Dagmar Isabell Schmidbauer

Todesfalle Campus


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aber aussagekräftig und streckte Franziska einen Zettel entgegen. „Hier ist seine Handynummer.“

      „Und hier sind ihre Sachen“, mischte sich die kleine Mona, eine weitere Kollegin der KTU, in das Gespräch ein und drückte Hannes eine Plastiktasche in die inzwischen behandschuhten Hände. Mona war zwar nur einsfünfzig groß, dafür aber sehr gewieft und bekannt für ihre tollen Fotos. Wie immer hatte sie zunächst den ganzen Tatort minutiös abfotografiert, bevor irgendjemand sich daran zu schaffen machen durfte.

      „Das hab ich da hinten gefunden.“ Mona zeigte zu einem der Stühle, die an der Wand aufgestapelt waren. „Solche durchsichtigen Taschen sind unter anderem in der Bibliothek vorgeschrieben“, bemerkte sie.

      Annemarie nahm den Beutel aus Hannes’ Händen und schaute hinein. „Tempos, Geldbörse und Schlüsselbund.“ Vorsichtig hob sie ein Bündel Kleidung heraus. „Und ein komplettes Outfit: BH, Slip, Flipflops, ein Kleid“, zählte sie auf und schlussfolgerte sofort: „Demnach hat sie sich erst hier umgezogen!“

      Hannes blickte sich um und dann die tote Frau an. „Also war sie verabredet und wollte den Mann beeindrucken“, spekulierte er.

      „Ich weiß nicht. Das passt doch nicht! So was macht man in einem Hotel, aber doch nicht in einer Abstellkammer.“ Alle Augen richteten sich auf Franziska, doch die blickte ganz ruhig und nachdenklich auf die Tote. „So was zieht man am besten vor dem Spiegel an …“, Annemarie nickte zustimmend, „… und nicht in einer dunklen Ecke eines schmuddeligen Raumes. Noch dazu, wo hier ja scheinbar doch hin und wieder jemand vorbei kam.“

      „Vielleicht hatte sie es zufällig dabei und ihr Partner überredete sie, es anzuziehen“, überlegte Hannes.

      „Du meinst, sie haben es in der Stadt gekauft und fanden das so erregend, dass sie spontan beschlossen haben, hier Sex zu haben?“ Franziskas Gesichtsausdruck zeigte, dass sie dieser These sehr skeptisch gegenüberstand. „Habt ihr denn eine Einkaufstüte und einen Kassenzettel gefunden?“

      Mona schüttelte den Kopf. „Nichts dergleichen!“

      „Immerhin spricht die ganze Verkleidung für eine Beziehungstat. Für einvernehmlichen Sex, der dann zu heftig wurde“, resümierte Franziska ruhig. „Wie und warum sie hier gelandet sind, wird sich zeigen müssen …“

      „Sie könnten sowohl durch die Bibliothek, als auch vom Innweg hereingekommen sein“, wusste Mona und griff nach der Geldbörse und dem Schlüsselbund, die sie vorsorglich in eine Asservatentüte gesteckt hatte. „Hier ist übrigens ihr Studentenausweis. Sie heißt Vanessa Auerbach.“

      „Und sonst?“, fragte Franziska und blickte auf die Tasche.

      „Hundertfünfzig Euro und eine EC-Karte. Zwei Kassenzettel, etwas Kleingeld. Eine Campus Card“, berichtete Mona und überprüfte die weiteren Fächer.

      „Was ist mit dem Handy?“

      „Kaputt!“ Mona holte aus ihrer Sammelbox eine weitere Tüte der Marke Asservatenkammer und hielt sie für alle gut sichtbar in die Höhe. „Dieses superschicke Smartphone wurde von irgendjemandem ziemlich schlecht behandelt.“

      „Funktioniert es noch?“, hakte Franziska nach und wollte schon nach dem Handy greifen, aber Mona schüttelte energisch den Kopf. „Da muss ein Techniker ran.“

      Resigniert nickte Franziska. „Was hast du sonst noch gefunden? Vielleicht die Tatwaffe, ein scharfes Messer oder so?“

      „Bisher Fehlanzeige. Aber die Kollegen suchen bereits das Gelände ab.“

      „Was allerdings schwierig werden wird.“

      Franziska wirbelte herum. Hinter ihr stand der leitende Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger. „Ich habe mich gerade mit der Präsidentin der Universität unterhalten. Sie sagte mir, dass gestern auf dem Campus eine ziemlich große und durchaus laute Party stattgefunden hat, mit Livemusik, Picknick und wohl entsprechend viel Alkohol.“

      „Immerhin erklärt das, warum niemand etwas bemerkt hat“, schlussfolgerte Hannes aus der Tatsache, dass zur Tatzeit rundum lautstark Musik gespielt worden war. „Man konnte ihre Schreie gar nicht hören. Vielleicht hat der Täter genau das ausgenutzt.“

      Franziska nickte zögernd. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber egal ob Prostitution, Liebesspiel oder was auch immer hier aus dem Ruder lief. Wir müssen herausbekommen, mit wem sie sich getroffen oder verabredet hat. Wer Zugang zu diesem Raum hatte und wer vielleicht doch etwas beobachten konnte.“ Sie griff nach dem Schlüsselbund in Hannes’ Händen.

      „Wie kommen Sie auf Prostitution?“, hakte Schneidlinger ein wenig scharf nach, weshalb Franziska sofort in die Verteidigungsposition ging: „Ein Spiel? Geld? Drogen? Irgendetwas muss sie ja dazu gebracht haben, sich hier derart entkleidet auf ihren Mörder einzulassen.“

      Schneidlinger blickte nachdenklich auf das zerstörte Gesicht der Toten. „Ja natürlich. Irgendetwas muss diese Frau dazu gebracht haben, an diesem besonderen Ort ein Stelldichein mit dem Tod zu haben.“

      Ungeduldig pustete sie in ihre Tasse mit Kräutertee. Er würde ihr guttun, aber er war noch viel zu heiß, um ihn zu trinken. Enttäuscht stellte sie die Tasse zurück auf das kleine fahrbare Beistelltischchen, das sie sich an das Sofa herangezogen hatte und ließ sich in die Kissen sinken. Sie war so müde, so schrecklich müde und doch stemmte sie sich mit aller Kraft gegen den Schlaf, der ihren Körper gefangen nehmen wollte. Der ihn schwer wie Blei hinunter in die rabenschwarze Welt ihrer Albträume zu ziehen versuchte.

      In diesen Albträumen stand sie am Gitter und schaute zu, wie das Monster zuschlug. Wie es quälte und zerstörte und schließlich tötete. Sie konnte nicht weglaufen, weil ihre Beine ihr den Dienst versagten. Sie wollte die Augen schließen, doch selbst dann hörte sie ja noch die entsetzlichen Schreie, wie von einem Tier. Nichts Menschliches lag mehr darin. Und immer spielte diese Musik, diese fürchterliche Musik, die so laut war, als müsse sie das, was geschah, überstrahlen, als könne sie es ungeschehen machen, wenn sie nur laut genug spielte. Als wäre alles nur ein großes Fest zu Ehren des Bösen, als wären alle gekommen, um seiner Zerstörungswut zu huldigen … und sie war mittendrin, gefangen in ihren eigenen Wünschen und Gedanken, von ihrer eigenen Hoffnung auf Gerechtigkeit, gefangen in ihrer Verletztheit und ihrer großen, großen Angst.

      Sie sackte noch tiefer in die Kissen. Nur kurz ihren Kopf anlehnen, nur kurz die Augen schließen, auch wenn sie auf keinen Fall einschlafen durfte. Ihre Muskeln schmerzten wie nach einem langen Fieber. Sie fühlte sich so matt, und doch wusste sie, dass es kein Fieber war. Nie wieder wollte sie die Augen schließen, nie wieder in Ruhe schlafen. Sie war zur Komplizin eines Monsters geworden, ohne die Kraft sich ihm zu entziehen. Warum nur hatte sie in diesen Strudel aus Lüge und Betrug, aus Hass und Vergeltung geraten müssen? Warum nur hatte er ihr das alles angetan?

      Kaum hatten Franziska und Hannes Vanessa Auerbachs Wohnung betreten, lächelte ihnen die ehemalige Bewohnerin in einem enganliegenden Abendkleid von einem großformatigen Foto sehr selbstbewusst entgegen.

      „Für Inszenierungen hatte sie also schon mal was übrig“, kommentierte Franziska das Hochglanzplakat gegenüber der Eingangstür und warf Hannes einen fragenden Blick zu. „Hübsches Mädchen, selbstbewusst und eine eigene Wohnung. Warum hat sie sich bloß auf so einen Fessel-Scheiß eingelassen?“

      Hannes zuckte die Schultern, wandte sich ab, öffnete die Tür zur Küche und tastete mit den Händen nach dem Lichtschalter.

      Nachdem Hauptkommissar Schneidlinger mit Nachdruck dafür gesorgt hatte, dass die Studentenkanzlei, bei der alle Studierenden der Passauer Uni registriert sind, so spät am Abend nochmals besetzt worden war, war es eine Kleinigkeit gewesen, die Adresse der Toten herauszufinden. Mithilfe des bei ihr gefundenen Schlüssels hatten sie nach zweimaligem Klingeln – für den Fall, dass sie nicht allein lebte – die Wohnung