer unsere Musik bei mir.“ Mein Herz meldete sich: „Ich heule gleich!“ Der Kopf entgegnete: „Nein, du weinst nicht! Du bist bärenstark!“ Die Tränen unterdrückte ich. „Jetzt Du,“ hörte ich mich weiterreden. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Ich forderte jetzt sofort eine Antwort. So recht kamen ihm die Worte nicht über seine Lippen, aber zögerlich fing er an zu sprechen. „Der Urlaub war äußerst abenteuerlich. Erst krachte das Doppelbett auf dem Bauernhof zusammen.“ Mein Kopf-Teufelchen sprach: „Ausrede oder!“ „Im Anschluss daran war die Stimmung unheimlich erdrückend. Immer wieder Streitereien. Alles war so eng und beklemmend und du kennst mich ja, dann ergreift der Kerl die Flucht. Ich habe kurzerhand umgebucht. Flieger und ab auf eine Insel. Großes Hotel, ausreichend Platz, und garantiert perfektes Wetter.“ „Komme bitte auf den Punkt! Ich brauche keinen Roman!“ Unterbrach ich ihn. „Und rede nicht um den heißen Brei herum. Ich merke das doch.“ „Ja, wir, meine Frau und ich, haben lange geredet.“ Fuhr er fort. „Oh, sie redet,“ warf ich ein, „welch ein Wunder. Seit wann das denn? Schafft sie das nur unter Druck? Aber wenn einem droht, das Einkommen davon zu laufen, besteigt man auf einmal einen Achttausender im Rollstuhl. Was kommt denn jetzt?“ Fragte ich mit Nachdruck. Er erzählte weiter: „Und da waren die Kinder.“ Mein Kopf meldete: „Und zum Schluss folgte das Allerbeste!“ „Ich kann dir nicht die gleiche Liebe entgegenbringen, wie meiner Frau!“ Das sagte er mit dem berühmten, bärigen Lächeln und seinem schämenden Blick, an dem ich bis zum gegenwärtigen Tag erkenne, dass er flunkert, um nicht zu sagen, er lügt. Er hatte Glück, dass ich nüchtern war und nichts gegessen hatte. Ansonsten würde ich mich jetzt übergeben, so speiübel wurde mir bei diesem Satz. Mit jeder Antwort lerne ich zu leben! Mit jeder anderen gottverdammten Lüge lerne ich zu leben! Aber dieser Satz, diese Aussage, war der größte Selbstbetrug an unserer Liebe! Die abscheulichste Lüge, die mir jemals ein Mensch erzählt hat, der von sich behauptet, dass er mich abgöttisch liebt. Das kauft er ihr doch bitte nicht ab! Das Spiel, das sie da mit ihm spielt. Wie blind ist ein Mann? Der erste Schock fuhr mir nach ein paar Sekunden aus den Gliedern, da setzte er einmal mehr zu einer Steigerung an. Jetzt kam die Kür: „Sie wird sich ändern, hat sie mir im Urlaub versprochen, und sie hat schon damit angefangen es umzusetzen.“ Wie passend, dass ich nüchtern war, mein Magen vollzog eine irre Kehrtwende. Jetzt sprudelte es nur so aus mir und der tief verletzten Seele heraus: „Wie dämlich ist ein „MANN“ überhaupt. Du hast das gleiche Exemplar geheiratet wie ich. Diese Menschen halten ihre Veränderung nicht lange durch. Ich prophezeie dir heute schon, das schafft sie maximal ein halbes Jahr. Dann ist sie das alte Schätzchen.“ Ich redete besonnen, analysierend weiter: „So wie sich deine Geschichte anhört, hoffentlich warst du ehrlich zu mir, verliert sie, wenn du ausziehst, den Versorger, das Geld, der Lebensunterhalt. Mehr ist das nicht. Ein halbes Jahr und ihr beiden seid erneut am gleichen Punkt angekommen. Findet euch exakt im alten Trott wieder. Brauchst du diese Enttäuschung? Und wenn ja, wie oft in deinem Leben, damit du das endlich kapierst? Sie verstehst. Mach die Augen auf und schau genau hin. Stehst du auf Masochismus?“ Fuhr ich in friedlichem Ton fort und war froh, dass die Stimme gehalten hatte. Wir schauten uns an und die letzten Worte, die meinen Mund verlassen haben, waren: „Ich gebe dir eine gewisse Zeit des Nachdenkens. Lässt du diese Zeitspanne verstreichen, lösche ich dich von dem Zeitpunkt an aus meinem Herzen! Ich werde Thomas vergessen!“ „Über welche Zeit reden wir denn hier?“ Fragte er zögernd. „Das verrate ich dir nicht,“ meine Antwort. Zuhören ist und war nicht seine Stärke! Ich gebe ihm genau ein halbes Jahr! Wieder schauten wir uns lange wortlos an, bis seine Stimme die Stille durchbrach: „So, das zuhause wartet. Thomas wird losfahren. Bekomme ich einen letzten Kuss?“ Die Frage empfand ich in der Situation äußerst deplatziert und unverschämt. „Garantiert nicht, mein Lieber. Diese „betörenden Küsse“ holst du dir ab heute zu Hause ab! Und jetzt geh!“ In der wutentbrannten Stimmung brachte ich nichts anderes heraus. Er sah mich traurig an, stieg aus und seinen deprimierenden Blick werde ich mein ganzes Leben nie mehr vergessen. Die Wagentüre fiel ins Schloss. Ich schaute ihm nach. Er stieg in seinen Wagen, ließ den Motor an und steuerte langsam an mir vorbei. Trauer, Wut, Betrug, Einsamkeit, Enttäuschung und Lüge blieben in mir zurück. Ein Gefühlschaos in Herz und Seele tobte unaufhaltsam. Das Blut sackte aus dem gesamten Körper. Leere in mir. Einen Satz aber bekomme ich bis heute zu nicht aus dem Kopf: „Ich kann dir nicht die gleiche Liebe entgegenbringen wie meiner Frau!“ Es verschwindet nicht aus den Gedanken, nicht aus der Seele und nicht aus dem Herzen. Alles gelogen! Alles Betrug! Nur Kinder verkriechen sich in ihre Fantasiewelt und malen sich die Welt so zurecht, wie sie sie gerade eben brauchen. Sie verschließen sich vor der Realität. Spielen heile Welt. Er ist aber kein Kleinkind mehr! Er ist ein erwachsener Mann. Die Phase der Realitätsverluste ist aufgrund seines Alters lange vorbei. Er wird sich früher oder später den Tatsachen stellen. Er wird seine Frau und das, was er Familie nennt, nicht die Bohne ändern. Charakter hat einer oder man hat ihn nicht. Der wird angelegt, sobald ein Mensch mit durchschnittlich 50 cm und 3000 g auf dem Arm der Hebamme liegt und schreit. Die Gene lügen nicht. Was mich da so sicher macht, dass es nicht halten wird? Das ist simpel zu erklären: Unsere Blicke trafen sich ein allerletztes Mal beim langsamen Vorbeifahren seines Wagens. Wir schauten uns dabei tief in die Augen. Die traurige Tatsache, dass er weinend am Steuer saß. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Mein Blick klebte lange am Heck seines Wagens, bis die Rücklichter hinter der nächsten Kurve am Horizont verschwanden. Der Mann, der soeben hier selbstsicher vor mir saß und etwas sagte, dass ich nicht ernst nahm, fuhr unter Tränen, weinend vom Parkplatz. Er betrog sich und seine Seele, sein Herz mit einer großen Lüge. Es war der Wahnsinn, es war Selbstbetrug. Aber was nutzte es jetzt? Wir gestanden uns die Liebe an einem Mittwoch ein, und er beendete sie an einem Mittwoch. Regungslos, fassungslos und dem Sterben nahe, stand ich einsam und verlassen von der Liebe meines Lebens, auf dem Waldplatz, der unser Platz war. Ich weinte verhalten, recht leise. Der gesamte Körper war ein einziger Schmerz. Keine Art von Gliederschmerz, wie man ihn von einer ausgeprägten Grippe kennt. Nein, es war ein tiefer Schmerz, der alles in mir zum Zerreißen brachte: Herz, Kopf, Seele und Gefühle. Ich fand mich im freien Fall wieder, steil abwärts, doch das Auffangnetz fehlte. Ich schloss unter Tränen die Augen, wartete auf den schmerzhaften Aufprall. Der blieb zum Glück, Gott sei gedankt oder zu meinem Leidwesen aus. Nur eines blieb: Der unsagbare Schmerz. Er wich nicht aus dem Körper, egal wie lange ich weinte. Die Zeit, in der ich dort auf den ersehnten Aufprall wartete, von dem ich erhoffte, dass er alles von mir nahm, war nicht zu definieren. „Reiße dich zusammen, Mädchen“, sagte ich laut. „Das war ein Abschied für immer. Du wirst Thomas nie wiedersehen! Den liebenden Blick, das erotische, bärige Lächeln, den betörenden Geruch von Parfüm auf seiner Haut. Nie mehr diese umwerfenden Küsse, die mir jedes Mal die Sinne raubten. Nie wieder diese wahnsinnige Zärtlichkeit auf meiner Haut und in seinen Händen! Und erneut hörte ich mich reden: „Hast du echt gemutmaßt, dass ein Mann wegen dir eine Familie verlässt. Du fährst jetzt