Caroline Sehberger

LEBENSAUTOBAHN


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der Figur. Dieser Anblick blieb dem Kollegen Kramer nicht verborgen. Alles war luftiger und meine Laune auf dem Höhenflug. Das Telefon klingelte an dem Tag oft, meist externe Anrufer. Bis zum Mittag. Es ertönte der interne Klingelton auf dem Hauptapparat. „Kramer hier. Könnten Sie kurz zum Diktat kommen?“ Seine Worte. Er bat mich zu sich hinauf. In meiner unnachahmlichen, direkten Art antwortete ich sofort und unverblümt: „Sehberger hier. Leider bin ich nicht ihr Sekretariat und Sie nicht mein unmittelbarer Vorgesetzter. Aber weil Sie so nett fragen, heute so ein sonniges Wetter ist und ich kurz Zeit habe, komme ich zu Ihnen hoch und schaue, was ich für Sie erledigen kann.“ „Vielen Dank“. So Kramer. „Ja, so bin ich. Stets hilfsbereit und einsatzfreudig. Aber leider direkt! Na dann hinauf zum Diktat“, sagte ich leise und lächelte siegessicher. Gefreut darüber habe ich mich logischerweise ebenfalls. Kramer fragte ausgerechnet die Sehberger. Hat Sehnsucht der „NEUE“, mutmaßte ich. Die Treppe hinauf, den schmalen Gang hinunter bis zur Küche und schon klopfte meine Wenigkeit an seine Türe. Ein lautes herein ertönte und ich trat ein. Die Musterung seines Blickes machte mich keinen Funken verlegen. Im Gegenteil. Seine Augen waren Kompliment und Ansporn zugleich. Verunsicherung war seine Reaktion auf meine Person. Blicke sprechen ja bekannterweise Bände. „Nehmen sie bitte Platz. Hier ist ein Vorgang aus einer Akte, der bedarf einer brieflichen Erwiderung. Hier ist Papier und Stift. Ich diktiere Ihnen kurz etwas zum Sachverhalt“, sagte er mit fester Stimme. Ich setzte mich im gegenüber. Bewaffnet mit den Utensilien, die er mir aufgetragen hatte. Dann schlug er die Kundenakte auf, schilderte mir kurz den Kontext und bat mich, seine Sätze zu notieren. Er legte los mit dem Kundenvorgang: Name, Kundennummer etc. Dabei wirkte er etwas nervös, verlegen und verwirrt, weil er die 4-stellige Vorgangsnummer drei Mal wiederholte, und diese immer falsch zusammensetzte. Wieso behält ein blitzgescheiter Mann denn keine 4 Ziffern in ihrer Reihenfolge? Ihn anlächelnd hörte ich wieder eine Stimme im Raum, die sagte: „Sehr geehrter Herr Kramer. Ist es denkbar, dass ich Sie etwas irritiere?“ Und raus war die Katze! Jetzt hoffte ich nur, dass der Schuss nicht nach hinten losging. Damit er keine Gelegenheit bekam, nur einen Funken Zeit zu haben, nachzudenken und zu antworten, legte ich sofort nach und sagte: „Erzählen Sie mir doch kurz den Kontext ihres Briefes, der in ihrem Namen für die Firma versendet wird, und ich schreibe Ihnen den Geschäftsbrief. Ihre Ergänzungen und Verbesserungen setzen wir dann später ein. Zu meiner Verwunderung kam nur: „Ja, so machen wir beide das. Bis gleich.“ Er erzählte mir den Fall, den es zu formulieren galt und lächelte zufrieden. Zurück in meinem Büro legte ich umgehend los. Keine Schelte oder Ermahnung? Welch ein Glück. Der Eindruck, dass ich den Herrn mit meiner Gestalt in Verwirrung gebracht hatte, wurde durch sein Verhalten bestätigt. Ich fühlte mich geschmeichelt, da Komplimente zu Hause, egal was ich fabrizierte oder trug, wie gesagt, nicht mehr an der Tagesordnung waren. Es sprach sie zumindest keiner aus. Gewohnheit eben. Der Geschäftsbrief war schnell geschrieben. Herr Kramer äußerst zufrieden. Auftrag erfolgreich erledigt. Ja, ich war in der Firma dafür bekannt, dass alles, was ich anpackte, gelang. Hier war für mich das Parkett der Komplimente, der Anerkennung, die ich in der eigenen Ehe nicht mehr fand. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte mir meine damalige Schwiegermutter Folgendes gesagt: „Du hättest besser bei euch Karriere gemacht und dein Mann wäre tageweise bei den Kindern geblieben.“ Jetzt verstehe ich erst diesen Satz. Die Chance, das zu beweisen, werde ich erhalten. Dazu aber später. Nach Feierabend hatte ich eine seit längerem schon ausstehende Verabredung mit der besten Schulfreundin meiner gesamten Kinder- und Jugendzeit, Marlene. Wir waren seit der ersten Klasse ein Herz und eine Seele. Uns bekam niemand so schnell auseinander. Bis zum verdienten Abitur haben wir sämtliches, na ja, fast alles miteinander geteilt. Den geliebten Freund vernünftigerweise nicht. Nach Abi und Schulzeit haben wir uns zwar nicht mehr allzu oft gesehen. Kontakt gehalten haben wir über die gesamte Zeit hinweg immer. Marlene hat, nach ihrem Studium den Betrieb ihres Vaters übernommen. War jetzt Eigentümerin und Geschäftsführerin von einigen Zweigstellen und mit ihrer zweiten Liebe, Hans-Christian, liiert und mir schien, glücklich. Ich für meinen Teil hatte mit der Heirat und der ersten Schwangerschaft das Studium nicht mehr intensiviert und mich nach den anfänglichen sechs Semestern für die Mutterrolle entschieden. Fängt man etwas an, dann aus voller Überzeugung. Mit ganzem Herzen oder gar nicht, so das Motto. Alles andere wäre halbherzig. „Man dient nur einem Herrn“, sagten stets meine Eltern. Kinder zu sozialverträglichen Menschen erziehen, ist kein Nebenjob. Kurz und gut. Wir sind zwar unterschiedliche Wege gegangen, aber das hat unserer Freundschaft nicht geschadet. Die Verabredung fand am Abend im Lieblingsrestaurant von Marlene statt. Sie hatte für uns einen Tisch bestellt und ich kam der Kinder wegen leider 10 Minuten zu spät. Die Stimmung war herzerfrischend und sie wartete brav vor dem Lokal. Wir umarmten uns zur Begrüßung und sie fand, dass ich absolut glücklich aussah. „Ja, danke der Nachfrage, mir geht es ausgezeichnet. Die Kinder sind wohlauf, Job macht Spaß und das wertet das Mutterdasein positiv auf.“ „Das hört sich prächtig an. Du wirst mir gleich davon berichten, ja“, bekam ich zur Antwort. Wir schlenderten ins Lokal. Nach Aperitif und Vorspeise war mir aufgefallen, dass ich die ganze Zeit schon ununterbrochen von unserem NEUEN sprach. Seine subtilen Flirtansätze, seine Änderung des Dresscodes nach meiner Bemerkung und viele, kleine Ereignisse mehr. Dabei schilderte ich Marlene einen Vorfall in der Adventszeit in der Küche vor seinem Büro. Damals stand ich dort mit meinen beiden Kolleginnen, eine davon war zu dem Zeitpunkt mit ihrem zweiten Kind schwanger. Wir unterhielten uns über Vornamen. Herr Kramer kam aus seinem Büro zu uns und fädelte sich subtil von der Seite in das Gespräch ein. „Wir haben Äpfel mitgebracht, wie im Paradies,“ sagte eine Kollegin lächelnd. Sie zwinkerte ihn dabei an. „Die Schlange haben wir aber nicht mitgenommen,“ erwiderte schmunzelnd die Andere. „Lieben Sie Äpfel? Dann würde Ihnen die Eva aus dem Paradies heute einen anbieten,“ hörte ich mich fragen. „Nein“, sagte er, „ich bevorzuge Mandarinen.“ Er nahm grinsend seinen Becher Kaffee, zwinkerte mir zu und verschwand wieder in seinem Büro. Einige Zeit später am Vormittag führte mein Weg mich bezüglich eines Vorgangs in sein Arbeitszimmer. Kaum war ich fertig mit der Vorgangssuche und auf dem Weg zur Tür, da öffnete er seinen Koffer, holte eine rote Apfelfrucht heraus, lächelte mich mit blitzenden Augen an und streckte mir das Äpfelchen entgegen. Dabei fragte er siegessicher: „Sie lieben doch Äpfel, nicht. Möchten sie abbeißen?“ Ich blieb wie angewurzelt stehen. Was hörten meine Ohren da. Ich hatte Glück, dass hier kein Spiegel an der Wand hing. „Oh. Nein danke. Ich hatte heute schon meine Obst Kur,“ sagte ich leicht verwirrt und verlegen, nahm die Klinke in die Hand und trat hinaus auf den Flur. „Wie schade“, kam enttäuscht zurück. Und da war sie, die Schlange. Von wegen, Eva verführt. Es war Adam. Seine Art zu flirten war elegant, subtil und so gar nicht aufdringlich. Vollkommen nach meinem Geschmack. Marlene hörte sich das alles mit einer Gelassenheit und Seelenruhe an, bis sie mir ins Wort fiel, sich dafür gleichzeitig entschuldigte und direkt anmerkte: „Junge Frau. Merkst du nicht, dass dein NEUER Kollege voll auf dich abfährt! Verzeih diese saloppe Ausdrucksweise. Aber es ist doch so eklatant, findest du nicht?“ Ich schaute Marlene mit großen Augen sprachlos an. Eine seltsam, nachdenkliche Stille erfüllte den Raum. Nur das Geklapper des Geschirrs und der Gläser der Nachbartische war in meinen Ohren zu hören. Sie verwirrte mich. Ich schaute sie mit einem Blick an, der Marlene an ein scheues Reh erinnerte. „Schau nicht so erschrocken“, kam es aus ihr heraus. „Der Mann will Dich“. „Na echt spitze,“ hörte mich reden. „So habe ich das gar nicht betrachtet. Wieso ist mir das nicht aufgefallen.“ „Nimm doch bitte einmal das Brett vor deinen Augen, dem Kopf und der Seele weg“, sagte sie. „Lehne dich zurück, geh in dich, lausche den Gefühlen und denk bitte nach. Er ist tot unglücklich zu Hause und wenn es die beiden Kinder nicht geben würde, glaube mir, er wäre längst weg und geschieden. Betrachte es einmal aus dieser Sicht. Bist du denn glücklich zu Hause?“ Fragte Marlene direkt. Ich senkte den Kopf und starte auf die rosafarbene Tischdecke. Oh Gott, welch eine bescheuert schöne Frage. Was entgegne ich denn hier und jetzt darauf. Nach einer kleinen, schweigenden Weile schaute ich wieder zu Marlene auf. „Im Ernst? Nein, denke ich. Wir haben uns zu Hause schon darüber unterhalten und beschlossen, dass wir für die Kinder erst einmal das, was wir haben, aufrechterhalten. Na, ich taufte es, WG leben. Wie er das sieht und nennt, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Marlene bohrte weiter. „Und wie stehst du zu deinem NEUEN?“ „Na ja, wir sind eins, sagte ich. „Und wie interpretiere ich das Einssein?“ Fragte sie. Bis zum Dessert erklärte ich ihr ausführlich die Bedeutung des Satzes „wir sind eins“ und berichtete von unseren Gemeinsamkeiten. Und wie