Alessandra Grimm

Die Melodie in dir


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in den Armen. Mia stieg der Geruch von Sandelholz in die Nase. Als sie ihr Gesicht nach links wandte, stand Ben vor ihr. Er trug das gleiche Good-For-Nothing-Shirt wie sie. „Und ich dachte schon, du wärst so eine stille Genießerin von guter Musik.“, lächelte er sie an.

      „Wenn Musik mich berührt, reagiere ich auch entsprechend.“, gab sie zurück und presste die Lippen aufeinander.

      „Du findest also meine Band nicht gut?“

      „Das habe ich nicht gesagt“

      „Aber du hast nicht getanzt.“

      „Woher willst du das wissen? Vom Licht her dürftest du doch kaum jemanden in der Menge erkannt haben.“

      „Wenn eine Person sich gar nicht regt und der Rest vollkommen eskaliert, erkennt man das.“

      Mia fühlte sich ertappt und wusste nicht, ob sie etwas Nettes sagen sollte, oder nicht. Wobei das Meiste vermutlich geheuchelt wäre, fand sie den Auftritt immerhin alles andere als berauschend. Unsicher, ob sie die negative Kritik äußern sollte, versuchte sie einen Mittelweg mit ihrer Antwort zu finden. „Sagen wir so, ich muss erstmal mit neuer Musik warm werden und wollte meine Energie für jetzt aufsparen.“ Ben platzte ein dumpfer Lacher heraus, während er an seiner Flasche Bier nippte und den Blick von ihr wegwandte. Mia fand diese Reaktion äußerst kindisch und unpassend. Was dachte er denn, wer er sei? Der neue Bon Jovi?

      „Du musst mir nicht glauben. Wichtig ist doch nur, dass dir deine eigene Musik gefällt und den anderen hier im Raum hat es scheinbar auch gefallen.“, sagte Mia und widmete sich wieder ihrer Lieblingsband zu. Im Augenwinkel konnte sie sehen, wie er genervt und abschätzig mit den Augen rollte und sich von ihr abwandte.

      Simon schlug mit seinen Drumsticks auf das große Becken und beendete so den letzten Song. Kreischende Mädchen hielten die Hände in die Höhe und klatschten euphorisch. Zugabe, hörte man wiederholt rufen. Und die bekamen sie.

      Kapitel 4

      „Hast du es schon gelesen?“, begrüßte Sven seinen Freund und wedelte mit einer Zeitung in der Luft. Ben, der gerade sein Fahrradschloss aufgeschlossen hatte, beugte sich hoch und sah ihn stirnrunzelnd an. „Was sollte ich gelesen haben?“, erwiderte er, nachdem Sven leicht keuchend vor ihm anhielt. „Na die Kritik!“, antwortete er und schlug Ben die Zeitung regelrecht in die Hand. Die Seite mit dem Artikel war bereits aufgeschlagen. Es handelte sich um die Schülerzeitung der Schule, in welcher Ben mit seiner Band Interrobang und Sven mit Good-For-Nothing vor kurzem gespielt hatten. Ben hatte gar nicht gewusst, dass ein Artikel geplant worden war. Niemand hatte er mit Notizbuch in der Hand gesehen, der sich Stichpunkte für die Rezension machte. Vielleicht war es aber auch nur eine filmreife Vorstellung seinerseits, wie er sich Journalisten in Aktion vorstellte. Sorgfältig las Ben jeden Satz durch. Sven wartete gespannt auf seine Reaktion und räusperte sich ab und an, als er das Mienenspiel auf dem Gesicht seines Freundes beobachtete. Ein auf und ab von tänzelnden Augenbrauen und kritischen Stirnfalten, hin zu ungläubig offenstehendem Mund und missbillig zusammen gepressten Lippen.

      „Interrobang – die neuste Band im Umkreis mit Hang zu Alternative Rock beehrte die junge Menge der Stadt. Leider konnte nur ein Song ansatzweise überzeugen. „Niemals darfst du gehen.“ Alle Übrigen Lieder sind als zweitklassige Kreationen von Jungen einzustufen, die sich in ihrer Garage wie die Rockstars der nächsten Generation fühlen. Ihre Songs sind farblos und äußerst schwach. Einen Großteil des Songwritings übernimmt nach eigenen Angaben Ben Richter, Sänger und Schlagzeuger der Band. Der Abend hat dem Publikum verdeutlicht, dass Ben noch nicht die richtige Melodie in sich gefunden hat. Interrobang hat zweifelslos Talent und Potential. Leider haben sie sich selbst und wofür sie stehen wollen noch nicht gefunden.“

      Ungläubig las er sich den Abschnitt erneut durch. Nach eigenen Angaben, stand da. Mit wem hatte er sich unterhalten? Wer konnte diesen Fakt über ihn wissen? Oder hatte jemand der anderen Bandkollegen der Person die Information zugespielt?

      Eine derartig harte Kritik hatte er noch nie über sich und seine Musik gelesen. Im Gegenteil. Oftmals jubelte die Presse über Interrobang und hob besonders seine Leistung hervor. In vielen Artikel wurde er als großartiges Nachwuchstalent umschrieben, der sicher Fuß auf der holprigen Treppe der Musikkarriere fassen würde. Ein Feedback von Leuten aus der Branche, von Personen die bereits Jahrelange Erfahrung in diesem Business vorzeigen konnte. Jetzt wagte es ein Schüler, genau das Gegenteil zu behaupten? Sein Gesicht wurde bleich. „Du musst sie ganz schön verärgert haben.“, sagte schließlich Sven, der festgestellt hatte, dass sein Freund womöglich den restlichen Artikel nicht weiterlesen würde. Mitleidig beobachtete er den schockierten Gemütszustand seines Freundes. Er bereute nun ihm den Artikel gezeigt zu haben und hatte nicht mit einer verstörenden Reaktion gerechnet, war es doch nur die Schülerzeitung aus dem anderen Bezirk. „Wen?“, stotterte Ben und wandte den Blick endlich vom Blatt weg. Sven tippte auf den Namen der Verfasserin. Dort stand der Name Mia Stein. Ben kniff die Augen zusammen. „Die Freundin von Simon? Diese Brünette mit den Locken?“, fragte er mit hörbar lauterer Stimme, obwohl er die Antwort längst kannte. Sven nickte. „Ich habe gar nichts getan!“, schrie er fast und Sven hob beruhigend die Hände und wies ihn an, ruhig zu bleiben.

      „Kein Grund, laut zu werden. Ich habe den Artikel nicht geschrieben! Sie geht sonst eigentlich nicht mit den Bands so hart ins Gericht, vor allem nicht mit einzelnen Personen. Die schlechteste Kritik, die ich je von ihr gelesen hatte, war ihre Musik klang nett. Dann muss sie euch wirklich nicht gut gefunden haben, wobei sie ja auch schreibt, dass ihr Talent habt.“, Sven versuchte seinen Freund etwas zu beruhigen und die Kritik zu schmälern. „Ich muss mit ihr sprechen.“, sagte Ben entschieden.

      „Du solltest zuerst mit Simon sprechen und dir seinen Rat einholen.“, riet ihm Sven, der sich nun an einem der Fahrradständer lehnte und die Hände über Kreuz auf sein rechtes Knie legte.

      „Warum denn das?“, erwiderte Ben mit verwirrter Miene.

      „Er kennt Mia am besten und sagen wir es so, sie kann sehr eigen sein zu Menschen, die sie nicht besonders gut kennt. Und dazu gehörst du. Dem Artikel nach würde ich sogar sagen, dass du sehr schlechte Karten bei ihr hast, aber das kann Simon eher beurteilen. Vertrau mir! Sprich mit ihm und er hilft dir bestimmt den besten Weg zu finden, um dich mit ihr über ihre Kritik auszutauschen. Sonst macht sie dicht und redet überhaupt nicht mir dir. Mia ist einfach ein sehr spezielles Mädchen.“

      „Pff, speziell. Wohl eher arrogant! Denkt sie hätte die Musik-Weisheit mit Löffeln zum Frühstück verputzt.“

      Sven beschloss nichts weiter auf die Bemerkung seines Freundes zu erwidern. Ben war dermaßen wütend, dass jeder Satz ihn womöglich nur noch rasender gemacht hätte. Außerdem bezweifelte er, dass er Mia noch irgendwie gut bei ihm dastehen lassen konnte. So verabschiedeten sich die zwei voneinander und Ben fuhr mit dem Rad so schnell wie noch nie nach Hause.

      Ihre Worte hatten sich in sein Gehirn gebrannt. Den gesamten Heimweg über grübelte er über die verletzenden Aussagen. Insbesondere der persönliche Vermerkt über ihn selbst, dass er die Melodie in sich noch nicht gefunden habe, hallte wie ein innerliches Echo immer wieder in seinem Ohr. Er konnte sich genau vorstellen, wie Mia es vor ihm betont hätte. Vermutlich genauso, wie sie auf ihren Namen unbedingt aufmerksam machen mussten und ihm Star-Allüren unterstellt hatte. Mit Sicherheit war sie in ihrer Rezension nicht neutral gewesen. Natürlich hatte sie Good-For-Nothing in den Himmel gelobt, immerhin war ihr bester Freund der Schlagzeuger. Wenn sie nicht mit ihm befreundet wäre, wäre die Kritik vermutlich nicht so hochlobend gewesen, dachte er sich. Was bildete sich Mia Stein eigentlich ein? Hatte sie überhaupt einen musikalischen Hintergrund, der sie dazu befähigte Kritik darüber zu schreiben? Seines Wissens nach spielte oder sang sie in keiner Band. Lediglich durch Simon konnte sie ein wenig in diese Welt hineinschnuppern, was sie aber noch lange nicht zu einer Musikkritikerin ausmachen konnte. Was meinte sie überhaupt mit Melodie in sich? Hatte sie einen Liebesroman zu viel gelesen und konnte sich daher nicht anders ausdrücken als über diese romantische Art?

      Innerlich tobte ein Orkan in Ben, der all ihre Worte am liebsten nach Kansas verfrachtet hätte. Wut, Ärger, Enttäuschung, vor allem, aber Selbstzweifel