Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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war ein Konzert von Lionel Richie in einer Großstadt auf einer uns bekannten Freiluftbühne. Ich hatte Karten gekauft und die Übernachtungsmöglichkeit gebucht. Ein kleines Hotel unweit des Konzertplatzes. Parkplatz direkt am Haus. Zimmer 2. Gott war ich aufgeregt, aber irre glücklich. Ich werde die Nacht mit ihm verbringen und in seinen Armen den Morgen begrüßen. Glück pur. Viele Momente und Stunden zu zweit haben wir nicht geplant in der Zeit, dem Sommer der Liebe. Es gab ja die Familien. Wir schafften uns nur mühevoll kleinere Freiräume und von langer Hand vorausgeplant. Eine damalige Freundin war das Alibi für den Konzertabend und die gemeinsame Übernachtung. Mädels Abend hieß das Zauberwort. Inwieweit mein Gatte dem Glauben schenkte, war mir damals gleichgültig. WG-Leben eben. Thomas hatte offiziell ein Klassentreffen und einen lieben Freund zum Alibi erklärt, den ich zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernte. Alles war bis ins Kleinste von langer Hand geplant. Nicht, dass wir darin Übung hätten. Mitnichten! Dass uns so etwas jemals im Leben passieren würde, das hatten wir uns im Traum nicht vorgestellt. Aber wir waren ein wenig stolz, dass so geschickt eingefädelt zu haben. Bis wir auf der Freilichtbühne das Konzert erlebten und die Liebeslieder von Lionel mitsangen, passierte etwas, das einen üblen Beigeschmack hatte. Wir saßen beim Abendessen und einem ersten Glas Rotwein zusammen im Hotel, da empfing sein Handy eine SMS von seiner Frau. Seine Gesichtsfarbe änderte sich schlagartig beim Lesen der Nachricht. Warum erzählte er mir sofort auf meine Frage, was los sei? Er hatte vergessen, an seinem Aktenkoffer die Zahlenkombination zu verstellen. Dieser war offen stehen geblieben und seine nette, von Neugier geplagte, nicht naive Gattin hatte sämtliches von mir darin gefunden. Die Liebesbriefe und -karten, die kleinen Geschenke, alles. Wieso versteckt ein „Mann“ denn all die für ihn kostbaren Sachen in seinem Aktenkoffer und lässt diesen dann unverschlossen herumstehen? Das nachzuvollziehen war für meinen Kopf unmöglich! War es Absicht oder Ungeschick? Er war enttarnt, das stand fest. Ich kapierte es nicht, wurde sauer! Seine Blicke trafen mich mitten ins Herz. Wir hatten uns so auf das Konzert, den Abend, diese Nacht gefreut. Und jetzt der fade Beigeschmack des enttarnt worden seins. „Was hast du nun vor?“ Fragte ich. „Ich fahre kurz nach Hause, nehme den Koffer mit und bin gleich wieder da!“ Sagte er mit fester Stimme. Es galt Schadensbegrenzung zu betreiben. Er setzte sich kurzerhand in seinen Wagen, brauste nach Hause und packte seinen Aktenkoffer, leider zu spät, in den Kofferraum und kam wieder. Mit leichter Verspätung, einem mulmigen Gefühl in der Magengegend und etwas Hetzerei fuhren wir im Anschluss zum Konzertplatz. Die gesamte Bahnfahrt über schwieg Thomas. Er hielt nur meine Hand. Äußerst fest. Ich war mit den Gedanken komplett bei dem supertollen, saublöden Ereignis. Sein Satz: „Jetzt liebe ich zwei Frauen“ war der Auslöser für die Kombinationsgabe seiner Gattin. Wie arglos uns sorglos ist dieser Kerl? Er torpedierte unsere Zukunft, die sozialverträglicher Lösung für alle! Oder provoziert er eine Konfrontation? War es seine Absicht, sein Wunsch nach der Eifersucht seiner Frau, damit sie ihn wieder begehrt? Und war ich nur die Sandwichfrau, das Mittel zum Zweck? Unter diesen Vorzeichen ein Konzert genießen würde nicht leicht werden. Nachdenklichkeit breitete sich aus. Sie schwebte, wie ein dunkler Schleier, den kompletten Abend über uns. Weiterhin saßen wir händchenhaltend in der Bahn, die uns direkt bis in die Straße der Freilichtbühne fuhr. Unweit des Konzertplatzes stiegen wir aus. Endlich angekommen, spielte der Lionel schon. Trotz der anfänglichen Missstimmung schafften es, seine Musik und seine Lieder, uns wieder zu besänftigen. Wir verdrängten für die Zeit des Konzertes das unschöne Ereignis. Hatten den Vorfall fast vergessen. Wir tanzten, sangen, zwar laut und nicht immer trafen wir den korrekten Ton. Aber wir hatten uns wiedergefunden. Engumschlungen lauschten wir der Musik, tranken Wein. Es stimmte die Band meine Lieblingsballade an, die ich aus voller Kehle mitgesungen habe. Wir tanzten dazu, mir wurde warm ums Herz und ich drehte mich zu Thomas. Es kullerten Tränen über sein Gesicht! Er weinte und sprach laut: „Truly!“. Da die Musik nicht so leise war, fragte ich nach: Truly? Und er sagte unter Tränen: „Surly!“ Alle, die den Song nicht kennen, hier der komplette Satz des Refrains: I`m Truly, Truly in Love with you Girl. Das war kein Gefühl – das war der Himmel auf Erden! „Ja, ich liebe Dich“, sagte er leise, nachdem das Lied verklungen war. Wir schwebten auf Wolke sieben mit direktem Anschluss in den Liebeshimmel. Der blöde Koffer war vergessen. Alles Schöne hat aber, wie jedem geläufig, immer ein Ende. Die letzten Liedklänge des Konzertes verhallten. Wir schlenderten engumschlungen, uns gegenseitig festhaltend, äußerst glücklich und verliebt, mit der herausströmenden Menschtraube Richtung Bahn. Lionel war wieder einmal nicht zu toppen. Unser erstes gemeinsames Konzert. Nie werde ich es vergessen. Zurück im Hotel stiegen wir umgehend die Treppe hinauf zum Zimmer mit der Nr. 2. Wir kuschelten uns aneinander. Aber entgegen unseres, oder besser meines Gefühls, war in Zimmer 2 eine eigenartige Atmosphäre. Es kam alles nicht so recht in Gang. Die Herzen sagten: Ich begehre dich! Die Stimmung, der neblige, graue Schleier schrie: Nicht jetzt. Lass es! Das Kofferereignis hatte uns im Unterbewusstsein mehr mitgenommen und beschäftigt, als wir es uns eingestanden hatten. Wortlos schliefen wir, uns in den Armen liegend, ein. Der nächste Morgen war sonnig und das Eigenartige in der Atmosphäre war verflogen. Wir haben uns den Gefühlen hingegeben und …...es war der Himmel auf Erden. Wir duschten und das Frühstück war schon bereit. Mir hing der gestrige Abend und diese total blöde Situation nach. Ich frühstückte nichts, außer Kaffee, wie in all den vergangenen Wochen zuvor. Das liegt bei mir daran, dass, sobald ich in negative Gefühle oder Stimmungen gerate, die nicht so recht zu erklären sind, gar nichts esse. Na ja, die Figur dankte es mir! Aber auf Dauer? Wir saßen im Frühstücksraum, Kaffee trinkend und zu meiner Verwunderung fing Thomas mit seinem Frühstück an. Er kaute lächelnd ein Brötchen. Er liebt direkte Frauen, demnach sprach ich ihn unverrichteter Dinge an: „Du lächelst so süffisant. Teilst du mir just etwas mit? War das unser Abschiedskonzert? Oder welche Gedanken beherrschen deinen Kopf?“. Er erklärte mir, dass beim nochmaligen Zurückfahren seine Kinder ihm solange nach gewunken hätten, dass er hin und her gerissen ist zwischen den Welten, eben alles. Ein wüstes Durcheinander der Gefühle bei Thomas. Das Gespräch vertieften wir bis zum Abschied am Mittag und ich fuhr mit ausreichend negativen Resonanzen in der Herzgegend vom Parkplatz. Der Abschiedskuss fiel knapp aus. Seine Rückreise war kürzer und er hatte der „Familie“ versprochen, am Mittag wieder zu Hause zu sein. Vollkommen in Gedanken versunken, unseren Song „sang to me“ hörend, fand ich die Autobahnauffahrt Richtung Heimatstadt und rollte für normale Verkehrsverhältnisse, wider meine Natur, langsam über Deutschlands Autobahnen. Eine nachdenkliche Stimmung ergriff mich. Welche Heimat wird es werden? Ich hatte Kinder und trage nicht nur Verantwortung für mein Leben. Thomas war der Mann, den ich von Herzen liebte. Es war wie verhext. Ein bekannter Klingelton drang mir ins Ohr, störte das Gedankenchaos. Die Augen auf Fahrbahn und Verkehr gerichtet nahm ich das Handy in die Hand und meldete mich, wie immer, mit Sehberger. Es war Thomas. Uns verbindet ein unsichtbares Band. Er kannte die Gefühle und Gedanken in mir, und ich in ihm. Wir schauten in unseren Seelen. Er meldete sich nicht mit Kramer. Sein erster Satz war: „Nicht, dass Du glaubst, dass es mit uns vorbei ist!“ Ich: „So? Was denkst du denn, dass die Caroline im Kopf hat? Dass ein gestandener Mann, wie du, nicht weißt, was du begehrst für ein erfülltes Leben in Liebe, das ist mein Resultat. Liegt es dir am Herzen, dass du wegen dem Menschen Thomas geliebt wirst oder weil du ein perfekter Versorger bist? Mir ist egal wer und was du bist. Mir liegt der Mann am Herzen. Geld verdiene ich alleine. Immer schon. Und alles Weitere erreichen wir gemeinsam! Du hast in deiner Familie vermutlich eine Wertstellung, die du falsch interpretierst. Ich hoffe, dass diese Erfahrungen nicht zu drastisch für dich werden wird. Die grausame Erkenntnis, wann immer sie stattfinden wird.“ Traurig antwortete er: „Das mit dem Koffer war total blöd und mein Fehler. Ich bin tief in deiner schuld! Die Sippe ist gar nicht da. Warum bin ich nicht bei dir geblieben. Jetzt sitze ich hier und habe Sehnsucht. Garantiert ist sie zu ihren Eltern gefahren und hat den Vorfall von gestern schon erzählt. Lass unser Glück nicht zu Ende sein, bitte, ich liebe dich, nur dich. Erzähle dir morgen alles ganz genau. Melde mich telefonisch am Sonntag, ok?“ Ich zögerte, sagte aber: „OK, wir telefonieren morgen.“ Wir redeten im Anschluss kurz über die vergangenen Stunden und verabschiedeten uns bis zum vereinbarten Gespräch. Wie angekündigt rief er einen Tag später kurz an und erklärte mir, dass seine Frau alles ihrem netten Herrn Papa erzählt hatte. Er war gespannt, welche Reaktion folgen würde und ob überhaupt irgendeine Aktion seiner Familie folgte. Wollte er denn eine? Er hatte sich mit seinem blöden Koffer in eine explodierende Situation hineinmanövriert, die Atombombe gezündet. Es wurde auf beiden Seiten ein nachdenklicher restlicher Sonntagnachmittag, nachdem