Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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waren. Das behaupte ich von mir. Es wurde spät. Der Arbeitstag am kommenden Morgen forderte von unserem erkenntnisreichen Beisammensein, dass wir diesen anregenden Abend jetzt beenden. Nach einem letzten Glas Wein zahlten wir die Rechnungen und rollten förmlich, gesättigt vom delikaten Essen, zu den Pkws. Wir verabschiedeten uns herzlichst mit einer dicken Umarmung. „Na, dann allerlei Spaß mit dem NEUEN. Ich bitte dich um unverzügliche Berichterstattung und Erfolgsmeldung,“ sagte mir Marlene vor dem Einsteigen. Sie überließ mich mit ihren Worten und meinen Gedanken im Kopf in die kommenden Arbeitswochen. War es Schicksal oder Bestimmung? Keiner ahnt voraus, was uns die Zukunft bringt. Welch ein wirrer Beginn für ein neues Jahr, mein Jahrhundertjahr. Für heute führte der Weg erst einmal nach Hause zu Mann und Kindern. An der Haustüre angekommen, schloss ich leise auf, trat ein und stieg die Treppe hinauf in die Wohnung. Alle Lieben lagen schon im Tiefschlaf. Ich schlich behutsam zum Ehemann ins Bett. Die Gedanken rund um das Gespräch mit Marlene kreisten permanent in meinen Kopf. Hatte Sie mit allem Recht? Eine ganze Weile lag ich wach und brütete über mich und Herrn Kramer. Zu vorgerückter Stunde in dieser Nacht siegte die Müdigkeit und der wohlverdiente Schlaf setzte ein. Wohltuender Ruhe und angenehme Träume.

      In den darauffolgenden Tagen des Aprils war Herr Kramer in der Firma etwas kurz angebunden. Außer einem „Guten Morgen“, einem „Schönen Feierabend“ und seinem betörenden Lächeln waren keine nennenswerten Gespräche zustande gekommen. Oft verließ er vor dem regulären Betriebsende das Gebäude und hinterließ den Eindruck, dass er nicht immer ganz bei der Sache war. Verzeihung, gedanklich nicht bei mir, wenn es gestattet ist, das so zu formulieren. Mir fehlte die liebevolle, knisternde und subtile Art des Miteinanders mit ihm. Der Monat schritt eilig voran und es war so Mitte April. Er kam in mein Büro, da sprach ich ihn direkt an. „Im Stress die letzte Zeit?“ Fragte ich. „Ja, es steht ein Familienfest an, Kommunion. Das bedeutet für mich, die Lokalität aussuchen und buchen, festliche Kleidung kaufen und alles organisieren. Das nimmt Zeit in Anspruch“, erwiderte er. „Ach so“, sagte ich, „hat man dafür nicht seine nicht arbeitende Ehefrau? Und ich hatte schon die Befürchtung, es liegt an mir. Da habe ich aber Glück. Mein Kind hat ebenfalls in Kürze Kommunion. Dann sind unsere ja im gleichen Alter. Wie schön. Wir sind erst in 6 Wochen dran. Daher kenne ich den Stress des Organisierens. Diese Aufgaben erfüllt in unserer Familie meine Wenigkeit. Das ist doch Frauensache, oder“, sagte ich. „Nein, an Ihnen liegt das nicht. Ist das Fest erst einmal vorüber, habe ich wieder mehr Zeit“, gab er etwas verlegen zur Antwort. „Klingt verlockend“, erwiderte ich. Der Kopf formulierte sofort folgende Fragen: Mehr Zeit für was und wen? Etwa für mich? Wenn er mich damit gemeint hat, dann löste das ein echtes Glücksgefühl aus. Gott sei Dank war nicht ich die Ursache für seine Missstimmung. Jetzt war die Situation endlich geklärt. Ich ließ Herrn Kramer ab dem Tag in Frieden. Bis auf unsere kleinen Gesten und seine liebevollen Blicke. Die erntete ich täglich, genauso wie er meine. Sein Festtag kam und verlief recht stressfrei. Jetzt war er wieder vollkommen der Alte. Ein aufmerksamer Kollege, den ich vermisste und schätzte. Sein bäriges, verführerisches Lächeln kehrte zurück und das unsichtbare Band zwischen uns war wieder da. Grandios. Es fühlte sich irre gut an. Der April lag in den letzten Zügen und der Wonnemonat Mai stand vor der Tür. Schmetterlinge gab es ja genug. Die Anziehungskraft, die wir beide zueinander empfanden, wurde unsererseits nicht mehr ignoriert. Die Gespräche der letzten Wochen waren der reine Schlagabtausch. Hier ein kleiner Geschmack von dem, was sich täglich so im Zwischenmenschlichen bei uns abspielte: ER sanft: „Es sind keine Kaffeetassen mehr im Schrank. Was machen wir denn da, Frau Sehberger?“ Ich mal wieder im direkten Antwortmatch: „Abwasch heißt das Zauberwort, Herr Kramer. Spülen“. Es folgte ein verliebtes Lächeln auf beiden Seiten. Eine weitere Situation. ER lächelnd: „Sie sind aber eine direkte Person, junge Frau!“ Ich: „Stört Sie das, junger Mann?“ ER: „Nein. Ich liebe direkte Frauen!“ „Ja, wenn das so ist, müssten wir das ja einmal in einem intensiven Gespräch vertiefen, finden sie nicht“, meine prompte Antwort. Mit der Reaktion seinerseits hatte ich wahrlich nicht gerechnet. Erst schwieg er leicht verlegen, schaute mich verdutzt an. Dann brachte er einen Stein ins Rollen und war über sich selbst angenehm überrascht. Jetzt lächelte er mit seinem so unvergleichlichen, betörenden Lächeln, dass mich jedes Mal tief berührte. „Ja bitte?“, fragte ich, weil sein Blick so intensiv und bohrend war. Er roch irre verführerisch. Luft holend antwortete er äußerst überzeugend: „Lassen sie uns das Thema bei einem Dinner intensivieren.“ „So so, ein Dinner?“, fragte ich. „Ja, unser Candle-Light-Dinner!“ Seine Augen glänzten. Was sage ich, sie strahlten. Total überrascht, entzückt und gleichzeitig verlegen schaute ich drein. Das kannte ich gar nicht von mir. Aber, denn er liebt ja direkte Frauen, redete meine Stimmer munter drauf los: „OK. Wann?“. „Ich sage Ihnen Bescheid“, antwortete er jetzt mit einer solchen Selbstsicherheit, dass mir Angst und bange wurde. Er drehte sich um und schlenderte hinauf in sein Büro. Ich brauchte erst einmal einen Stuhl. Was war das denn? Hatten wir uns soeben zu einem Candle-Light-Dinner verabredet? Herr Kramer rüstete auf zum Angriff. „Junge Frau, was tun Sie da?“ Fragte ich mich leise in einer Art Selbstgespräch. War das der Beginn einer ins Rollen gekommenen und nicht aufzuhaltenden Romanze? Oder gar mehr? Gedankenchaos im Kopf und Schmetterlinge im Bauch. Was habe ich da nur angefangen. Wir haben Ehepartner, Kinder, und der Grundsatz lautete immer und überall: „Keinen Kollegen, nie einen Verheirateten, alles vergessen?“ Bis jetzt ist ja nichts passiert, sagte ich mir. Und wenn wir den Verstand nicht völlig abschalten, wird es nur ein Essen zweier Menschen, die sich exorbitant verstehen. Es fühlte sich alles wohltuend und so realistisch an. Es ist nur ein Dinner, redete ich mir immer wieder ein und genoss trotz alledem in vollen Zügen meinen Feierabend. Es vergingen ein paar Tage. Bei jedem Aufeinandertreffen in der Zeit lag ein seltsames Knistern in der Luft, überkam uns ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Die Schmetterlinge? Das Warten auf Tag X, dem Dinner, forcierte das Kribbeln. Geduld walten zu lassen, fiel mir in dem Stadium schwer. Innehalten und etwas abzuwarten ist manches mal nicht meine beste Gemütsart. Die Tage flogen nur so dahin. Mittlerweile war es fast Mitte Mai. Langsam aber sicher breitete sich eine kleine, rasch wachsende Enttäuschung aus. Er suchte das Gespräch rund um sein versprochenes Candle-Light-Dinner so gar nicht mehr. Fast hatte ich meine Frustration überwunden, stieß er eines Nachmittags die Türe des Büros mit Schwung auf. Herr Kramer trat breit grinsend, mit strahlenden Augen ein und postierte sich vor dem Schreibtisch mit seinem so unverwechselbaren Charme. „Hallo,“ hauchte er mit verführerischer Stimme, „ich habe ihnen doch etwas versprochen, nicht wahr! Ich löse heute das Versprechen ein.“ Mein Gesicht versteinerte sich und gleichzeitig wäre ich ihm am liebsten jetzt schon um den Hals gefallen. Ich hätte vor Freude schreien können. Meine Ohren hatten es tadellos verstanden und er hatte es nicht aus den Augen verloren. Diszipliniert antwortete ich: „Sie haben es nicht vergessen? Das freut mich ungeheuerlich. Schon einen Termin in die engere Wahl genommen?“ „Dafür bin ich hier“, sagte er. „Wäre alternativ ein Mittagessen ebenso angenehm?“, fragte er dann leicht verlegen. Das habe ich nicht gehört, oder doch? So ein kleiner Feigling, schoss es mir durch den Kopf und antwortete direkt: „Nein, liebster Kollege. Candle-Light ist Candle-Light! Und Versprechen sind einzuhalten! Oder bekommt Mann Stress zu Hause? Für die Begründung bei Ihrer Frau bin ich nicht zuständig. Meine Wenigkeit hat nie Probleme damit und geht selbst am Abend vor die Tür!“ Er verzog nach der knappen Ansprache keine Mine. Lächelte, jetzt etwas verlegener. Ein kurzes Schweigen folgte. Zögerlich antwortete er: „Dann bleibt es beim Abendessen. Ich bekomme das schon hin. Welchen Tag im Kalender nehmen wir denn?“ Fragte er jetzt selbstsicher. Wir einigten uns auf den zweiten Mittwoch im Mai nach Dienstschluss. 19.00 Uhr – Tisch und Lokal suchte er aus. Zufrieden grinsend schlich er zurück in sein Büro. Ich schaute ihm nach und hatte das Gefühl, dass er mich mit seinem Hin und Her testete. Etwas sagte mir, dass genau das sein Bestreben war. Er wollte sicher sein, dass ich mir sicher bin. Kompliziert, aber so ist das. Die „Kuh“ mit Namen Dinner war vom Eis. Das Datum fixiert. Eine famose Gelassenheit breitete sich in mir aus. Eine grenzenlose Vorfreude auf das, was da kommen wird. Das Gefühl in mir glich dem eines 16-jährigen Teenagers kurz vor dem ersten Kuss. Das Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst. Stunden später ist mir aufgefallen, dass der Tag das Geburtstagsdatum meiner geliebten Oma war. Das ist kein Zufall! Nein, es gibt keine Zufälle. Es gibt nach meiner Auffassung vom Leben nur das Schicksal, die Vorherbestimmung. Am gleichen Abend rief ich Marlene an und berichtete ihr vom bevorstehenden Abendessen mit Herrn Kramer. Alleine. „Würde ihn gerne