Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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in den Frauenspiegel der Sonnenblende, kaschierte das verheulte Gesicht und rollte langsam los. Unterwegs schlug der immense Herzschmerz in geballte Wut um: „Verlogenes Miststück“, schrie ich laut. Das Gefühl missbraucht und benutzt worden zu sein stieg auf. Und unendlich belogen hatte er mich die ganzen Monate. Caroline war all die Zeit der Motor für seine Frau, sie wieder auf die vermeintliche Ehe Spur zu bringen. Ich würde das seelische Erpressung nennen. Wie ekelhaft war denn der Gedanke, der durchaus Tragweite hatte. Wieder schrie ich laut hinaus: „Arschloch! Scheißkerl!“ Es half nichts. Nur für den Augenblick des Schreiens. So tief verletzt hatte mich bis jetzt absolut niemand! Es saß auch vorher noch kein Mann so tief in meinem Herzen. Dieser Schmerz war unerträglich. Ein paar Minuten später stand ich in der Garage. Gefestigt und gequält lächelnd betrat ich das Haus. Die Realität hatte mich zurück. Lächeln junge Frau, immer nur lächeln. Ich zog mir die Jacke des Sommers aus. Sie roch nach Thomas. Mit einem dicken Kloß im Hals legte ich mich auf mein Bett. Die Gedanken fuhren Achterbahn. Ich stand am Abgrund. Mit geschlossenen Augen sah ich Thomas erneut an mir vorbeifahren und registrierte, dass es einen Hauch von Endgültigkeit hatte. Wünschte mir nur inständig, dass er eines Tages genug von seinem derzeitigen Leben und seiner schauspielenden Frau haben wird. Tränen liefen über meine Wangen. Es war der pure Wahnsinn, die absolute Glückseligkeit, die Frau an seiner Seite zu sein. Ich vertraute mir und dem aufkommenden Baugefühl, horchte tief in mich hinein. Die Seele sprach: Mein Herz wird immer ihm gehören und ich hoffte, dass er eines Tages den Weg zu diesem Herzen wiederfindet. Ich werde da sein!

      Die Zeit, die jetzt folgte, wünsche ich niemandem auf dieser Welt. Außer seiner Frau und, was sich Jahre später herausstellen wird, seinen Kindern. Es war eine seelische Tortur vom feinsten, eine Art Folter. Tagein, tagaus gute Miene zum hässlichen Spiel. Innere Stärke zeigen. Seit der Zeit verging kein Freitag, an dem ich mich nicht zu meiner damals besten Freundin, Helga, abseilte. Heute ist mir im Rückblick erstmalig bewusst, wie es ist, wenn einer permanent nach einer Antwort sucht, aber keine bekommt. Das ist einer unheimlichen, inneren Leere gleichzusetzen. Nichts hilft, weil nur derjenige die Auflösung der Frage kennt, der weinend weggefahren ist. Thomas! Es war ein seelischer Rundlauf, wie der Hund, der vergeblich versucht, seinen Schwanz zu erwischen. Alles drehte sich im Kreis. Ich drehte mich im Kreis. Meine Fragen- Antwortspiele drehten sich im Kreis. Die Leere und der Schmerz blieben aber in mir gefangen. Egal, was ich versuchte. Weinen, schreien, schweigen, reden. Ich nahm für mich folgenden Vorsatz in Anspruch: „Ich werde und erlaube es mir nicht, ihn zu vergessen. Er allein kannte diese gottverdammte Antwort nach dem Warum! Thomas war mein Herz und meine Seele. Ich war sein Herz und seine Seele. Es ist grausam. Ein Trost hatte die jetzige Situation: Er war Angestellter in unserer Firma. Er fuhr jeden Morgen auf den Parkplatz und wir arbeiteten gemeinsam. Die Gefühlswallungen aus Trauer, Wut, Enttäuschung, Schmerz und Leere beherrschten aber weiterhin meine Seele und das kam praktisch jeden Tag anders zum Ausdruck. Mal hatte ich depressive Stimmung, am nächsten Tag war ich übermotiviert. Die antrainierte „Scheiß-Egal-Einstellung“ funktionierte leider nicht täglich. Leichte Fortschritte waren mit jeder neuen Woche zu erkennen. Thomas war acht Stunden am Tag in meiner Nähe, das heilte die erste tiefe Trauer. Manchmal.

      Mein Geburtstag stand bevor und den hatten wir mitsamt Helga vor, in Paris, der Stadt der Liebe zu verbringen. Gebucht hatten wir im Juni, weit vor seinem ach so liebevollen Inselurlaub mit Gattin und dem großen, verlogenen Abschied. Was war das jetzt für eine Geburtstagsreise? Paris, Stadt der Liebe. Wie passend! Abhilfe schaffte die meine Freundin, Seelsorgerin und Therapeutin Helga. Sie war in der „Depressionszeit“ die mentale, seelische Unterstützung. Ohne Sie war es mir nicht möglich, unbeschadet aus der Lage heraus zu kommen. Helga stornierte kurzerhand seinen Part, denn Thomas hatte, wie wir, den Obolus für diesen Wochenendtrip schon geleistet. Das war zum jetzigen Zeitpunkt für uns möglich. Helga bekam seinen kompletten Anteil zurückerstattet. „Taschengeld gesichert“, sagte sie an einem Mädels-Abend und legte mir die Summe auf den Tisch. „Das ist nicht fair ihm gegenüber! Sorry, bitte nicht!“ Erwiderte ich. „Das ist sein Geld. Das gehört mir nicht. Das ist nicht meine Art. Egal, was zwischen uns war, oder ist.“ „Schau dich bitte einmal an. Und ob ich das kann“, gab Helga zur Antwort. Ich traute meinen Ohren nicht. Was hatte sie denn für Gedanken? Ich redete mit Engelszungen auf sie ein und versuchte, sie zu überzeugen. Vergebens. Helga steckte das Geld ein und gab ihm einen Namen: „Schmerzens-Taschengeld Paris!“ „Er ist es selbst schuld, der junge Mann“, sagte sie, „wenn er das mit einer Lebenslüge verstößt, was er bedingungslos liebt. Das ist Masochismus. Ich entziehe meiner Seele die Nahrung, die sie am Leben hält! Das ist Irrsinn, nur der Kinder wegen! Ihretwegen ist das nicht, dafür hatte er uns zu viel Intimes erzählt!“ Helga hatte genug Ahnung, worüber sie redete, da sie mit ihren Sprösslingen ebenfalls vor geraumer Zeit ihren Mann verlassen hatte, der sie betrog. Ihre Kinder sind anständig erzogen und sie bringt diese Kinderschar alleine durch. Von ihr habe ich die Weisheit, dass es psychologisch für Kinder besser ist, wenn Eltern sich einvernehmlich trennen, solange sie klein sind. Hut ab vor solchen Frauen! Mir fehlten die Argumente. Ups, ich hatte ein schreckliches Gewissen. Wieso? Meine Seele war malträtiert. Unter Umständen werde ich nie mehr einem männlichen Exemplar vertrauen, gar einen Mann von Herzen lieben. Lieben heißt Vertrauen schenken! Ob mir das eines Tages möglich sein wird, zweifelte ich derzeit an. Mir war nicht geheuer bei dem Entschluss, den Helga mit dem Taschengeld getroffen hatte. Andererseits sprach er im Betrieb nicht über seine Paris-Kostennote. Er verlangte sie nicht von mir zurück. Das Geld hatte er garantiert nicht vergessen. Ist er zu feige, mich zu fragen? Helga unterbreitete aber einen plausiblen, leicht versöhnlichen Kompromissvorschlag, um mein nicht so rosiges Gewissen zu beruhigen: „Fragt er dich nicht bis zum Abfahrtstag, dann ist das Taschengeld“. Ich hatte kein angenehmes Gefühl bei der Sache, gab aber letzten Endes nach und willigte ein. Geschlagene acht Stunden am Tag war es mir nicht so elend, wie ich befürchtete. In der Zeit von montags bis freitags war es zufriedenstellend mit mir und meinem Seelenkostüm, falls man hierfür Noten zu vergeben hätte. Solange Thomas im Hause, seine Stimme am Telefon war und ich ihn mir von der Küche aus, dank seines Parfüms, erschnüffelte, war meine kleine Welt in bester Ordnung. Nur die Abende zogen mich in ein tiefes Liebesloch. In den Stunden war ich mit der aufgewühlten Gefühlswelt einsam auf der Couch. Den bevorstehenden Geburtstag an einem der kommenden Montage, habe ich nicht groß gefeiert. Der Grund fehlte, Thomas. Hatte nur Kuchen und Konfekt für alle in der Firma spendiert. Am Nachmittag des Festtages, man höre und staune, kam Thomas und gratulierte. Die Büroglastüre öffnete sich, mit dem für Glastüren typisch knarrendem Geräusch. Er kam mit seinem berühmten Lächeln auf mich zu. „Heute ist ja ein Geburtstagskind im Hause. Gratuliere dir von Herzen“, sagte er und reichte mir die Hand. „Danke dir. Wäre echt nicht nötig gewesen“, erwiderte ich. Meine Stimmung ihm gegenüber blieb nicht verborgen. Der Kuchen steht in der Küche. Kaffee weißt du ja, wo du findest. Werde dann mal wieder was arbeiten.“ Im Anschluss an meine knappe Ansprache drehte ich mich um und arbeitete weiter. Thomas verließ wortlos das Büro. Dieser Tag war mit oder ohne seine Gratulation schon traurig genug. Am Freitagabend in der Woche hatte ich meine Mädels eingeladen. Geburtstage ohne sie, waren verlorene Jahrestage. Mädels Abend, mit Sekt, Süßem und Salat. Ein absolutes Must have. Es wurde gebührend gefeiert. Ich ertränkte die Trauer, den Verlust der Liebe, in Alkohol. Diese Nacht wurde äußerst lang. Mehr getrunken, anstatt Nahrung für eine solide Grundlage aufzunehmen. Angeheitert heulte ich mich in den Schlaf. Der Kopf rächte sich am nächsten Tag. Dementsprechendes Aussehen entdeckte ich beim Blick in den Spiegel. Shit Happens. Gott sei Dank, dass es ein Samstag war. Kaffee trinkend schleppte ich mich auf das Sofa und war glücklich, dass alle ausgeflogen waren. Ruhe im ganzen Haus. Mit Gedanken bei Thomas wurde mir urplötzlich bewusst, dass der kommende Freitag der Geburtstagstrip nach Paris sein würde. Das war sein eigentliches Geschenk vor dem freien Fall, seiner großen Lebenslüge. Mit der Liebe seines Lebens in Paris. Aus. Vorbei. Traurig, aber wahr. Einige Jahre später habe ich dann von Thomas selbst erfahren, dass er im gleichen Jahr, schon im Frühjahr, mit seiner „Holden“ einen Trip in die Stadt der Liebe unternommen hatte. Klasse nicht? Im selben Jahr mit unterschiedlichen Frauen nach Paris. Welchen Sinn ergab das denn? Testete er aus, welches Gefühl in Paris bei welcher Frau stärker sein würde? Wie irre abgefahren war der Gedanke? Gott sei Dank, dass ich das erst später erfahren habe. Grundsätzlich lehnte ich Orte ab, die er mit seiner Holden schon im Urlaub besucht hatte. Wenigstens vorerst. Ab dem darauffolgenden Montag zählte ich die Stunden,