Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


Скачать книгу

mich zu. „Bald geht´s los, nicht,“ sagte er. „Was meinst du?“ „Na, die Reise nach Paris. Wen nimmst du denn mit?“ Fragte er weiter, während er hastig in seinem Kaffee rührend, neben mir stand. Thomas roch so verführerisch. Ich schloss für einen kleinen Moment meine Augen und war wieder, angeregt durch den betörenden Geruch von Parfüm auf seiner Haut, mit ihm im Liebesspiel des Sommers. Der Kloß im Hals bei den Erinnerungen im Kopf wurde größer. Ich öffnete die Augen wieder und antwortete nach tiefem Luftholen: „Wen nimmst du mit? Was ist das denn für eine Frage? Gar keinen. Wir fahren zu zweit, alleine. Du hättest garantiert schon Ersatz für mich, stimmt´s?“ Dann nahm ich die Kaffeetasse, drehte mich um und ließ ihn prompt stehen. Was bildet dieser Blödmann sich eigentlich ein? Für die Liebe des Lebens gibt es keinen Ersatz. Gerechnet habe ich damit, dass er im Anschluss in mein Büro kommt und um Stornierung seiner Reise bittet. Aber nichts dergleichen passierte. Überlegte er es sich doch oder war er generell zu feige, zu fragen? Ich tippe auf Letzteres. Bei dem holden Weib zu Hause und seinem lieben Bärengemüt war das die einzig logische Erklärung. Madame hatte ihn für mein Dafürhalten voll im Griff. Er traute sich absolut nicht wieder zu fragen und das war angenehm. Die letzten vier Tage bis zur Reise vergingen im gleichen Trott. Aufstehen, Büroalltag, die Liebe ignorieren, Feierabend zu Hause und der malträtierten Seele eine Leiter in die Grube stellen. Thomas fragte nicht mehr. Hurra, Freitag. Endlich weg. Die Reisetasche war von mir zu Wochenbeginn schon gepackt worden. Der Zug fuhr vom Hauptbahnhof um 09:00 Uhr ab. Drei Stunden Zugfahrt und der Eiffelturm würde mich anlächeln. Am Morgen hatte ich kurz überlegt, was man denn so in Paris, der Stadt der Mode, trägt. Die Gedanken, beim Anblick des vollen Kleiderschranks, waren bei Thomas. Wie von Geisterhand griff meine Hand nach den Sachen, die er an mir immer so liebte: Die engen Bluejeans, das bordeaux farbene Seidenshirt und die transparente, mit Rosen bestickte, ärmellose Weste. Genau das Outfit unseres Candle-Light-Dinners. Bis auf die engen Jeans. „Na,“ sagte ich, „dann nehme ich den lieben Thomas eben auf meine eigene Art und Weise mit nach Paris.“ Das hilft ein bisschen. Wie automatisch sog ich den Duft der Sachen auf, in die ich später hineinschlüpfte. „Thomas“, sagte ich laut, „du kommst ja doch mit.“ Das Beste aber war, das Helga, die Seelenklempnerin, mit auf diesen Trip fuhr und dank ihr, hatte ich Ablenkung pur. Sie hatte mich im Zug dermaßen beschäftigt, dass ich bis Paris am Gard du Nord, kaum den Mann vermisste, der an der Reise schuld war. In Schale geworfen und mit nagelneuen Schuhen an den Füßen, was ich am Abend des ersten Tages bereute, stiegen wir aus dem Thalys und standen mitten in Paris. Ich war hin und weg. Die Stadt der Liebe, und das mit einer Frau! Wie romantisch. Nur nicht meckern. Ich war hier und das zählte. Die Reise war ihr Geld wert. Die Taschen auf unsere Schultern geworfen, trabten wir, mit Stadtplan bewaffnet, in Richtung der gebuchten Unterkunft. Die lag in einer engen Gasse, unweit des Gard du Nord. So viele kleine Hotels und schmale Seitenstraßen hatte ich bis dato in keiner anderen Stadt gesehen und ich war so glücklich, Helga nebst ihren Französischkenntnissen an meiner Seite zu wissen. Nicht, dass ich der französischen Sprache nicht mächtig war, aber so fließend eben nicht mehr, denn die Anwendung war bei mir eine ganze Weile her. Dank ihr fanden wir das Hotel ziemlich zügig. Nur kurz erfrischen und auf zur Erkundung der schönsten Stadt der Welt. Zu Fuß sei dies in aller Eindringlichkeit gesagt. Ich bekräftige: In nagelneuen Schuhen! Ich sage nur: Wer es braucht! Meine Wenigkeit nie wieder. Pfeift auf das Aussehen ihr lieben Frauen. Auf einem solchen Trip ist die Hauptsache, dass Schuhe bequem sind. Die Rache meiner Füße folgte am späten Abend, nach Rückkehr ins Hotel. Unser Fußmarsch, ab der Mittagszeit, führte über viele romantische Seitenstraßen, vorbei am Place de la Concorde, wo ein Riesenrad den Nebenplatz zierte. Wir kauften uns ein Ticket und verschafften uns mit der Riesenradfahrt einen ersten Rundumeindruck bei strahlendem Sonnenschein, bevor uns die Wanderung zur Champs Elysee weiterführte. Ein älteres, französisches Ehepaar saß uns in der Gondel genau gegenüber und erklärte aus freien Stücken, was alles in der Umgebung zu bestaunen war. Offenkundig sah man uns an, dass wir Touristen waren. Aus der Höhe erblickten wir sogar die Kioske, die überall gesäumt am Straßenrand der tollsten Prachtstraße, der Champs Élysée, in Paris standen. Kleine Buden mit leckerem Stangenbrot, französischem Käse und gekühlten, erfrischenden Getränken. Wieder am Boden verabschiedeten wir uns von dem ausgesprochen netten Ehepaar und bedankten uns für das ausführliche Gespräch inklusive dem kostenlosen Reiseführerbeitrag. Wir wurden leicht hungrig, nach dem ersten längeren Fußmarsch, setzten uns eine Weile essend und trinkend auf einer Parkbank am Fuße der Prachtallee, und schauten dabei hinauf zum nächsten Ziel: dem Triumphbogen. Käse und Brot schmeckten köstlich. Das kühle Getränk wirkte Wunder. Gestärkt und mit neuem Schwung trabten wir die berühmteste aller Straßen von Paris hinauf. Oh Mann war die lang. Die Vielzahl der Geschäfte, die sich aneinanderreihten, die Menschenmenge Einheimischer und der Touristen, sowie unzählige Restaurants übersteigen so manche Vorstellungskraft. Welch ein reges Treiben herrschte in der Stadt. Was für faszinierende Eindrücke uns Kleinstädter in Erinnerung bleiben werden. Wir sogen alles in uns auf und inhalierten absolut jede Kleinigkeit. Wir vergaßen, vor lauter Freude und Aufregung, zu fotografieren, uns diese Faszination in Bildern festzuhalten. Das ist uns leider zu später aufgefallen. Ein riesiger, über zwei Etagen sich erstreckender Douglas Parfümerie Shop, auf halber Strecke zum Triumphbogen gelegen, hatte geöffnet. Passanten strömten hinein. Bei jedem Öffnen der Eingangstüre schwebte eine Parfümwolke hinaus auf die Champs Élysée, direkt in unsere Nasen. Wir blieben stehen und versuchten, aus der Wolke zu erschnüffeln, welches Parfüm sich mit anderen gepaart hatte. Gucci mit Boss, oder Dior mit Armani? Es war ein leicht herber Duft, mit einer pudrig blumigen Note. Verführerisch. Wir schlenderten weiter, aber der am Ende der Straße monströs wirkende L`Arc de Triumph kam und kam nicht näher. Ich und meine Füße hielten tapfer durch. Aber die neuen Schuhe hatten partout kein Erbarmen. Sie brachten sich ab und an immer wieder in Erinnerung. Meine gequälten Füße! Aber wer schön sein will, muss eben leiden! Endlich, wir waren angekommen und standen neben dem berühmten Triumph-Bogen, auf dem Place Etoile. Im Hinterkopf hatte ich eine Bemerkung meiner Schwester präsent, die mir einmal beiläufig erzählte, dass es in dem Monument einen Aufzug gibt. Diese erfreuliche Nachricht gab ich sofort an Helga weiter. Sie fragte den Kontrolleur beim Einlass, denn ohne Ticket keine Aussicht. Der gab ihr aber zu verstehen: „Leider gibt es hier nur Treppen“. Vielen Dank, liebe Schwester! In meiner Erinnerung waren es satte 296 Stück, ohne sie exakt gezählt zu haben. 296 Stufentritte hinauf und das nach dem ersten Marathonfußmarsch in neuen Schuhen. Dann mal los. Beim Aufstieg der schmalen Stufen hinauf bis zur Plattform meldeten sich die Füße öfter und der erste Gedanke bei jedem Tritt war: „Wieso trage ich nicht meine bequemen Turnschuhe? Ach ja. Frauen sehen glänzend aus in der Stadt der Mode. Du bist aber keine Dame aus Paris. Du wirst garantiert nicht entdeckt. Alternde Models braucht hier niemand. Wen würdest du gerne beeindrucken? Thomas ist nicht hier. Na ja, die Eitelkeit lässt eben grüßen. Die Füße bestrafen sofort.“ Durchtrainiert war der Aufstieg erstaunlich schnell geschafft, bis auf die letzten Tritte. Endlich oben. Kurze Verschnaufpause. Zuerst einmal hinsetzen und dann an den Rand zum Ausblick vom Plateau. Die Aussicht bei strahlendem Sonnenschein war gigantisch und der Place Etoile hat nicht umsonst seinen Namen. Alle mehrspurigen Straßen rund um den Triumphbogen laufen sternförmig zueinander oder je nach Betrachtung, voneinander weg. Irre anzuschauen, faszinierend. Es herrschte in meinen Augen ein Verkehrschaos, da eine Verkehrsregelung, so wie wir sie in Deutschland kennen, nicht sichtbar war. Die Champs Élysée lag uns mit ihren Menschenmassen förmlich in ihrer gesamten Länge zu Füßen. Rechts von ihr entdeckten wir das obere Drittel des Eiffelturms. Er stand fast in greifbarer Nähe. Soweit entfernt war das gar nicht, so mein Eindruck. Den Weg schaffen wir locker. Unser spontaner Entschluss war daher: Den Eifelturm sehen wir uns heute an. Es war nicht spät, der Tag halbwegs jung und der Eisengigant direkt um die Ecke. Leider täuschten uns die Sinne und wir wurden eines Besseren belehrt. Mit raschen Schritten stiegen wir die 296 Stufen wieder hinunter auf die Straße und zogen los, gen Eiffelturm. Luftlinie ist aber nicht gleich Bodenlinie. Die Erkenntnis holte uns auf dem Weg dorthin. Ähnlich eines Gummibandes zog sich der ganze Weg bis zum Weltkulturerbe aus dem Jahr 1889, was meinen Füßen erneut nicht entgegenkam. Neue Schuhe, wie erwähnt! Das von Gustave Eiffel unter der Rubrik Utopie aus damals hundert Projekten ausgewählte, in ca. 2 ¼ Jahren erbaute, 312 m hohe Prachtexemplar stand erhebend vor uns auf einem langgezogenen, parkähnlichen Rasenstück. Insgesamt wurden 10.100 Tonnen Eisen und 2,5 Millionen Nieten verbaut. Er war für eine Standzeit von 20 Jahren geplant. Bis heute sind es 130 Jahre Lebenszeit.