Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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mit dicken roten Kerzen, großen Schleifen und echtem Tannengrün. Der ganze Raum duftete nach Tanne und Weihnacht. „Lieber Gott“, sagte ich laut, „wer war das denn?“ Und, während meine Wenigkeit so vor sich hindachte, stand urplötzlich und überraschend Herr Kramer neben mir. Schweigend und lächelnd. Unsere Blicke trafen sich. Da war er wieder, der Schauer. In seinen Augen, an seinem bärigen Lächeln las ich die Antwort auf meine Frage: ER hatte den Kranz am gestrigen Tag nach Feierabend gekauft und in aller Frühe heute Morgen hierhergestellt. Dann sagte er mit stolz geschwellter Brust, äußerst selbstbewusst: „ICH“. Knisternde Stille. Wir schauten uns an. Lange an. Ich kombinierte. Am gestrigen Morgen hat Herr Kramer mein Selbstgespräch mitbekommen und ist dem aufmerksam gefolgt. Aber warum besorgte er den Kranz? Nur weil Frau Sehberger das sagt? Ich löste mich von seinem Blick und gab behutsam, zögerlich lobend, etwas verlegen, zur Antwort: „Vielen Dank. Das war doch nicht nötig.“ „Es überkam mich aber eine große Lust, Ihnen diese Freude zu bereiten. Das habe furchtbar gerne für Sie gekauft“, antwortete er. Verlegenheit stieg auf. Mir wurde warm. Leicht verwirrt, aber mit unheimlicher Freude über seine geglückte Überraschung, seiner Geste, nahm ich die gesuchten Akten und sprang förmlich die Treppe hinunter, zurück ins Büro. Apropos mein Büro! Wie vorhin erwähnt, räumte ich genau wegen dieses Mannes die erstklassigen Räumlichkeiten auf der ersten Etage, um mich ab dem Tag an mit meinem „Lieblingskollegen“ in einem im Erdgeschoß liegenden Zimmer wiederzufinden und einzurichten. Die Hauptaufgabe des Kollegen war die Auftragsakquise und so war er, zu meiner großen Freude, das gebe ich gerne zu, mehr draußen unterwegs. Er rückte mir daher nicht permanent auf die Pelle und beglückte mich nur selten mit seiner körperlichen Anwesenheit. Bei dem Amtsantritt im vergangenen November unterstützte Herr Kramer an seinem ersten Tag den Umzug. Dem „Lieblingskollegen“ half er beim Schreibtische schleppen. Der Kollege setzte bei der Aktion kein allzu erfreutes Gesicht auf. Das fiel Herrn Kramer auf. Unsere Sympathie füreinander hielt sich in Grenzen. „Was schauen Sie denn so, Herr Müller. Schätzen Sie sich doch glücklich, ab heute mit einer so schönen Frau zusammen ein Büro zu teilen. Ich würde sofort mit Ihnen tauschen!“ Hörte ich Herrn Kramer reden. Indem er die Sätze sagte, schaute er mich – wie beschreibe ich es – mit dem für ihn typischen, erotisch, bärigen Lächeln und einem Blick an, der mir tief in die Seele drang. Kalt und heiß lief es mir erneut den Rücken hinunter und das im November. Dabei waren nicht einmal mal 4 Stunden nach seinem Amtsantritt vergangen. „Nein“, sagte ich in Gedanken, „das bildest du dir ein. Verbanne die Worte! Bleibe auf dem Teppich, junge Frau. Nicht alle Männerherzen liegen dir zu Füßen“. Nicht alle, aber seins? Er verwirrte mich immerzu. Solche seltsamen Augenblicke gab es ab seinem Amtsantritt viele mit uns. Die Situationen schlüssig einzuordnen gelang mir nicht. Es war mehr eine fast wortlose Kommunikation, so eine Art unsichtbares Band, eine stille Post. Wenn wir in einem Raum zusammen waren, hatte er Gedanken im Kopf, die ich dann laut aussprach oder umgekehrt. In den Jour Fixen der nächsten Wochen verstanden wir uns immer mehr, und wie gesagt, fast wortlos. Ungewöhnlich oft zog es mich, zum Kaffee holen, in die 1. Etage. Hierbei ist anzumerken, dass die kleine Küchenzeile der oberen Büroetage direkt gegenüber von seinem, sorry, meinem alten Büro, lag. Die meiste Zeit über arbeitete er mit offener Türe, so dass mir jedes Mal ein kleiner Blick auf ihn gegönnt war. „Männer sind etwas Wunderbares“, signalisierte mein Bauch-Engelchen! „Nicht doch, nein“, sagte der Kopf-Teufelchen. „Das bildest du dir ein!“ Indes der Kaffee so vor sich hin kochte, entlockte ich ihm immer, zwar nur ein kurzes, aber intensives Gespräch, den liebevollen Blick inklusive. Ich bin eine treue Seele, trotzdem zog er mich unerklärlich an. Gute Chemie unter Kollegen, diagnostizierte ich. Beste Voraussetzungen für eine effiziente Zusammenarbeit bei den gemeinsamen Projekten. Man versteht sich ausgezeichnet, mehr nicht. Wir haben dieselben Gedanken, teilen die gleichen Ideen und er sorgte endlich für den ach so berühmten „ROTEN FADEN“ in dem, was man Firmentransparenz nennt. Der Leitfaden war hier aus meiner Sicht, bis zu seinem Eintritt und der neu eingeführten Organisation, nicht vorhanden, nicht zu erkennen, geschweige denn, dass die Gesamtstruktur und deren Abläufe transparent für jeden klar nachzuvollziehen waren. Nur, dass eine solche Transparenz unbedingt erforderlich ist, um effizient und effektiv zu arbeiten, das hatte hier bis heute keinen gestört. Darüber hinaus ebenso wenig begriffen. Sein neu eingeführtes System wird von einem, meinem damaligen Lieblingskollegen, bis heute zu weitergeführt. Tja, erfolgreiche Strukturen werden eben beibehalten und übernommen, so ist das manches Mal. Die letzten Adventstage vergingen schnell und schon stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Der verdiente Weihnachtsurlaub setzte ein. Das Fest der Liebe verlief bei uns durch meine Kindheit geprägt, traditionell. Am Heiligen Abend war unsere Mutter Gast im Hause ihres ältesten Kindes, weil unser Vater leider zu früh, am Anfang er 90-iger Jahre, verstarb. Mama blieb an Weihnachtsabenden nie alleine. Mein Geschwister ist verheiratet, hat aber keine Kinder und lebt mit Mann und Hund in einem großen Haus. Und weil der Schwiegermutter das gleiche Schicksal ereilte, waren beide Mütter grundsätzlich am Heiligen Abend dort. Bei uns war es lebhafter, weil sich zu unseren Kindern meine Schwiegereltern gesellten. Seit dem Hauskauf Mitte in den 90er Jahre, wohnten wir zusammen, aber in getrennten Wohnungen. In einem von uns umgebauten großen Zweifamilienhaus mit riesigem Garten und jeder Menge Platz für tobende Kinder. Zuhause war ich nach Feierabend in der Vorweihnachtszeit mit Dekorieren, Geschenke verpacken, Essen vorbereiten und vielem mehr beschäftigt. An Heilig Abend war es für unsere Kleinen wieder einmal ein gelungenes Fest. Christmesse besuchen, Präsente auspacken und das weihnachtliche Essen genießen. Unbeschwert ausgelassen unter dem Tannenbaum. Kinder Heilig Abend eben! Was ich von meinem Mann geschenkt bekommen habe, ist mir entfallen. An den Weihnachtsfeiertagen waren wir stets mit einer Art Rundreise beschäftigt. Am 1. Weihnachtstag zur ersten Oma zum Mittagessen bis in den Abend hinein. Der 2. Feiertag gehörte meiner Schwester mit Frühstücksbuffet am Morgen und zu guter Letzt reservierten wir den Nachmittag des 2. Tages endlich für unsere kleine Familie. Entspannung pur und jeder hatte Zeit für sich. Der weihnachtliche Feiertagsstress war geschafft. Die Woche zwischen den Tagen verging mit dem Treffen der Vorbereitungen auf das Millennium Silvester. Alles lief auf Hochtouren. Ein einmaliges Jahrtausendereignis, und wir waren dabei! Das Glück der passenden Geburtsstunde! Lange beschäftigte ich mich mit dem Gedanken, mit wem wir denn das bedeutende Ereignis feiern werden. Es bereitete Kopfzerbrechen. Mit den Omas und Opas, oder lieber mit Freunden? Die ältere Generation, die Großeltern, waren eingeladen und somit versorgt. Es fehlte eine Person für mich, die zu feiern verstand, was der Mann an meiner Seite nicht begriff. Ausgelassen die Nacht zum Tagemachen, tanzen und die Alltagssorgen für eine Weile vergessen. Folglich wurde eine meiner Freundinnen mit ihren Töchtern eingeladen, um das einmalige Silvester überschäumend feiernd zu erleben. Die Welt verabschiedet ein Jahrhundert und begrüßt zeitgleich gar ein neues Jahrtausend. Ohne zu erahnen, welch eine Wende das Leben nach diesem Fest für mich nehmen wird, plante ich ein großes Millennium Silvester. Die Planung bereitete mir Freude und was das neue Jahr alles bereithielt, war mir bis dato einerlei. Eine Jahrhundert-, gar eine Jahrtausendwende mitzuerleben war emotional gigantisch und aufregend. Vorab verrate ich eines: Das neue Jahr wird für mich das Ereignisreichste werden, das ich in den Letzten zehn erlebt habe. Zukunftsweisend in jeder Hinsicht. Eine Kommunion stand ins Haus und ich war glücklich. Der Job bereitete Freude, die Kinder entwickelten sich prächtig, gegenseitig befruchtende Freundschaften, die Mädels, die netten Kollegen und der „NEUE“, Herr Kramer, inspirierten mein Leben. Aber woran lag das eigentliche, unerklärliche Hochgefühl, das ich seit dem Herbst in mir empfand? Nur nicht zu oft darüber nachdenken. Lieber unbeschwert diese Euphorie genießen. Einige meiner Wünsche und Ziele hatte ich bis dato erreicht. Tiefe Dankbarkeit war zu spühren und ich ruhte in mir. Mitte dreißig - absolut ich und das war mehr, als ich mir erträumt hatte.

      Millennium. Der Silvesterabend kam, die Kinder hielten tapfer durch. Das Haus war voll, Spaß bis 23.59 Uhr. Alle zählten den Countdown laut mit und......... Jaaaaaaa, da war es, das verheißungsvolle Jahrhundert, das neue Jahrtausend. Feuerwerk überall. Heller und bunter, nicht wie in all den Jahren zuvor. Die Sektkorken knallten laut, die Gläser wurden gefüllt und alle Feiernden erhoben sie zum Trinkspruch. Jeder wünschte sich etwas Grandioses, das noch nie dagewesene. Niemand verriet seine Träume, sonst erfüllen sie sich nicht. Mein größter Wunsch war schlicht und eindeutig: Gesundheit und Liebe für ein langes Leben. Beim Anblick des gigantischen Feuerwerks bekam ich ein wenig Gänsehaut, das gebe ich gerne zu. Wir standen mit strahlendem Lächeln an den Fenstern. Wer von uns sagt mit Bestimmtheit