Alessandra Grimm

Die Melodie in dir


Скачать книгу

ein weiteres sich geöffnet hatte.

      „Hi Mia.“

      Ein grimmiger Ton war von ihr zu hören. Zögerlich wandte sie den Blick vom Monitor und biss erneut in den Keks hinein. Das zermürbende Geräusch ihrer Zähne hörend tippte sie widerwillig: „Hi Ben.“ Sie wartete noch einen Augenblick, bevor sie die Antwort abschickte. Einige Minuten starrte sie ihre Begrüßung an und schlürfte an ihrer schwarzen Tasse mit dem Hogwarts-Wappen darauf. Mit verkniffenen Augen schmatzte sie ein paar Mal und drückte dann auf die Enter-Taste. Prompt sah sie Ben schreibt auflodern und erhielt eine neue Nachricht.

      „Wie geht es dir?“

      Wirklich? Fing er das Gespräch mit Smalltalk-Geplänkel an? Darauf hatte Mia überhaupt keine Lust.

      „Gut und dir?“

      „Auch. Schreibe gerade an einem neuen Songtext.“

      „Aha.“, antwortete sie und verdrehte die Augen.

      „Ich habe deinen Artikel gelesen.“

      „Ich weiß.“

      „Ich fand ihn gut.“

      Gelogen, dachte sich Mia. Das konnte er nicht ernst meinen. Glaubte Ben Richter tatsächlich, dass er bei ihr punkten konnte?

      „So?“

      „Ja. Du hast wirklich Talent und hast deine ehrliche Meinung vertreten.“

      Das ich nicht lache, dachte sie. Richtiger Schleimer. Mia antwortete darauf nicht.

      „Ich bin nur über eine Sache gestolpert, über die ich gerne mit dir persönlich sprechen würde.“

      Hatte sie gerade persönlich gelesen? Wollte er sich tatsächlich mit ihr treffen?

      „Welche Sache denn?“

      „Das sage ich dir, wenn wir uns treffen.“ Mia rümpfte die Nase, als sie seine Antwort las.

      „Na, vielleicht können wir das auch schon im Chat klären, sodass ein Treffen obsolet wäre.“ Sie liebte es, solche Wörter mit einzubauen, um zu untermauern, wie sehr sie die deutsche Sprache für ihr junges Alter liebte. Für manche wirkte das arrogant und vollkommen unnötig. Darum wählte sie mit bedacht, bei wem sie geschwollener sprach und bei wem nicht. Da Ben sie arrogant behandelt hatte, sollte er dieses von ihr zu spüren bekommen.

      „Ich habe schon Simon dazu gefragt und er ist auch der Meinung, dass das Thema besser persönlich besprochen wird. Für einen Chat ist das doch zu ausschweifend.“

      Als ob er das beurteilen könnte. Sie wollte Simon parallel schreiben, was das ganze sollte, doch ihr bester Freund war ungewöhnlicher Weise offline. Dahinter steckt doch ein perfider Plan, dachte sie sich und hatte sich fest vorgenommen, am nächsten Tag Simon zur Rede zu stellen.

      „Hättest du morgen nach der Schule Zeit?“

      Vermutlich hatte sie tatsächlich keine Wahl. Wenn Simon mit Ben gemeinsame Sache machte und dies war offensichtlich der Fall, würde sie eines Tages auf ihn treffen müssen. Entweder er würde sie vor der Tanzschule abfangen, oder Simon würde ihn bei einem ihrer Treffen als freudige Überraschung präsentieren. Widerwillig musste sie sich eingestehen, dass sie sich auf die Verabredung zur Diskussion ihrer Meinung einlassen müsste.

      „Ja.“, antwortete sie.

      „Cool. Treffen wir uns beim Eiscafé Georgio?“

      „Ok.“

      Mit missmutigem Gesicht schloss sie das Chatfenster und ging offline. Sie konnte keine weiteren Gespräche mehr ertragen. Ein kleiner Funken von schlechtem Gewissen keimte in ihr allerdings auf. Immerhin hatte sie sich nicht einmal von ihm verabschiedet. Das war sehr unhöflich gewesen und eigentlich nicht ihre Art. Sie nahm sich einen weiteren Keks und biss schmollend hinein, bevor sie sich entschloss vom Fernseher berieseln zu lassen.

      Das Eiscafé war an diesem Freitagnachmittag kaum besucht. Die Leute fuhren um diese Zeit in den Supermarkt, um ihre Wocheneinkäufe zu erledigen. Die Wenigsten schlenderten die Einkaufsgasse mit den kargen Geschäften entlang, um sich mit neuen Kleidungsstücken auszustatten. So konnte sich Mia ihren Lieblingstisch in der hintersten Ecke des Cafés sichern. Dort saß sie gerne, um bei einer Tasse Kakao ein Buch zu lesen oder selbst zu schreiben. Da sie keinen Laptop hatte, hatte sie immer ein Notizbuch dabei, in welchem sie die vielen Ideen festhielt und teilweise komplette Passagen per Hand schrieb. Manchmal fanden sich auch Gedichte darunter. Mal waren sie melancholisch, mal witzig, aber oftmals schrieb sie traurige Texte. Sie wusste nicht warum, aber irgendwie machte es ihr mehr Spaß dieser Gefühlwelt Ausdruck zu verleihen als den schönen Momenten. Auch mit Simon war sie ab und an gerne dort, der allerdings etwas sparsamer mit seinem Taschengeld umging. Er versuchte jeden Cent zurückzulegen, um sich immer wieder besseres Equipment kaufen zu können. Mia hingegen hatte den Vorteil, dass ihre Eltern ihr alle Bücher ohne Kostenlimit holten. So konnte sie bei ihrem hohen Lesekonsum das Taschengeld immerhin anderweitig verwenden. Manchmal besserte sie ihr Taschengeld bei ihrem Opa auf, der ein bekannter Steuerberater im Ort war und ihr dann gerne einen großzügigen Stundenlohn zahlte, wenn sie wieder Sortierungen vornahm.

      Mia war etwas früher als vereinbart im Café angekommen und nutzte daher die Minuten, um das aktuell in Deutsch behandelte Buch Die Welle weiterzulesen.

      „Das mussten wir auch damals lesen.“, hörte sie Ben sagen, der seine Jacke auszog, über den Stuhl hing und sich neben sie setzte. „Ach ja? Und wie fandst du es?“, fragte sie und ärgerte sich über die fehlende Begrüßung seinerseits. Sie würde ihm mit Sicherheit kein Hallo mehr entgegenbringen. Fingen sie eben direkt mit dem Gespräch an. So konnte sie auch früher wieder nach Hause fahren.

      „Ich fand es sehr gut. Eines der besten Bücher im Unterricht bisher und allemal interessanter als Emilia Galotti.“

      „Ich liebe Emilia Galotti. Es ist ein Stück über Liebe und Politik und weist gelungen die Macht des Adels über das Bürgertum auf. Emilias Tod zeigt, für was ein Mensch bereit ist, um frei zu sein.“

      Ben stutzte und sah sie ungläubig an. „Du hast das Buch gelesen? Freiwillig? Das kommt doch erst in der Oberstufe dran.“

      „Ich lese so einiges. Aber wir haben uns ja nicht verabredet, um einen Buchclub zu gründen.“, erwiderte sie, legte das Lesezeichen zwischen die entsprechenden Seiten und klappte das Buch zu. Der Kellner kam zu ihrem Tisch und nahm die Bestellung von Ben auf. „Einen Kaffee schwarz bitte. Möchtest du noch was?“, fragte er Mia. Sie schüttelte den Kopf, ihre Tasse war noch halb voll mit der schokoladigen Köstlichkeit.

      „Du trinkst schon Kaffee?“, fragte sie erstaunt. „Ja, warum?“

      „Ich kenne keinen einzigen Siebzehnjährigen, der Kaffee trinkt.“

      „Nicht? Es ist ein großartiges Getränk. Du trinkst also keinen?“

      „Nein.“, antwortete sie und machte ein angewidertes Gesicht. „Solltest du dann unbedingt mal tun, aber vielleicht fängst du lieber mit Milchkaffee an. Man braucht etwas Zeit, um sich an den bitteren Geschmack zu gewöhnen.“

      „Man kann ja Zucker reintun.“, sagte sie und zuckte die Schultern.

      „Damit er so bittersüß wird wie du?“, den Spruch konnte sich Ben nicht verkneifen. Ungläubig riss Mia die Augen auf und starrte ihn an. „Entschuldige, der ist mir so rausgerutscht.“, sagte er sofort. „Schlechte Angewohnheit von dir.“, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte und die Lippen schürzte. „Kommen wir zum Thema. Meine Kritik.“ Der Kellner rückte näher und servierte die heiße Tasse des schwarzen Gebräus. Ben nippte daran, bevor sie das Gespräch fortführten. „Genau. Du hast geschrieben, dass ich meine Melodie in mir noch nicht gefunden hätte. Das verstehe ich nicht so ganz. Was meinst du genau damit?“

      Darum geht es also, dachte Mia und langsam dämmerte ihr, warum Simon einem persönlichen Austausch zwischen den beiden zugestimmt hatte. In der Schule hatte sie ihn darauf angesprochen und er meinte nur „Vertrau mir,