Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


Скачать книгу

„Sehr, sehr gerne Thomas“, sagte ich. „Lass uns darauf anstoßen.“ Wir ließen die Gläser klingen und waren ab jetzt nicht mehr Herr Kramer und Frau Sehberger, sondern Thomas und Caroline. Alles war so vertraut, nie anders. Langsam aber sicher steuerte das Gespräch in die vermutete Richtung. Er erzählte von seiner Frau, mit der er seit Ende der achtziger Jahre verheiratet war. Komisch, genau wie bei mir. Mit jedem Satz erkannte, ja lernte ich nicht nur mehr über seine „Ehe“ kennen, sondern stellte mit Schrecken fest, dass unsere damaligen Partner fast die gleichen Marotten und Charaktereigenschaften hatten. Introvertiertheit gepaart mit großem Schweigen ist eine beziehungstechnisch kontraproduktive Mischung, die uns beiden geselligen, extrovertierten und redseligen Menschen so gar nicht guttat. Aber wer erkennt diesen Umstand schon in jungen Jahren, wenn Mann und Frau auf der Pirsch sind. Alles lässt sich psychologisch begründen und begreifen. Das erfahren die Geschlechter aber erst mit der zunehmenden Lebenserfahrung und dem Alter. Das vermag ich hier nicht weiter vertiefen. Wir waren demnach mit fast denselben Menschentypen verheiratet. Ist das nicht erschreckend!? Dass es so etwas gibt. Wir sind unabhängig voneinander, an zwei unterschiedlichen Orten ansässig. Lebten das fast absolut gleichartige Leben. Haben Partner mit demselben Wesen bzw. derselben Charaktere geheiratet und das im gleichen Jahrzehnt. Wir haben Kinder bekommen. Alle fast identisch alt. Thomas Hochzeitstag fällt auf den Geburtstag meiner Mutter. Wir saßen am Ehrentag von Oma beim Candle-Light-Dinner. Die erste, leider nicht gehaltene Schwangerschaft, war zum gleichen Zeitpunkt ausgerechnet, wie eines seiner Kinder. Wir hörten im Teenageralter dieselbe Musik. Liebten alle Ballsportarten. Teilten die identischen Sehnsüchte, Träume und hatten denselben Fußball Lieblingsverein und vieles mehr. Das glaubt einem kein Mensch, diese Vielzahl der Gemeinsamkeiten. In gewisser Weise unheimlich. Selbst wir trauten unseren Gedanken, Erzählungen und Gefühlen nicht und waren seltsam berührt. Am Anfang seiner Ausführungen hatte ich den Verdacht und kurz überlegt: „Na ja, Frust in der Ehe und er braucht Abwechslung.“ Aber nach den ersten offenen, intimen und vertrauensvollen Gesprächsthemen war alles klar, so innig, authentisch und ehrlich, dass man die Situation des jeweils anderen selbst nur zu gut empfand und verstand. Das erfindet man nicht, diese Parallelen. Thomas kannte mein Leben bis dato nicht und ich nicht seins. Wie kommen diese „Zufälle“ zustande? Wenn wir hier überhaupt von Zufälligkeiten reden? Ich nannte es Schicksal! Waren wir etwa schon immer füreinander auserkoren? Esoterik Fans sagen sofort: Ihr habt das gleiche Karma und seid hundertprozentig eine Einheit! Esoterik, wer daran glaubt! Aber zurück zu unserem Dinner. Schon bei der Vorspeise, einem Krabbencocktail, aßen wir vertraut vom Löffel des anderen, ohne groß darüber nachzudenken. So wie alte Freunde eben, die sich alles erzählen, anvertrauen und sich ewig kennen. Ja, das Gefühl, uns schon lange freundschaftlich verbunden zu sein, war intensiv präsent. Wir schauten uns in die Augen, erkannten und lasen jeweils die Seele des anderen. Wahrlich, es lag nicht am Champagner oder dem leckeren Rotwein. Ich glaube, wir könnten die ganze Nacht dort sitzen und philosophieren. Die Zeit verging aber leider zu schnell. Schade! Endlich reden. Endlich jemanden haben, der zuhört, der sich in den anderen hineinfühlt und hineindenkt. Oh je, war das lange her, wenn man es überhaupt jemals in der Form erlebt hatte. Ich glaube, das ist nicht vielen Menschen im Leben gegönnt. Drei Stunden waren seit dem ersten Glas Champagner vergangen, bis das Dessert kam. Der Abschluss kündigte sich an. Wir waren zu dem Zeitpunkt schon so vertraut. Meine Seele sprach: Dieser Abend wird nie enden! Thomas Rückreise dauerte aber fast 1 Stunde mit dem Wagen. Daher läuteten wir schweren Herzens den Abschluss des Essens mit einem Aperitif ein. Ganz Gentleman, zahlte er die Rechnung. Er half mir in den Sommermantel und wir schlenderten zum Ausgang. Frische Abendluft wehte durch mein Haar. Das Parfüm verbreite seinen Duft und gelangte in Thomas Nase, der direkt spürbar hinter mir stand. Er ergriff meine Hand, hielt sie fest, schaute mir tief in die Augen und sagte: „Lass uns langsam zum Wagen schlendern, ja. Dieser Abend darf nicht enden!“ Seine Hand in meiner spazierten wir bedächtig auf den Parkplatz zu. An unseren Autos angekommen blieben wir wortlos wie angewurzelt stehen. Keiner sagte ein Wort des Abschieds. Die Atmosphäre knisterte, war voller Spannung. Mein Herz pochte unüberhörbar. Jeder von uns zögerte die Verabschiedung hinaus. „So, jetzt muss ich leider los“, sagte er und nahm mich Hals über Kopf in den Arm. Sein Körper war weich und muskulös in einem. Er sah mir tief in die Augen und küsste mich nach einigem Zögern, auf die Wange. Sein Augenpaar glänzte, sein Blick drang abgrundtief ins Herz, sein Lächeln erotisierte, verlangte absolut mehr. Er verharrte mit einem fragenden, gar fordernden, tiefen Blick. Er wartete förmlich auf eine Reaktion von mir. Es war für mich ein langes, wohliges und warmes Gefühl in seinen Armen. Mein Herz fragte direkt über die Stimme: „Nur ein Kuss auf die Wange?“ Indem ich es aussprach, bereute ich, es gesagt zu haben. Wir waren verheiratet und ich hatte meinen Vorsatz: keinen Betrug in der Ehe, niemals einen Kollegen und nie einen Ehemann. Zu spät. Das Wort Wange war beim letzten Buchstaben „e“ angekommen, da fühlte ich seine sanften Lippen auf meinen. Warm, weich und voller Emotion öffnete er seinen Mund und ließ es geschehen. Dieser Kuss war so innig, so hingebungsvoll, dass er mir bis heute in der Erinnerung ist und mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Das Gefühlsgemisch aus Emotionen, Wärme, Zärtlichkeit, und Vertrautheit – ja heute nenne ich es Liebe – das ich wahrnahm, so ein Gefühl der Leidenschaft hatte ich nie. Seine warmen Lippen lagen sanft auf meinen. Unsere Zungen berührten sich und lösten ein unvorstellbares Herzbeben im ganzen Körper aus. Die Sinne schwanden. Wir verschmolzen für einen Bruchteil zu einer Symbiose – einer Einheit und vergaßen Raum und Zeit. Mein einziger Gedanke war: „Bitte lass es ewig dauern!“ Nach diesem atemberauschenden Kuss schauten wir uns für einen Augenblick nur schweigend tief in die Augen. Es war um mich, es war um uns geschehen. Mein Gott, wie konnte dieser Mann küssen. Wir verharrten immer noch eng umschlungen. Nur der warme Abendwind umspielte unsere Silhouetten. Eine gefühlte Ewigkeit später durchbrach seine erotische Stimme die Stille der Nacht und er sagte. „Ich muss los. Bis morgen meine Caroline und fahre vorsichtig. Ich werde an meine Seele denken!“ „Ich an dich“, erwiderte ich, völlig überwältigt von den Gefühlen. Das ist Liebe! Dann stiegen wir in unsere Wagen und fuhren ein kleines Stück in die gleiche Richtung. Den ganzen, kurzen gemeinsamen Weg waren meine Blicke, die Blicke in den Rückspiegel. Thomas, ein letztes Mal vor dem kommenden Morgen sehen. Sei es nur flüchtig im Spiegel. So oft, wie auf der Strecke, sah ich nie in den rückwärtigen Außenspiegel. Nach dem Herzereignis ist jetzt nichts mehr wie vorher. Ein wohliges Gefühl verteilte sich im ganzen Körper. Ein Gemisch aus Leichtigkeit, Lebendigkeit, Himmel Hoch jauchzend im Liebestaumel erfüllte mein Herz. Verliebt war ich jetzt. Voller Liebe. So schwebt man auf Wolke 7 durch das Universum. Schwerelos frei und unendlich glücklich, vollständig. Ein letzter Blick in den Rückspiegel, ein kurzes Winken aus dem Seitenfenster beim Vorüberfahren, dann nach links, die Abfahrt Richtung Heimat. Aber welche Heimat? Wirre Gedanken flogen mir durch den Kopf, oh Mann. Alle meine Vorsätze waren dahin! Ist es das, für das ich es halte? Spielt er mit mir? Meint er es so, wie ich es verspürte? Zu Hause angekommen kroch ich ins Bett und lag dennoch lange wach. Zu vorgerückter Stunde, mit der Vorfreude auf Thomas, schlief ich dann beseelt ein. Der nächste Tag war nicht mehr wie alle Vorherigen. Diese, meine Welt war eine vollkommen neue! Es passierte ohne Plan, zu einem Zeitpunkt, an dem niemand damit gerechnet oder gar gesucht hatte. Es ist völlig rätselhaft. Es gibt dir jede Menge Kraft. Die Sucht nach ihm und das Beben in meinem Körper, beim Gedanken an diesen Mann ist grenzenlos. Das ist der Moment, der Augenblick, an dem sich dein ganzes Leben dreht, ändert und nichts mehr ist, wie es war. Man versucht, davor zu fliehen. Jeder Fluchtversuch ist aber vergebens. Das Feuer der Liebe übermannt einen und es ist der schönste Augenblick, wenn man den Menschen seines Lebens in den Armen hält und ihn nie mehr loslässt. In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ……

      Donnerstagmorgen, 07:30 Uhr. Thomas war, wie immer, pünktlich. Er steig aus und öffnete die Türe zum Büro auf. Sein Lächeln, das er mir schenkte, war erotischer, fesselnder und inniger als sonst. Anders, nicht wie an den vergangenen Tagen und Monaten. Ich hoffte nur, es würde ihm genauso ergangen sein und freute mich auf den Tag. Die Arbeit füllte unsere Stunden. Der Kopierer der Firma stand auf der ersten Etage. Für jede Vervielfältigung sauste ich im Laufschritt die Stufen hinauf. Was macht Frau nicht alles für die schlanke Linie. Mehrmals täglich Treppe rauf und wieder hinunter waren ein perfektes Ausgleichstraining für das stupide Sitzen am Schreibtisch. Die Vorgänge vom Vortag verlangten nach mir, wurden fertiggemacht und der sinnliche, gestrige Abend, der innige Kuss des zarten Anfangs rückte in den Hintergrund. Die Armbanduhr