Dirk Meinhard

Sonnenkaiser


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gegenüber Akkus. Die Technik war allerdings aufwendig. Wasserstoff wurde in flüssiger Form unter hohem Druck gelagert oder gebunden in Methangas. Das Tankstellennetz war überschaubar und die Fahrzeuge, die mit dieser Antriebsform fuhren, waren teuer und einer entsprechend zahlungskräftigen Klientel vorbehalten.

      Marc Jacobs Interesse und Wissen waren also eindeutig bei Dingen angesiedelt, die in seiner finanziell gut ausgestatteten Welt einen festen Platz hatten. Immerhin ging es um Elektrizität, und damit war eine Verbindung zu DesertEnergy vorhanden. Marc Jacobs schien zumindest grundsätzlich der klassischen Idee zu folgen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.

      Daniel legte eine Datei an, in der er alle Links, die er zu Marc Jacobs fand, speicherte, und fügte ein paar Stichworte zu jeder Quelle hinzu. Eine allgemeine Suche zur Person des Vermissten ergab keine weiteren Erkenntnisse. Das Privatleben von Marc spielte sich nicht im elektronischen Gedächtnis der Welt ab. Es gab offensichtlich nur wenige Artikel der Boulevardpresse über die Jacobs.

      Zu Frederic fand Daniel Ergebnisse, die sich ausnahmslos mit seiner Arbeit beschäftigten. Hauptversammlungen, Geschäftsberichte, Interviews in der Presse. Das Übliche eben für einen CEO, einen Chief Executive Officer. Ein paar Berichte und Fotos über Treffen mit Politikern, vornehmlich mit europäischen, marokkanischen und algerischen Ministern und Regierungschefs. Das war es aber auch. Nichts über seine Zeit vor DesertEnergy.

      Die Familie schien kein Privatleben zu haben, das für die Presse interessant war, oder das in Reichweite der Presse stattfand. Keine Fotos von Urlauben, Treffen mit Prominenten oder persönliche Dinge. Nicht einmal Marc fiel durch irgendwelche studententypischen Eskapaden auf. Es gab keine Berichte von alkoholisierten Ausfällen, feuchten Partys, Beziehungsgeschichten, groben Späßen oder anderem aus dem Unterhaltungsrepertoire junger Menschen aus diesen Gesellschaftsschichten.

      Daniel führte mit Marcs Bild vom Touchpad eine Bildsuche im Internet durch. Er war fast erfreut, als die Suche tatsächlich ein paar Treffer lieferte. Bei genauerer Prüfung entpuppten sich die Ergebnisse jedoch alle als Fehler. Natürlich suchte die Software anhand des Frontalfotos auch mithilfe von Extrapolationen Gesichter bis hin zu Seitenansichten. Zu kleine Bilder wurden wegen mangelhafter Auflösung nicht berücksichtigt. Ab einer gewissen Größe und Auflösung wurden Wahrscheinlichkeiten für Übereinstimmungen ermittelt. Was dann keine ausreichende Erkennungsrate erreichte, sortierte die Software aus. Doch die Fehlerquote war immer noch hoch genug. Frontalbilder waren bei den Suchergebnissen nicht dabei. Die ermittelten Bilder zeigten Gesichter mehr als fünfundvierzig Grad aus der Frontalsicht abgewendet.

      Somit ergaben sich Treffer für ein Model auf einem Cat walk in Brasilia, gekleidet in eine schnitttechnisch anspruchsvolle Komposition einer Jacke mit überbreiten kantigen Schultern, unter denen der Rest des Kleidungsstücks als Korsage angelegt war, in einem wilden Farbmix, und einen Schauspieler an der Hamburger Flemmingoper in einem blauen Arbeitsoverall mit einem Zweispitz auf dem Kopf und Gummistiefeln an den Füßen. Dazu zwei Profilfotos auf einem sozialen Netzwerk, in Partylaune mit Bierflasche und zwischen den nackten Oberschenkeln einer Frau aufgenommen. Die Herkunft der Personen lautete auf irgendwelche Kleinstädte in Nordamerika.

      Weitere Bilder waren aus Presseberichten, einem Gerichtsverfahren gegen einen Geisterfahrer, und einen etwas übergewichtigen Castingshow Teilnehmer. Überraschend war für Daniel, die große Ähnlichkeit des Bewerber, der auf dem Foto gerade seinen Auftritt durchstand, zu Marc Jacobs. Aber die Show war in Russland aufgezeichnet worden. Also war auch dieser Fund kein Erfolg.

      Daniel lehnte sich zurück und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Er war binnen eines Tages in eine mehr als merkwürdige Geschichte hineingeschoben worden. Ein sehr vermögender Unternehmer ließ nach seinem Sohn suchen und schien ihn gar nicht wiederfinden zu wollen. Daher wurde ein arbeitsloser Niemand engagiert, dessen Fähigkeiten geeignet schienen, seiner Frau vorzuspielen, der Suchauftrag sei in guten Händen, aber seine eigene Frau traute ihm nicht. Jetzt saß der ausgewählte Hobbydetektiv in einem Flugzeug und begann seine Suche, kontrolliert von einem gut gekleideten Schläger.

      Das sah eher nach einer Geschichte für eine Telenovela aus. Gelangweilte Reiche führten ihre Kleinkriege um Macht und Geld. Und die Rollen waren klar verteilt. Frederic Jacobs hatte die Rolle des Bösen übernommen. Aus irgendeinem Grund war er nicht unglücklich darüber, dass sein Sohn nicht auffindbar war, vielleicht hatte er sogar diese Situation arrangiert, weil Marc ihm im Weg gestanden hatte. Die Mutter war nicht ganz ahnungslos und klammerte sich in ihrer Hilflosigkeit an die verbliebene Hoffnung, ihn, Daniel, der möglicherweise ihr letztes Mittel im Krieg gegen ihren Mann war.

      Daniel fragte sich, was passieren würde, wenn er mit dieser Eingebung recht hatte und seinen Auftrag erfolgreich erledigen würde. Wie weit würde der Glatzköpfige ihn kommen lassen, bevor er Daniel stoppen und vielleicht sogar eliminieren würde?

      Daniel schüttelte sich und drehte den Kopf vom Fenster weg. Noch hatte er nur Indizien und seinen Instinkt, die ihm eindeutig anzeigten, dass hier war mehr als ein netter kleiner Zeitvertreib mit großzügigen Verdienstmöglichkeiten. Dass man ihm einen besonderen SecGuard als Aufpasser mitgegeben hatte, lieferte jedoch nur eine weitere Frage. Warum arbeitete dieser Mann mit Aktensperrvermerk als Aufpasser?

      Über der Lehne des Sitzes vor ihm ragte der haarlose Kopf von Vermont. Daniel betrachtete die mehr als zehn Zentimeter lange Narbe, die längs über den Hinterkopf verlief und eine sehr schmale Wulst hatte. Vermont hatte wohl schon einiges einstecken müssen. Wenn er schon zwei Narben am Kopf trug, wie mochte er dann wohl an seinem Körper aussehen, auf ewig gezeichnet von Taten, die ihm vielleicht seine Sicherheitseinstufung eingebracht haben. Was hatte es mit diesem Mann auf sich?

      Daniel beschäftigte sich wieder mit seinem Touchbook. Er hatte noch ein wenig Zeit und wollte vor der Landung ein möglichst gutes Bild der Situation haben. Momentan blieb ihm noch die Suche in Foren und Communities. Harry hatte ihm Hilfe zugesagt, aber auch sofort geschrieben, er würde mindestens einen Tag benötigen, um Ergebnisse zu bekommen.

      >>Wie lange dauert der Flug noch?<<, fragte Daniel den SecGuard, der sich für die Antwort nicht einmal herumdrehte.

      >>Es dauert solange, wie es dauert!<<

      Daniel gab dem Drang nach, eine Faust zu ballen und dabei den Mittelfinger auszulassen. Was hinter dem Rücken des Mannes keine gefährliche Angelegenheit war. Definitiv begann hier keine wunderbare Freundschaft.

      Als der Co-Pilot über die Bordsprechanlage den Landeanflug auf den Flughafen Frankfurt ankündigte, war Daniel fast erleichtert. Die Nähe zu dem SecGuard in der Enge der Kabine bereitete Daniel ein klaustophobisches Gefühl.

      Da sie die nächsten Tage wohl weiterhin miteinander verbringen würden, konnte es sinnvoll sein, sich an dieses Gefühl zu gewöhnen.

      18.

      Zu sagen, er hätte nur die Nase von dieser Idee voll, war dezent untertrieben. Warum hatte er sich von Will nur zu dieser blödsinnigen und gefährlichen Reise überreden lassen. Erst tagelang versteckt in einem Auto, um von Kameras nicht erfasst zu werden, dann auf einem schaukelnden und leicht faulig riechenden Boot. Die kurze Zeit in dem schwimmenden Sarg gab der Reise einen erbärmlichen Höhepunkt.

      Es war nicht einfach nur ein beklemmendes Gefühl gewesen, in einer dunklen engen Röhre im Meer zu schwimmen. Immer wieder kam Wasser durch das Atemrohr und er hustete. Außerdem wurde ihm allmählich kalt.

      Er hatte tatsächlich nach wenigen Minuten bereits Todesangst. Kälte, Übelkeit, Dunkelheit, und keine Gewissheit darüber, ob man ihn finden würde. Was sollte man da schon anderes empfinden?

      Der Holzbehälter war ihm schnell wie ein Sarg vorgekommen. Er schwankte in alle erdenklichen Richtungen, trudelte zwischen den Wellen hin und her. Wenn er nicht bereits vorher seinen Magen ausgiebig entleert hätte, wäre das, was prompt folgte, noch viel schlimmer geworden.

      Als nach einer Ewigkeit, in der sein Herz raste, sein Puls in seinem Hals zu explodieren schien, der Angstschweiß seine Kleidung tränkte und sein Schwimmbehälter und sein Mantel nach Galle stanken, knallte es laut. Eine Erschütterung ging durch den Torpedo