Alessandra Grimm

Die Melodie in dir


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Interrobang ist nicht so schlecht, wie du sie dargestellt hast.“, argumentierte Simon, der dem Ehrencodex unter Musikern folgte und seine Kollegen darum entsprechend in Schutz nahm. Außerdem fand er Bens Band tatsächlich nicht schlecht.

      „Lang lebe die Meinungsfreiheit.“, Mia machte eine Faust und boxte sie in die Luft. Danach reichte sie ihrem Freund die Unterlagen, die sie am Vortag ausgedruckt hatten. Sie mussten ein Referat über „Die Welle“ halten und wollten an diesem Nachmittag gemeinsam daran arbeiten. Wie üblich, überließ Simon die meiste Arbeit seiner besten Freundin und brachte sich nur wenig ein. Mia sah es ihm nach, hatte er doch andere Qualitäten und half ihr jedes Mal in Musik, wenn es ums Transponieren ging. Ein Teil des Unterrichts, der ihr einfach nicht gefiel und mit dem sie immer wieder Probleme hatte. Dafür war sie sehr gut darin, Leitmotive zu erkennen und rauszuhören.

      Ihre Mutter hatte ihnen eine riesige Pizza Margarita mitgebracht, die sie sich teilten. Simon hatte derartig gierig nach dem ersten Stück gelangt, sodass er sich beinahe die Zunge verbrannt hatte. „Geschieht dir recht!“, sagte Mia, die ihr Stück versuchte kühler zu pusten, bevor sie genüsslich reinbiss. „Wo soll das hier denn noch enden, wenn du schon Schadenfreude gegen mich hegst?“

      „Ich bin eigentlich gar nicht deine Freundin. Ich tue nur so. In Wahrheit bin ich deine Feindin.“, grinste sie ihn an. „Oh, böse Mia.“, sagte er und kniff sie in den Arm. Mia entwich ein Aua und sie gab ihm einen Klaps auf den Oberarm.

      „Ich treffe mich morgen Nachmittag mit Ben.“, sagte er, nachdem sie sich wieder geeinigt hatten Freunde, statt Feinde zu sein. „Schön, viel Spaß.“, entgegnete sie schulterzuckend. „Möchtest du mitkommen?“

      „Ich glaube das macht ihr lieber alleine.“

      „Ach, warum denn? Du bist doch eigentlich die kreative Schreiberin unter uns. Wenn einer Ahnung von Gefühl hat, dann du.“

      „Ich habe keine Ahnung von Gefühl. Sonst hätte ich ihm direkt den entscheidenden Rat geben können und hätte ihn nicht zu dir geschickt.“, antwortete Mia kühl.

      „Du bist Autorin. Ich kenne ein paar deiner Gedichte. Natürlich hast du Ahnung von Gefühl.“

      „Aber nicht, wie man das Gefühl rauslockt. Bei mir ist es einfach da und das unentwegt. Ich muss es nicht erst rauslocken. Es hat sich nie vor mir versteckt.“

      Simon kratzte sich am Kinn. „Ja, verstehe. Trotzdem fände ich es gut, wenn du auch kommst. Wir treffen uns bei uns im Proberaum.“

      „Nee, macht das ruhig alleine.“, sagte Mia und biss in den Pizzarand ihres Stücks hinein.

      „Och Mia, komm schon. Lass mich nicht betteln.“, flehte Simon. „Warum willst du nicht mit ihm alleine sein?“, fragte Mia mit zusammengekniffenen Augen.

      „Darum geht es nicht. Ich weiß nur nicht, ob ich da alleine eine Hilfe bin. Wenn wir Songtexte schreiben, hilfst du ja auch immer. Wir sind ein Team, also sollten wir Ben auch als Team helfen. Wäre doch ein cooles Projekt für unsere Herbstferien.“, antwortete Simon und freute sich über die Tatsache, dass morgen der letzte Schultag anstand, und sie dann endlich wieder zwei Wochen Freiheit genießen konnten. „Morgen um drei nach der Schule, ja?“

      *

      Mia wurde diese Nacht ständig wach. Immer wieder verfolgte Ben sie in ihren Träumen. Sie saßen wieder im Café Giorgios und er ermutigte sie, eine Tasse Kaffee zu probieren. „Na, wie schmeckt er dir?“, fragte er sie. „Bittersüß!“, antwortete sie. „So wie du.“, antwortete er. Bei diesem Satz wurde sie wach. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Liebes Gehirn, hör auf ständig diese Szene in mir aufleben zu lassen. Ich würde lieber davon träumen, dass ich fliege oder so.“, murmelte sie in sich hinein und drehte sich auf die andere Seite. Doch ihr Kopf wollte ihr keine Ruhe geben. Ständig dachte sie daran, wie sie den morgigen Tag im Proberaum überstehen sollte. Sie hatte keine Ahnung von Gefühlen. Die Worte sprudelten einfach so aus ihr heraus. Sie waren tief in ihr verankert und wollten von ihr niedergeschrieben werden. Sie musste da nichts aktivieren oder rauslocken. Es war einfach da. Wie sollte sie Ben also helfen? Insgeheim hatte sie Angst, dass er sie nicht ernst nehmen könnte, wenn sie keine Lösung anbot. Dass er sie für eine Schwätzerin halten würde, die gerne austeilte, aber nicht lehren konnte.

      Sie schaute auf ihren Wecker. Drei Uhr nachts. Sie würde in drei Stunden aufstehen müssen. „Großartig.“, seufzte sie, als sie ihre Arme auf die Matratze fallen ließ. Sie legte eine drei ???-Kassette ein und lauschte dem Hörspiel, bevor sie endlich die Augen schloss und ihr Körper die lang ersehnte Pause erhielt.

      *

      Ben trug schlichte, graue Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Lässig stand er im Proberaum und wartete darauf, dass Simon ihm seinen Platz zeigte. Mia saß schüchtern neben dem Pult und wirkte unscheinbar. Irgendwie nervös wischte sie mit ihren Händchen zwischendurch über ihre schwarze Jeans. Simon rollte einen weiteren Stuhl aus der hintersten Ecke und bot ihn Ben an. „Schöner Raum.“, kommentierte dieser, als er sich umgesehen und schließlich hingesetzt hatte. „Danke.“, sagte Simon. Bens und Mias Blicke streiften sich. Er lächelte sie an, doch sie schaute beschämt weg. „Ich dachte, du kannst mir bei diesem Punkt nicht helfen.“, sagte er, die Augen nicht von ihr nehmend. Mia presste die Lippen zusammen und verschränkte die Arme. „Ich bin nicht freiwillig hier.“, murmelte sie. Simon seufzte und entschuldigte sich für seine Freundin. „Ich habe sie gezwungen. Sie will nicht einsehen, dass sie uns zu einem Großteil mit den Texten hilft.“

      „Ach, das wusste ich gar nicht. Sehr cool.“

      „Würde sie offiziell niemals zugeben.“, sagte Simon und schenkte Mia einen ernsten Blick der ihr benimm dich jetzt sagte.

      „Warum nicht?“, fragte Ben Mia. Mia rümpfte die Nase. „Ich helfe nur, wenn etwas nicht ganz sauber klingt. Ich passe quasi an. Das sind nicht meine eigenen Gedanken.“

      Ungläubig lehnte sich Simon zurück. „Bitte? Wie oft hast du eine Bridge vorgegeben oder den entscheidenden Satz des Refrains geliefert.“

      Mia zuckte die Achseln. Kopfschüttelnd wandte sich Simon Ben zu. „Tut mir leid. Vielleicht kriegt sich Madame nachher ein und wird wieder normal. Sie hat anscheinend nicht gut geschlafen und Müdigkeit wirkt sich immer heftig auf ihre Laune aus, wie man sieht.“ Ben grinste. „Geht mir genauso.“, sagte er. Mia ging darauf nicht ein und ließ die Jungs ihr Ding durchziehen. Simon ging mehrere Atemübungen mit Ben durch, damit dieser mehr seinen Körper spürte und seine innere Stimme hörte. Er erzählte ihm, was ihm bisher alles geholfen hatte, damit die Ideen so sprudelten. Ein Tipp war das Singen unter der Dusche. „Da kommen mir die besten Ideen!“, sagte er voller Euphorie. Ben machte sich Notizen, was auf Mia Eindruck machte. „Oder einfach mal auf dem Balkon sitzen und den Sonnenuntergang beobachten. Letztens saß ich sogar am Baggerloch und habe einfach das Wasser beobachtet und da entstand Ich war dabei wie von alleine. Ich musste daran denken, wie toll es sich angefühlt hat, als wir letzten Sommer allesamt per Rad hingefahren sind und eine gute Zeit hatten. Das hat mich inspiriert.“

      „Ist auch ein wirklich guter Song! Wie kamst du denn auf den Titel?“

      „Mia.“, antwortete Simon. „Immerhin war sie dabei.“

      „Wow, toller Satz, den ich mir da ausgedacht habe.“, sagte sie voller Hohn. „Naja, mit der richtigen Melodie dahinter, passt er perfekt.“, antwortete Ben.

      „Ich geh mal kurz ums Eck.“, sagte Simon und lies die beiden alleine im Proberaum zurück. „Bist du wirklich nur müde, oder ist was Anderes mit dir los?“, fragte Ben. „Geht dich das was an?“, entgegnete Mia zickig. Ben hob schützend die Hände. „Wow, tut mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahetreten.“ Mia sah den Jungen an. Eine braune Strähne seines Ponys hatte sich über eines seiner ebenfalls braunen Augen gelegt und sie verspürte den Drang, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. „Mir tut es leid. Ich hätte nicht so reagieren sollen.“, entschuldigte sie sich kleinlaut. „Wieder Freunde?“, fragte er und reichte ihr lächelnd die Hand. Mia sah zu ihr hinab. Zögernd reichte sie ihm ihrige. Als sie sich berührten,