Dagmar Isabell Schmidbauer

Todesfalle Campus


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genüsslich durch seine Kehle rinnen ließ, beschloss er, Paulina anzurufen. Natürlich würde er sich nicht bei ihr ausweinen, das kam auch gar nicht infrage, aber ein Gespräch mit ihr brachte ihn zumindest auf andere Gedanken. Außerdem mochte er ihre Stimme am Telefon. Sie war sinnlich und verrucht und gleichzeitig unerreichbar. Sie war genau die Art Freundin, die einen Mann verrückt machte und ihn doch immer wieder auf den Boden der Tatsachen stellte.

      „Na, wie war dein Tag?“, fragte er eloquent und nahm für sie sogar am Handy Haltung an.

      „So schlimm?“, fragte Paulina belustigt zurück, und Schneidlinger musste lachen, weil er ihr einfach nichts vormachen konnte.

      „Nein, im Büro war es ganz in Ordnung, ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.“

      Dass im Büro alles in Ordnung war, entsprach nicht unbedingt der Wahrheit. Seit Passau neben Freilassing zum bevorzugten Einreisetor für die Flüchtlinge aller weltweiten Kriege geworden war, ging es rund in der Nibelungenstraße, auch wenn für Asylbewerber eigentlich die Bundespolizei zuständig war. Schon lange herrschte bei den öffentlichen Ordnungshütern ein wachsender Personalmangel, und seit zusätzlich die Probleme von außen auf diese Achillesferse drückten, standen sie kurz vor dem Kollaps. Da das niemand zugeben wollte, wurden inzwischen Anweisungen von höchster Stelle erteilt, dass man doch bitte bei nicht so dringenden Fällen einfach wegschauen sollte. Verkehrskontrollen beispielsweise also besser erst gar nicht durchführen, dann machten sie hinterher auch keine Arbeit.

      Inzwischen rächte es sich eben, dass bei der Polizei in den letzten Jahren immer mehr gespart und die Achtung vor den Ordnungshütern nicht gestärkt, sondern durch zweifelhafte Gerichtsurteile sogar noch untergraben worden war.

      „Was bist du doch für ein schamloser Lügner“, lachte Paulina, und Schneidlinger drückte sich ein wenig näher an sein Handy, denn genau diese Art der Unterhaltung war es, die er so sehr schätzte. „Aber gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ich war heute in der Uni, so wie häufig in den letzten Monaten und es war sehr interessant …“

      „Davon hast du aber gar nichts mehr erzählt. Ich dachte, wir wollten darüber noch einmal reden.“ Gern hätte er einen Schluck aus seiner Bierflasche genommen, aber das hätte Paulina gehört und dann hätte sie ihn auch dafür aufgezogen. Sie hatte ihn schon beim letzten Mal einen „Kleinbürger“ genannt. Natürlich nur spaßeshalber, aber immerhin. Also lehnte er sich an die Küchenzeile und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab.

      „Josef, du tust ja gerade so, als würde ich in den Puff gehen. Ich studiere wieder, nicht mehr und nicht weniger …“

      Er holte tief Luft, um zu einer Gegenargumentation anzusetzen und ihr zu erläutern, was er in ihrem Falle unter mehr oder weniger verstand, als seine Mutter zur Küchentür hereinkam, ihm einen strafenden Blick zuwarf und wortlos das Telefon hinhielt. Dabei war er sich nicht sicher, ob sie ihn belauscht hatte und das Gespräch, das er gerade mit seinem Handy führte, nicht guthieß, oder ob es sie nicht einfach ärgerte, dass sie von ihrer Lieblingssendung lassen und ein Gespräch annehmen musste, das nicht für sie bestimmt war. Schneidlinger vermutete letzteres, denn seine Mutter war eine herzensgute Frau, die lediglich ihre festen Prinzipien hatte. Und dazu gehörten einfach ihre Lieblingssendungen, die sie nicht verpassen wollte. Besser man kam ihr dabei nicht in die Quere.

      Da es unmöglich war, sein Gespräch mit Paulina in Ruhe fortzusetzen, verlegte er sich aufs Beschwichtigen. „Nein, nein, natürlich nicht. Aber ganz so entspannt wie du sehe ich es auch nicht“, erklärte er umständlich und hoffte, im Vergleich zu seiner Mutter würde Paulina sofort verstehen, was er damit sagen wollte.

      „Bist du nicht allein?“, fragte die prompt zurück.

      Seine Mutter machte eine ungeduldige Kopfbewegung in Richtung des Telefons in ihrer Hand. Schneidlinger nickte zurück und erbat sich mit einer besänftigenden Handbewegung noch einen kleinen Aufschub. Paulina wartete auf eine Antwort. Sie hatten Anfang des Jahres schon einmal darüber gesprochen. Ganz kurz nur, und da hatte sie argumentiert, dass Weiterbildung in ihrem Job unumgänglich sei. Im Prinzip fand er das ja auch gut, nur eben nicht so, wie sie das organisierte … oder zumindest wie er befürchtete, dass sie es organisierte.

      „Es tut mir leid, aber ich bekomme gerade einen dringenden Anruf“, sagte er mit enttäuschter Stimme. „Ich melde mich bei dir, machs gut!“

      „Herr Obermüller“, erklärte seine Mutter und reichte ihm endgültig das Telefon. Sie war die einzige, die den Kollegen mit Herr ansprach, für alle anderen war er einfach nur Obermüller. Ein ausgezeichneter Ermittler, wie Schneidlinger inzwischen gelernt hatte, gemütlich, aber sehr zuverlässig und ausgleichend im Arbeitsklima. Obermüller hätte nie angerufen, wenn es nicht dringend gewesen wäre.

      „Tut mir leid Chef, aber ich konnte Sie am Handy nicht erreichen. Auf dem Unigelände wurde eine weibliche Leiche gefunden. Und es gibt keinen Zweifel, die Frau wurde ermordet!“

      Im Strom der Blechlawine, die sich um diese Zeit quer durch Passau arbeitete, wurde Franziska über die Schanzlbrücke, durch das Nadelöhr Nikolastraße und schließlich die Innstraße entlanggespült, bis sie sich, mit deutlich ruhigerem Pulsschlag, vor der Zentralbibliothek nach einer Parkmöglichkeit umsah. Walter hatte die Dringlichkeit des Anrufes endlich erfasst, sie von den Handschellen befreit und dann doch erst einmal seine Arme um sie geschlungen und ihr einen langen Kuss gegeben. Wie so oft hatte er Verständnis für das, was sein musste, während sie ihren Beruf in diesem Moment genauso dafür hasste, dass er immer zur falschen Zeit so wichtig wurde, wie sie ihn im nächsten Moment für seine ganze Vielfalt liebte.

      Bevor sie sich jedoch auf den Weg machen konnte, musste sie sich zuerst der schwarzen Dessous entledigen und sich tatortgeeignet ankleiden.

      So stieg sie jetzt mit Sneakers, Jeans, T-Shirt und einem Leinenblazer bekleidet aus ihrem Auto, das sie schließlich neben den Fahrzeugen der KTU abgestellt hatte und wappnete sich innerlich für das, was sie gleich in Augenschein nehmen sollte. „Mach dich auf einiges gefasst!“, hatte Hannes noch hinzugefügt, nachdem er ihr den rückseitigen Ausgang der Zentralbibliothek genannt hatte. So ließ Franziska auch den Haupteingang des Gebäudes unbeachtet liegen und umrundete den hellgestrichenen Bau, bis sie auf Obermüller stieß, der gemeinsam mit einigen Kollegen am Flatterband wartete. Der sonst so robuste Ermittler war grau im Gesicht und wirkte mitgenommen.

      „Hallo Obermüller, gibt es schon Erkenntnisse?“ Noch versuchte sie ihrem Tonfall etwas Heiteres zu verpassen. Der Wunsch, egal wie schlimm es kommen konnte, nicht zu viel an sich heranzulassen, lag nahe.

      „Ich würde sagen, sie hat sich mit dem falschen Kerl eingelassen.“

      „Ich wollte von dir wissen, was du weißt und nicht was du vermutest“, wies ihn Franziska sanft zurecht.

      „Georg Brummer, einer der Bibliothekare, hat die Leiche gefunden. Sie liegt in“, Obermüller blickte auf einen Zettel, den er in der Hand hielt, „einem Dublettenmagazin. Das grenzt direkt an das eigentliche Büchermagazin der Uni an, ist aber ein abgeschlossener Raum mit einer Tür nach draußen in Richtung Inn.“

      Die Oberkommissarin nickte. „Weißt du sonst noch was, Obermüller?“

      „Ja, also: Der Raum hat ursprünglich das Archiv der Universität beherbergt. Das zog dann nach Fertigstellung des Verwaltungsgebäudes dorthin um. Nachdem das Archiv frei war, wurde es kurzzeitig als Sozialraum für die Mitarbeiter des Magazindienstes genutzt, bis auch dafür entsprechende Räumlichkeiten eingerichtet wurden. Aktuell lagern dort Buch- und Zeitschriftenbestände, die in nächster Zeit ausgemistet werden sollen, weil es sich um Zweit- und Drittexemplare handelt.“

      „Aha, und wer hat dich derart umfangreich informiert?“, hakte Franziska interessiert nach.

      „Georg Brummer, er ist einer der Bibliothekare, die das alles sichten, eventuelle Schätze vor dem Untergang retten und alles andere der Vernichtung zuführen müssen.“ Der dicke Ermittler lächelte schief. „Ich hatte den Eindruck, als täte es ihm um diese alten