Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


Скачать книгу

ich mir das restliche Feuerwerk anschaute, stieg ein seltsam wohliges Gefühl in mir auf und ich ertappte mich dabei, den Kopf voller Gedanken an Herrn Kramer zu haben. Wie hat er das große Ereignis gefeiert? Wen hält er jetzt in seinen Armen und welchen Wunsch hat er für sich definiert? Ob er ebenfalls an mich denkt? Mit einem lauten „Mama“ fiel mir mein Sohn um den Hals, riss seine verträumte Mutter aus den törichten Gedanken. Die Kinder waren müde, angesichts der vorgerückten Stunde. Ich brachte sie in ihre Betten. Dicken Gutenachtkuss und entzückende Träume. Eine liebende Mutter kommt immer ihrer Pflicht nach und bringt die müden Kinder in die Federn. Im Anschluss daran gesellte ich mich wieder zu den feiernden Gästen. Jetzt folgte der ruhigere, angenehmere Teil der Nacht. Nette Gespräche und die letzten Gläser Wein. Bis in den frühen Morgen wurde gescherzt und gelacht. Millennium – welch ein mystischer Augenblick. Für das restliche kurze Wochenende war relaxen und Ruhe angesagt. Der kommende Montag läutete dann den neuen Arbeitsalltag ein. Die langersehnten Ferien waren vorüber. Alle Urlaubsrückkehrer fanden sich pünktlich wieder an ihrem Arbeitsplatz ein. Jeder erzählte in der ersten Stunde des Wiedersehens von seinen Erlebnissen zur Weihnacht und von einem restlos emotionalen, persönlichen Silvester. Herr Kramer kam zu vorgerückter Mittagszeit ebenso in mein Büro, reichte mir die Hand und sagte: „Hallo Frau Sehberger. Von Herzen alles Liebe für das neue Jahr, das junge Jahrhundert. Ich hoffe, dass all Ihre Wünsche sich erfüllen werden.“ „Tausend Dank. Ihnen und Ihrer Familie ebenfalls ein glückliches, neues Jahr,“ so meine Antwort. Seine Stimme nach der zweiwöchigen Urlaubszeit wieder zu hören, berührte mich zutiefst. Beim Verlassen des Büros dreht er sich an der Türe erneut um und schenkte mir ein betörendes Lächeln. Dann schloss er die Bürotür und stieg die Treppe zu seinem Büro hinauf. Ich hatte wieder dieses unvergleichliche Hochgefühl, diese Euphorie in mir. Unerklärlich, meine Gefühle, so bald er im Raum war. Welch ein gelungener Jahresanfang. In der Firma war es nicht allzu turbulent. Alle Kollegen wünschten sich ein brillantes, neues Jahr, wenn man sich über den Weg lief, und freuten sich wieder auf den Frühling. Der macht ja bekanntermaßen alles neu! Die restliche Winterarbeitszeit verging relativ rasch und arbeitsreich. Kinder und Ehemann wohlauf. Herr Kramer hatte sich schon problemlos eingelebt und eingearbeitet. Eines frühen Morgens im Frühjahr – es war ein Donnerstag – kam er in einem Outfit, was ich komisch, gar lustig fand. Er trat herein und was ich sah, entlockte mir ein kleines, verschmitztes Grinsen. Seine Art, sich zu kleiden, war für meinen Geschmack und seine Position im Job nicht passend, salopp ausgesprochen. An jenem Tag hatten Hose, Hemd und Krawatte die unterschiedlichsten Grüntöne. Ein leicht schmerzender Anblick für Menschen mit Stil. Wenn das mein Mann wäre, würde er seiner Position entsprechend perfekt gekleidet sein. Ich war aber nicht seine Frau und er weckte in mir Mitleid. So entlässt eine Ehefrau ihren Mann nicht ins tägliche Arbeitsleben. Leider ist es mein Naturell, dass ich liebgewonnene Personen auf diese komischen Missstände stets hinweise. Nicht immer vorteilhaft für mich, das gebe ich gerne zu, aber so bin ich eben. Es sah so seltsam an ihm aus, dass es aus mir heraussprudelte. Es war mir gleichgültig, welchen Kommentar ich mir einfangen werde. Allen Mut zusammengenommen, stieg ich die Treppe hinauf und stand jetzt in der Küche, welche, wie man weiß, direkt gegenüber seinem Büro lag. Der Vorwand war: Ich brauche Kaffee am Morgen. In der Küche angekommen trafen wir schon, wundersam, aufeinander. Meine Augen musterten ihn und just hörte ich eine Stimme reden, die die Ohren gut kannte: Es war die Eigene. Direkt und unverblümt teilte ich ihm auf charmante Art mit, welche Kleidung er da so spazieren trug. Es sprudelte nur so aus mir heraus. „Hallo Herr Kramer. Entschuldigen Sie bitte, aber wer zieht Sie denn morgens an? Suchen Sie sich die Sachen selbst aus oder macht das Ihre Frau?“ Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich. Wenig amüsiert über diese Frage, bekam ich prompt seine Antwort: „Sie sind reichlich frech, junge Frau. Das geht Sie freilich gar nichts an.“ „Verzeihen sie meine direkte Art. Ihr Outfit gehört in eine andere, längst vergangene Zeit der 80er. Dazu gleich drei verschiedene Grüntöne. Das funktioniert überhaupt nicht. In ihrer Position.“ Antworte ich und versuchte, die Situation wieder zu beschwichtigen. Er schaute mich mit seinen großen, blauen Augen an. Kein Lächeln. Nicht einmal ein kleines. Er wendete sich ab, stapfte schweigend zurück in sein Büro und schloss die Türe. Jetzt hatte ich ihn hoffentlich zum Nachdenken gebracht und war froh, diesen leisen, nett formulierten Angriff auf seine Person überlebt zu haben. War gespannt, wie der Kollege in den kommenden Tagen aussehen wird. Aus meiner Sicht gestattete das eine Verbesserung. Ich nahm mir den Kaffee, schlenderte die Treppe hinunter zurück ins Büro und zog ebenfalls meine Türe zu. Im Stuhl sitzend, grinste ich ein wenig angesichts des soeben erlebten Zusammentreffens. Stürzte mich aber sofort wieder in die vor mir liegenden Ausschreibungen. Den gesamten Tag über habe ich Herrn Kramer, kein weiteres Mal zu Gesicht bekommen. Scheinbar hatte meine Ansprache ihn mehr verärgert, als ich es beabsichtigt hatte. Der Tag verging, die Stunden verflogen. Ich hörte seine Schritte auf der Treppe, so stieg nur er die Stufen hinunter. Entgegen allen Monaten zuvor fuhr er heute schon um 15:00 Uhr Ortszeit in den Feierabend. Warum? Sein Kalender war leer. Wie jeden Tag führte ihn sein Weg an meinem Büro vorbei. Er wünschte mir durch die offenstehende Tür, mit seinem unvergleichlich bärigen Lächeln einen erholsamen Büroschluss. Ich war etwas verwundert, gar irritiert, erwiderte kurz den Wunsch und fragte erstaunt: „Na, Baustellentermin?“. „Nein“, hauchte er, lächelte verschmitzt und tänzelte förmlich hinaus zu seinem Wagen. „Na ja“, sagte ich, „es ist jetzt echt nicht nötig, alles zu erzählen.“ Nur sein Lächeln einzuordnen, fiel mir schwer. Bis zum nächsten Morgen. Er steuerte seinen Wagen auf den Parkplatz, direkt vor mein Bürofenster und stieg aus. Ich traute den müden Augen nicht. Es verschlug mir die Sprache. Er hatte das geschafft. Ich war sprachlos bei seinem Anblick. Ein vollkommen neues Geschehen bereicherte meinen Erfahrungsschatz. Das war die unglaublichste Wandlung eines männlichen Wesens, die ich je in so kurzer Zeit gesehen und erlebt hatte. Komplett neu eingekleidet stand er zur Begrüßung in meinem Büro und sein Lächeln forderte jetzt sofort ein Kompliment. Aber warum von mir? Die erste anerkennende Äußerung gebührt immer dem Partner. Er hat doch eine Frau. Ich lächelte, suchte nach Worten. „Ja hallo, guten Morgen. Sie sehen heute umwerfend aus. Perfekt. Genauso Herr Kramer. Famoses Outfit“, hörte ich mich reden. „Vielen Dank, schöne Frau. Das Kompliment aus Ihrem Mund zu hören, macht den Tag zu etwas Besonderem!“ Sagte er. „Einen traumhaften Tag wünsche ich der Dame. Bis später einmal“. So langsam stimmten mich die Vorfälle mit ihm nachdenklicher. Was zum Teufel bedeutete das? Was führte er im Schilde? War es mehr, als nur ein netter, neuer Kollege? Die Gedanken fuhren zum ersten Male Achterbahn! Die Gefühle ebenso! Ich horchte tief in mich hinein und sagte: „Nein, ich bin verheiratet, habe zwei gesunde und gescheite Sprösslinge, ein solides zu Hause, nette Schwiegereltern und, und, und. Ich fühle mich komplett. Das bildest du dir alles ein, junge Frau.“ Ich senkte den Blick auf die Schreibtischfläche und legte die Konzentration sodann wieder auf die zu erledigenden Büroaktivitäten. Der Kopf blieb aber nicht stumm. Er verstand sich ausgezeichnet auf die subtile Art des Flirtens. Genaugenommen war es von Anfang an phänomenal. Alles andere wäre gelogen. Ich genoss es jedes Mal in vollen Zügen. Komplimente irgendeiner Art zu Hause waren schon lange nicht mehr an der Tagesordnung. Kennen Sie das, dass der Partner in all den Jahren für sie nicht einen Kosenamen hat? Dass er sie meist nicht mit ihrem Vornamen anredet? An manchen Tagen seine Mutter zuerst begrüßt und keine Probleme anspricht? Das Vorlesen beim zu Bett bringen der Kinder, so lange hinauszögert, dass der Zeiger der Uhr fast immer auf 21 Uhr vorrückt, bis er den Weg auf die Couch schafft. All das ist mir vor dem beruflichen Wiedereinstieg in den Job und vor dem Firmeneintritt des neuen Kollegen, Herrn Kramer, gar nicht aufgefallen. Man war dem Alltagstrott so ausgeliefert und wurde förmlich betriebsblind. Saß mein Mann dann endlich auf der Couch, war ich meist schon so müde, dass mir ein Gespräch zu anstrengend war. Konsequenterweise könnten wir kürzertreten. Gesagt habe ich es ihm oft. Er aber kürzte das Vorlesen nicht ab, zog das Lesen bei den Kindern vor. So ist es eben jetzt. Heute, nach all den Jahren Abstand und den Rückblicken in stillen Stunden ist mir klar, dass unsere Beziehung zum damaligen Zeitpunkt schon nicht mehr mit Liebe zu definieren war. Wir lebten Zweckgemeinschaft. Ich hielt, der Kinder wegen, an dem fest, was wir Ehe nannten. Meine Eltern haben mir keine Scheidung vorgelebt. Nein, sie haben sich zwar gestritten, aber sie haben sich jedes Mal versöhnt, sich geliebt bis zum Tod des Vaters und darüber hinaus. Das glaube ich zu wissen, weil wir Frauen der Familie uns immer alles erzählt haben. Ich weiß es eben.

      März. Der Frühling im neuen Jahrhundert zeigte sich