Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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merkte ich nicht, dass Thomas bewegungslos hinter mir verweilte. Beim Aufschauen wurde mir warm und kalt zugleich. Ich erschrak. Mit ihm hatte ich nicht gerechnet. Er lächelte bei meinem Reh artig aufgescheuchten Blick und steckte mir einen kleinen, gelbe Zettel zu. „Mittagessen?“ Stand darauf geschrieben. Das Wort zu lesen sprach mir aus der Seele und die Gefühle fuhren Achterbahn. Mein Herz klopfte so laut, dass ich dachte, die Kollegen hören es schlagen. Die Handflächen wurden feucht. Außer mir vor Freude, wie ein Kleinkind kurz vor dem Öffnen eines Überraschungseies, nickte ich bejahend, schrieb „12:00 Uhr beim Italiener“ zurück auf den Zettel und hüpfte pfeifend hinunter in mein Büro. Liebe Pause komme rasch. Dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst.

      13.00 Uhr. Pause. Raus aus dem Büro, hinein in den Wagen und ab zum Lokal. Beim Italiener des Vertrauens angekommen, war unsere Vertrautheit vom gestrigen Abend zu meiner Überraschung nicht verflogen. Bevor er sich setzte, bat er mich, für ihn das Essen mit zu bestellen, weil er die Toilette aufsuchte. Instinktiv wählte ich das Richtige. Wir beide hatten die gleichen Vorlieben bei der Wahl der Gerichte. Die nächste geniale Gemeinsamkeit. Was mich nicht groß wunderte. Der Kellner servierte die Pizza Calzone mit kleinem Salat und unterbrach damit unser intensives Gespräch. Es sprudelte nur so aus ihm heraus. „Der gestrige Abend war grandios, findest du nicht? Habe eine halbe Ewigkeit wach gelegen und der Schlaf stellte sich nicht so rasch ein. Caroline, deine Nähe, deine Wärme. Wie lange habe ich das vermisst. Ich bin total fasziniert von den Empfindungen, von der Person Caroline und wie sie mich berauscht. Ist es bei dir genauso, oder stehe ich alleine hier mit meinen Gefühlen?“ Wir schauten uns wieder tief in die Augen. „Ja Thomas. Es fühlt sich bei mir nicht anders an und du gehst mir nicht mehr aus dem Sinn. Dein inniger Kuss. Die Umarmung. Und jetzt kommst du, der neue Kollege, weckst in mir diese Gefühlswelt. Meinst du nicht, es ist alles zu kompliziert, wenn wir es wagen?“, erwiderte ich. „Dass mir das passiert, hätte ich im Leben nicht mehr für möglich gehalten. Problematisch und unangenehm wird es nur, wenn wir beide es nicht zulassen, das Wort Liebe zu leben. Ich fühle wie du. Meine Gedanken Kreisen nach Büroschluss immer nur um dich, um uns“, sagte Thomas. Aufrichtige Worte waren beim Essen genau das, was uns vor Pausenende und der Rückkehr ins Büro halfen, eine Entscheidung herbeizuführen. Ist es überhaupt möglich, sich gegen diese Emotionen zu wehren, sie zur Aufgabe zu zwingen? Ich für meinen Teil lehnte den Gedanken ab, die Gefühle im Kein zu ersticken. Wir hatten nur eine Frage: „Sind wir bereit für diese Liaison? „JA“, antworteten wir fast zeitgleich. Wir begehrten diese Beziehung und strebten eine gemeinsame Zukunft an. Wir gestatteten den Gefühlen, der Liebe, den Eintritt in unsere Seelen. Magie. Ich erlebte mich wie neu geboren. Die Tage waren heller. Die Nächte kürzer. Ich hatte das Hochgefühl, durch den Tag zu schweben. Nichts, aber rein gar nichts bereitete mir miese Laune. Kurz vor Pausenende zahlten wir und liefen zu unseren Wagen. Zurück im Büro hätte die Welt zusammenbrechen können, es war mir schnuppe. Ich freute mich ab jetzt auf jeden neuen Morgen, der den Namen Thomas trug. Die Sommertage waren in dem Jahr heller und sonniger, dank ihm. So oft es möglich war, trafen wir uns in der Mittagspause zum gemeinsamen Essen oder nach Feierabend auf dem heißgeliebten Parkplatz, weit draußen vor der Stadt. Viele Ausflüge wurden geplant, ebenso an Feiertagen. Es war unsere Zeit der Liebe! Genauso, wie an diesem besagten Picknicktag mitten im Juni an seinem Lieblingsplatz. Wir erlebten den Christopher Street Day in der nahegelegenen Großstadt, ohne zu wissen, dass der dort an dem Tag stattfand. Wir zwei lieben diese Stadt und ihre Lokale. Wir parkten den Wagen in der Tiefgarage, stiegen die Treppe hinauf und sahen in eine feiernde und ausgelassen tanzende Menschenmenge. Mit reichlich vielen Fragezeichen im Kopf schlenderten wir zum Markt. Auf einem großen Plakat stand: Christopher Street Day. Jetzt wurde uns einiges klar. Man war das bunt und schrill. Wir setzten uns in eine gemütlich anmutende Außengastronomie am Markt und bestellten Getränke. Der Kellner fand meinen seidenen Netzpullover über dem Trägertop so faszinierend, dass er dies mit einem Lächeln in meine Richtung äußerte. „Das ist ja ein bildhübsches Stück“, sagte er. „So fesch, wie die Frau die ihn trägt. Darf ich den einmal berühren, damit ich ertaste, aus welchem Material der ist? Fragte er. „Aus Seide“, gab ich zur Antwort, „aber bitte“. Und hielt ihm einen Teil des Pullis hin. Kaum war er weg, schaute ich in das eifersüchtige Gesicht meines Tischgenossen. Der Kellner kam kurze Zeit später mit den Getränken zurück. Thomas Blick verriet einiges. Er fragte ihn sofort, nach dem Abstellen der Gläser: „Machst du diesen Job schon länger?“. Oh, sagte mir mein Verstand, da ist ja jemand eifersüchtig. Was kommt denn jetzt. „Ja“, antwortete der junge Mann freundlich. „Dann passe bitte auf, dass du den lange ausüben darfst“, gab Thomas mürrisch und bestimmend zum Besten. „Na, du bist ja klasse drauf heute. Eifersüchtig, wie lustig,“ merkte ich an. Schmeichelhaft war sein Verhalten schon. Er liebt mich ja, kombinierte ich. Ein paar Minuten später kam ein Händler mit den Blumen vorbei. „Darf ich meiner Liebe Rosen schenken?“ Fragte er. „Nett gemeint von dir. Aber nein danke. Das ist mir jetzt peinlich. Welche Erklärung gebe ich dann zu Hause ab? Das klappt nicht.“ Antwortete ich. Nach einer kleinen Weile, dem bunten Treiben zuschauend, nahm er meine Hand, schaute mir dabei mit seinem liebenden Blick in die Augen und sagte: „Ich liebe Dich, mein Herz!“ Stille. Ich fand keine Worte. Meinte er das, was er da sagte? Ich bin ein optimistischer Mensch, aber Realistin. Und wenn seine Worte ehrlicher Natur waren, ist das die Krönung der Gefühle. Er hegte die gleichen Emotionen für mich, die ich ihm entgegenbrachte. Gleichzeitig lag aber ein Hauch von Schwermut in der Luft und auf meiner Seele, die mir sagte, das wird nicht gutgehen. Engelchen und Teufelchen kämpften gegeneinander. Was jetzt? Der Tag klang langsam aus. Ich war ihm weiterhin eine Antwort schuldig. Wir fuhren zwischenzeitlich längst offen im Cabrio, mit unserem Lied vom Band auf dem Tonträger im Autoradio, zurück aus der Stadt hinaus zu seinem bekannten Parkplatz. Bald ist es so weit, die fällige Antwort auf sein „Ich liebe Dich“. Er parkte den Wagen. Es war total warm. Das Verdeck blieb offen. Die Sterne leuchteten. Thomas dreht sich erneut zu mir und sagte es wieder: „Ich liebe Dich. Habe diese Caroline ein Leben lang vermisst. Was ist mit dir?“ Oje, jetzt gab es kein Zurück mehr. „Du hast es garantiert gemerkt. Vom ersten Augenblick an war da dieses Band zwischen uns. Magie, Zufall, Schicksal, Bestimmung oder wie wir das nennen. Ja, Thomas. Ich liebe Dich!“ Er nahm mich in den Arm und wir küssten uns. Wir haben dort lange gestanden, den Gefühlen freien Lauf gelassen. Bitte lass es ewig dauern, war unser Gedanke. Durchbrennen und allen Ballast abwerfen. Das war logischerweise völliger Blödsinn. Heute, jetzt und hier waren wir zwei Liebende am Anfang einer Beziehung. Es war spät. Ein letzter, inniger Abschiedskuss und folglich fuhren wir getrennt zurück zu unseren Familien, die zu Hause warteten. Abschiede, egal wann, schmerzen jedes Mal aufs Neue. In den kommenden Wochen verabredeten wir uns, so oft es möglich war, in der Mittagspause zum Essen bei unserem Lieblingsitaliener in der Stadt. Oder wir fuhren nach Feierabend in die Natur. Wir verstanden uns blind, fast wortlos. Er dachte es und ich sprach es aus. Es funktionierte ebenso umgekehrt. Wir schwärmten für dieselbe Musik, die gleichen Lieder, liebten Autos und hatten ein Faible für ansprechende Uhren. „Wir waren eine Einheit!“ Das wird für einige Mitmenschen seltsam klingen, aber es ist so: „Wir sind EINS.“ Genauso verspürten wir das Einssein bei unserem Picknick an dem Sommersamstag Ende Juni. Auf dem vereinbarten Parkplatz angekommen stieg er in meinen Wagen und setzte sich ans Steuer. „Bitte lass mich fahren. Ich würde dich gerne überraschen und würde dir eine eindrucksvolle Stelle zeigen, wo wir ungestört sind, mein Lieblingsplatz“, sagte er. Ich lächelte und ließ ihn gewähren. Er fuhr los. Musik erklang aus dem Kassettenteil und die Sonne schien uns auf den Pelz. Es war warm, die Luft hing voller Geigen, es knisterte mit jedem Kilometer mehr. Ich hatte keine Ahnung, wohin er fuhr, aber er war bei mir und nur das zählte, entfachte meine Glücksgefühle. In den Momenten, wo ich ihn nur nah bei mir hatte, wo alle Gedanken und Gefühle sich nur um UNS drehten, ja, da war ich glücklich. Wir erreichten eine Brücke an einem kleinen Fluss, er parkte den Wagen. Leider habe ich vergessen, wo das war. Ich hatte nur Augen für Thomas. Wir stiegen aus, spazierten einen grünen Hügel hinauf. Mit Decke und Picknickkorb bewaffnet kamen wir an einer Stelle an, an der man einen gigantischen Blick ins Tal hatte. Die Kuscheldecke wurde ausgebreitet, der Wein und das Essen ausgepackt. Eine ganze Zeit lang lagen wir ineinander gekuschelt auf der Decke. Die Sonne schien heiß und heizte unsere Körper auf. Es war die pure Zweisamkeit. Der Sonnenbrand hat nicht lange auf sich warten lassen. Man vergießt nicht nur Raum und Zeit. Man verdrängt alle alltäglichen Ereignisse des Lebens. Selbst die Sonnencreme hatte ich vergessen. Aber