Alessandra Grimm

Die Melodie in dir


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du immer noch hier sitzt, obwohl der Unterricht vorbei ist und wir nach Hause fahren können.“, antwortete Sven. „Was? Die Stunde ist vorbei?“, Ben war in der letzten Stunde in seiner eigenen Welt der Gedanken gewesen. „Du kriegst wirklich gar nichts mehr auf die Reihe. Nimm dir den Artikel von Mia doch nicht so zu Herzen. Gibt genug andere Leute, die dich und Interrobang toll finden.“

      „Du hast recht.“

      „Hast du mit Simon sprechen können?“

      „Leider nicht. Er hat mich aber angenommen. Julia kam gestern Abend noch und als ich wieder am Rechner war, war er schon offline.“ Sven rollte mit den Augen, als er den Namen der Freundin hörte. Ben wusste, dass Sven sie nicht besonders leiden konnte. Kaum jemand aus seinem Bandumfeld mochte sie, weil sie sich kaum für die Musik interessierte und auch selten auf Konzerten zu sehen war. Auch die Gespräche zwischen ihr und seinen Bandkollegen waren eher angespannt gewesen. Sie lebte in einer anderen Welt, doch ihre Schönheit zog ihn immer wieder zu ihr. Seit nun zwei Jahren waren sie bereits ein Paar und sie brüstete sich mit der Tatsache, dass er Musiker war. Manchmal wusste er gar nicht, ob sie wirklich stolz auf ihn und sein Talent war oder den Umstand nur dazu nutzte, um ihr Ansehen etwas aufzupolieren. Manchmal fühlte er sich regelrecht vorgeführt, als ob sie aller Welt sagen wollen würde: „Schaut, wie toll mein Freund ist! So einen kriegt ihr niemals!“

      „Ich habe heute Bandprobe mit ihm. Wenn du willst, gebe ich ihm eine Uhrzeit mit. Dann seid ihr quasi verabredet und könnt euch nicht verpassen.“, schlug Sven ihm vor.

      „Das wäre super! Kannst du ihm zwanzig Uhr sagen?“

      „Klar.“

      „Danke!“, Ben hielt ihm die Hand ihn und Sven hakte sich ein, zog seinen Kumpel heran und sie klopften sich gegenseitig mit der anderen Hand auf die Schulter.

      „Ach und Ben?“, sagte Sven, als er das Fahrradschloss um die Vorderstange hing.

      „Ja?“

      „Wenn du bei Mia durchfällst, fällst du bei Simon durch. Genauso ist es umgekehrt. Nur, damit du das weißt.“

      Kapitel 5

      Bereits eine Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt saß Ben vor seinem Monitor. Er hatte sich einige Notizen gemacht und überlegte, wie genau er das Gespräch mit Simon anfangen konnte. Den Rat seines Freundes hatte er ernst genommen, dachte aber zugleich, dass er wohl keinen guten Start mit dem Kollegen haben würde, wenn Mia Stein ihn tatsächlich nicht leiden konnte. Andererseits hätte Simon ihn womöglich nicht in ICQ angenommen, wenn das Urteil über ihn schon ausgesprochen gewesen wäre. Nebenbei werkelte er an einem seiner neuer Songtexte herum. „Dieses Feeling ist der Sinn meines Herzens schlagen“, notierte er auf ein Blatt Papier. Manchmal fielen ihm einzelne Sätze oder Wörter ein, die er gerne zu einem Liedtext verbauen wollte. Um sie nicht zu vergessen, notierte er alles kreuz und quer auf kleinen Zetteln oder in seinen Schulheften. Wenn die kreative Phase ihren Hochpunkt fand, konnte er die einzelnen Teile zu einem Puzzle zusammensetzen. So war auch „Niemals darfst du gehen“ entstanden.

      Das wohl bekannte Geräusch einer eingehenden Nachricht im ICQ ertönte.

      „Hi Ben, Sven sagte mir, dass du mich sprechen wolltest.“, las er.

      „Hi Simon, danke dir erstmal für die Annahme und für deine Zeit.“

      „Kein Problem. Womit kann ich dir helfen?“

      „Es ist mir etwas unangenehm, aber ich hatte gehofft, dass du mir in Bezug auf Mia helfen könntest.“

      „Mia?“, Ben bereute seine Wortwahl, hätte man die Anfrage auch in einen romantischen Kontext setzen können und das, wollte er definitiv nicht. Immer wieder tippte er ins Chatfenster und löschte die Worte wieder. Schließlich antwortete er:

      „Sven hat mir ihre Kritik gestern gezeigt und ich würde mich gerne mit ihr dazu austauschen, damit ich sie besser nachvollziehen kann. Er meinte nur, es sei klüger erst mit dir zu sprechen, wie ich das am besten angehen könnte. Er nannte sie etwas Eigen, wenn es um fremde Personen geht.“

      „Ach so. Ich hatte heute auch schon mit ihr darüber gesprochen.“ Ben zog eine Augenbraue hoch und antwortete: „Wirklich?“

      „Ja.“

      Simon fuhr nicht weiter fort. Ungeduldig wippte Ben mit seinem rechten Bein und überlegte, wie er die Information aus Simon herauslocken konnte, die ihn so sehr interessierte.

      „Über die Kritik zu euch oder über Interrobang?“, schrieb er schließlich.

      „Interrobang.“, antwortete Simon.

      „Oh, wie kommt’s?“

      „Sagen wir so, es war eine für sie untypische Kritik. Was genau möchtest du denn mit einem Gespräch mit ihr erreichen?“

      „Ich möchte sie einfach besser verstehen können. Besonders der Punkt mit der fehlenden Melodie in mir ist für mich nicht nachvollziehbar.“

      „Willst du sie besser verstehen oder einfach nur umstimmen?“

      Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Tatsächlich war sich Ben nicht sicher, was er hier drauf antworten sollte. Er wusste selbst nicht so recht, was er mit einem Gespräch mit ihr bezwecken wollte. Womöglich würde er sie irgendwie auch umstimmen wollen, aber das konnte er schlecht vor Simon zugeben. Mit Sicherheit würde er ihm dann nicht helfen und ihm raten, den Artikel in den Müll zu schmeißen und einfach zu vergessen. Bedacht über Simons Reaktion antwortete er: „Ich möchte sie besser verstehen. Sie scheint einen guten Geschmack zu haben und ich nehme Kritik ernst. Ich würde mich und die Band gerne weiterentwickeln und ich denke, der Input könnte mir dabei helfen.“ Jedes Wort war durch und durch gelogen. Ben kannte sein Talent und wusste, dass seine Songs gut waren und die Band, trotz ihres jungen Alters, ein hohes musikalisches Niveau innehielt. Das wollte er Mia beweisen, damit sein gekränktes Ego wieder mit Stolz strahlen konnte.

      „Okay, wenn du wirklich deswegen mit ihr Kontakt möchtest, dann helfe ich dir. Ich melde mich.“

      „Danke!“, antwortete er und legte die Hände schmunzelnd hinter seinen Kopf.

      *

      Es war ein grauer Morgen. Die Sonne ließ sich nicht blicken, der Wind wehte kühl an ihren rosigen Wangen vorbei und die goldenen Blätter fielen von den Bäumen herab. Abwechselnd trat sie in die Pedale und zupfte ihre Mütze zurecht, die durch den Gegenwind wegzuwehen drohte. In diesem Moment wünschte sie sich, sie hätte sich dazu erbarmt ihre Mutter zu fragen, ob sie sie zu Simon fahren könnte. Andererseits würde ihre Mutter sie dann viel zu früh wieder abholen wollen und der Bus war aktuell keine Option. Einige Haltestellen waren im Umbau, weswegen er noch seltener fuhr als sonst. Die Baustellen sorgten dafür, dass er zudem entweder viel zu früh oder viel zu spät eintraf, sodass man von Glück sprechen konnte, wenn man ihn ergatterte. Darauf folgte dann allerdings ein Platzkampf, denn durch die Ausfälle war die Fluktuation pro Fahrt höher als gewöhnlich.

      Sie bog um die Ecke und hielt vor einer Garage an. Als sie vom Rad abstieg hörte sie ein lautes Bellen. Samson, der große Bernhardiner der Familie Engel stand bereits an der Haustür und gab seinem Rudel das Signal für Besuch. Das Klicken des Radschlosses ertönte und bevor sie auch nur die Türschwelle erreicht hatte, öffnete Simon ihr die Tür. Er hatte sie bereits erwartet. „Samson, nein!“, brüllte er, während er mit seinen Beinen versuchte den Hund daran zu hindern, auf Mia zuzulaufen, um sie umzuwerfen. Denn obwohl Samson riesig war dachte er anscheinend oftmals, er sei so groß wie ein West Highland Terrier. „Sitz!“, befahl er und Samson gehorchte. Freudestrahlend streichelte Mia ihn auf seinem Kopf und tatsächlich hielt er sich weiterhin an der Aufforderung Simons. Nachdem sie den großen Beschützer begrüßt hatte, umarmte sie ihren Freund innig. „Nehmt euch ein Zimmer!“, entgegnete seine kleine Schwester Theresa, die einen Teller mit zwei Marmeladebroten hielt und die Treppe hinauf in ihr Zimmer verschwand.

      „Sie wird mich niemals mögen.“, entgegnete Mia. „Sie ist nur eifersüchtig und einfach ein zu jung. Wenn du wüsstest, wie sie manchmal mit unseren