Dirk Meinhard

Sonnenkaiser


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das Theater ein wenig mitspielen, seine Unfähigkeit eingestehen und sich aus dem Staub machen. Oder er nahm den Hilferuf von Diana Jacobs ernst und versuchte sein Bestes, den Verschwundenen wiederzufinden.

      Der glatzköpfige Aufpasser in seinem Nacken konnte möglicherweise eine riskante Angelegenheit werden. Das stand für Daniel außer Frage. Ein direktes Kräftemessen mit dem SecGuard würde er eindeutig verlieren. Das bedeutete, er musste den SecGuard im geeigneten Moment loswerden oder gezielt in die Irre führen.

      Die Anzahl an Fragen, auf die er eine Antwort finden musste, wuchs momentan noch. Das sollte er schnellstens ändern, um nicht wirklich nur die Marionette im Spiel zu geben, das hier getrieben wurde. Denn für ihn stand fest, dass das genau die Rolle war, die er nicht übernehmen wollte.

      Erst im Flugzeug hatte er Gelegenheit, sein Touchbook aus der Tasche zu nehmen. Er beeilte sich, den Wagen zu verlassen und vor dem SecGuard das Flugzeug zu betreten, um sich in die letzte Reihe setzen zu können. So konnte er verhindern, dass Vermont ihm bei seiner Arbeit zuschauen konnte. Verwundert stellte er fest, dass der SecGuard ohne Gepäck in das Flugzeug stieg. Wollte der Glatzkopf in dieser Woche seine Bekleidung nicht wechseln oder hatte er einen anderen Zeitplan?

      Vermont hatte sich prompt auf den einzelnen Platz neben Daniel gesetzt. Bequem schien er das mit seinen Körpermaßen jedoch nicht zu finden. Kurz darauf breitete er sich auf den beiden Sitzen direkt vor Daniel aus.

      Jetzt konnte ihm der Aufpasser nicht sofort über die Schulter schauen. Also zog Daniel das Kabel mit dem Antennenadapter aus der Decke über sich und suchte dann nach einem Stromanschluss, den er zwischen den Sitzen vor sich fand. Er schob die Tastatur des Touchbooks unter dem Display heraus und arretierte sie. Dann wählte er sich ins Internet ein. Das Gerät besaß ein paar sehr nützliche Funktionen. So konnte er anonym surfen. Da er jedoch die Antenne des Flugzeugs benutzte, konnte er nicht ausschließen, dass sein Auftraggeber entsprechende Vorkehrungen getroffen hatte, den Datenstrom zwischen seinem Touchbook und den von ihm aufgerufenen Adressen aufzuzeichnen und auszuwerten. Für bestimmte Adressen konnte er dem jedoch durch geeignete Verschlüsselungen entgegenwirken.

      Kaum hatte das Flugzeug abgehoben, loggte Daniel sich in einem Netzwerk der Polizei ein, das für externe Mitarbeiter eingerichtet war. Er wusste, dass die Zugänge in diesem Bereich nur unregelmäßig kontrolliert und bereinigt wurden. Kurz nach seiner Kündigung hatte er sich diesen Zugang über einen Freund verschafft, um mit seinen Kollegen auch während der Arbeitszeit in Verbindung bleiben zu können. Damals hatte er keine Ahnung gehabt, ob das nützlich sein würde. Benutzt hatte er den Zugang seitdem nicht. Nun war er froh, diese Möglichkeit wahrnehmen zu können.

      Er bekam über eine verschlüsselte Verbindung Zugriff auf ein internes Kommunikationstool, CommPol. Eine Namensliste mit farbigen Markierungen wurde eingeblendet. Daniel wählte einen Namen aus, neben dem ein grüner Punkt angezeigt wurde, und öffnete eine Chatbox.

      >>Hallo Harry! Ich hoffe, es geht Dir gut!<<

      Harry Meinhofen, der ihm den CommPol-Zugang verschafft hatte, war ein Kollege Daniels in der Ermittlungsgruppe für Internetdelikte gewesen. Kurz bevor Daniel seine Entlassung erhielt, hatte Harry sich auf eine freie Stelle bei der Mordkommission beworben und war dort angenommen worden.

      Sie hatten eine lockere Freundschaft gepflegt. Wenn Harrys Familie ihm dazu Zeit ließ, hatten sie sich ein paar Mal zum Sport mit anschließendem Feierabendbier verabredet. Sie trainierten mit Gewichten, eine der wenigen Sportarten, die Daniel nicht über sein Knie stolpern ließen. Sie lagen bei ihren Ansichten sehr nah beieinander und verstanden sich sehr gut.

      Daniel hatte jedoch nach seiner Entlassung ein neues Hobby gepflegt, das sich zu sehr mit dem Feierabendbier beschäftigte. Da sie sich auch nicht mehr auf dem Kommissariat begegneten, war der letzte Kontakt zwischen ihnen einige Wochen her.

      Daniel hoffte, dass Harry nicht nachtragend war.

      Es dauerte ein paar Momente, bevor eine Antwort angezeigt wurde.

      >>Hallo Daniel! Alles gut bei mir! Unser letztes Gespräch ist ja schon länger her. Wie geht es Dir? Wo arbeitest Du jetzt?<<

      Ein leicht tadelnder Zeigefinger zwischen den Buchstaben. Und eine unangenehme Frage. Daniel zögerte, bevor er eine Antwort tippte.

      >>Tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich habe eine etwas schwierige Zeit hinter mir. Und mein Job hat sich ziemlich geändert!<<

      Eine elegante Notlüge. Die Verkündung der Wahrheit bedurfte einer Vorbereitung.

      >>Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen. So etwas kommt vor. <<

      Daniel atmete erleichtert auf. Zumindest brauchte er nicht um die Tatsachen herumreden.

      >>Warum schreibst Du? Kannst Du nicht sprechen?<<

      Das Symbol mit dem Telefonhörer blinkte in der Funktionsleiste des Chats.

      In unmittelbarer Nähe zu seinem Aufpasser war eine Sprechverbindung zu seinem ehemaligen Kollegen keine gute Idee. Aber auch der musste nicht unbedingt durch unbedachte Äußerungen unnötige Aufmerksamkeit in seinem Büro wecken. Möglicherweise war dieser Zugang Daniel noch sehr hilfreich.

      >>Ist gerade nicht günstig! Ich sitze in einem Flugzeug und habe hier jemand sitzen, der nicht zuzuhören braucht!<<

      >>Du bist kaum auf dem Weg in den Urlaub, oder? Was machst Du denn nun?<<

      Harry war mit seiner Neugier ein Berufstalent.

      >>Ich habe einen Job als Privatermittler bekommen.<<

      Vermont streckte sich in seinem Sitz aus. Die Lehne drückte sich ein Stück nach hinten und Daniels Touchbook rutschte fast von dem kleinen Tischchen im Sitzrücken. Vermont drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht wirkte immer noch wie eine Maske.

      >>Wollen Sie auch etwas trinken?<<

      Daniel nickte.

      >>Ein Wasser wäre prima! Danke!<<

      Der Glatzkopf grunzte etwas, schob sich aus seinem Sitz, der dankbar knarrend seine ursprüngliche Lage einnahm, und stapfte gebückt nach vorne, wo sich die Holzklassebox befand.

      Auf dem Display erschien Harrys Antwort.

      >>Glückwunsch! Ich hoffe, Du hast einen interessanten Auftrag an Land gezogen!<<

      >>Eher einen ziemlich merkwürdigen Suchauftrag! Für mich sieht es aus, als wolle der Auftraggeber gar nicht, dass ich den Job erledige!<<

      >>Versicherungsangelegenheit?<<, schrieb Harry zurück.

      >>Familiäre Geschichte! Jemand wird vermisst!<<

      >>Du wirst beauftragt und sollst die Person nicht finden? Was ist denn die Logik dahinter? Hast Du auch einen Aufpasser bekommen?<<

      Harry zog seine Schlüsse schnell und zielsicher. Die Mordkommission hatte damals scheinbar auf seine Bewerbung gewartet.

      Noch bevor Daniel seinen eigenen Stuhl räumen musste, hatte Harry seine ersten Erfolge als Mörderjäger eingefahren. Definitiv lag ihm die Spurenanalyse mehr, als das durchaus stupide Suchen nach solchen Spuren vor einem Monitor.

      >>Genau das!<<

      >>Wie kann ich Dir helfen?<<

      Vermont kam wieder durch den schmalen Gang. Er hielt in jeder Hand eine bereits geöffnete Flasche. Vor Daniel blieb er stehen und reichte ihm eine. Kurz warf er einen Blick auf das auf dem Tischchen liegende Gerät und machte es sich dann wieder in seiner Sitzreihe bequem. Daniel nahm einen Schluck und stellte die Flasche auf den Sitz neben sich.

      >>Daniel? Bist Du noch da?<<

      Daniel konzentrierte sich wieder auf die Unterhaltung.

      >>Entschuldigung! Mein Aufpasser hat mir was zu trinken gebracht!<<

      >>Ich hoffe, er hat Dir keine KO-Tropfen serviert,