Alessandra Grimm

Die Melodie in dir


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an deinen Texten. Ich glaube mir fehlt einfach das Gefühl, wenn du singst.“, sagte sie und rieb sich dabei die Hände, die sich für ihre Verhältnisse nahezu eisig anfühlten. Das tat sie zudem immer dann, wenn sie in Verlegenheit geriet. „Okay, also bringe ich es nicht richtig rüber.“, sagte Ben und Mia stimmte ihm kopfnickend zu. „Als ob es nicht deine Texte sind, sondern die von einem Fremden. Als ob du das nicht erlebt hast und nur dem vorgegebenen Schema folgst.“, ergänzte sie. Ben grübelte über ihre Worte. Er achtete immer sehr darauf jeden Ton sauber zu treffen. Manchmal fiel es ihm schwer, weil er gleichzeitig das Schlagzeug spielte. „Woah Mia, warum hast du das nicht gleich gesagt. Und ich erzähle ihm hier irgendetwas davon, wie man die richtigen Worte findet.“, platzte Simon herein. „Ich habe dir doch gesagt, dass das Gefühl fehlt.“

      „Du hast aber nicht gesagt, dass die Texte doch in Ordnung sind. Ja, wie lösen wir das mit dem Gefühl jetzt?“, fragte Simon grimmig. „Wie machst du es denn?“, fragte er Simon, welcher sich schmollend setzte. „Keine Ahnung, ich fühl es einfach. Ich denke an den Moment, den ich mit dem Text verbinde und wie ich mich gefühlt habe und dann hole ich das einfach wieder raus aus dem Archiv.“

      „Hmm, okay. Und du Mia?“

      „Ich?“, fragte sie pikiert.

      „Ja, du.“

      „Wieso ich? Ich singe nicht. Ich schreibe nur.“, sagte sie runterspielend.

      „Aber deine Texte sind doch sicherlich voller Gefühl, oder nicht? Sind das Gedichte nicht immer? Wie machst du das?“

      „Keine Ahnung. Sie sind einfach da. Schätze wie bei Simon.“

      Enttäuscht senkte Ben den Kopf. Mia bekam ein schlechtes Gewissen. „Was machst du morgen?“, fragte sie ihn.

      „Bandprobe am Nachmittag. Warum?“

      „Dann hast du aber mittags Zeit?“ Ben nickte. „Dann sind wir jetzt verabredet.“

      *

      Treffpunkt war das Eiscafé Giorgios, doch sie wollten keinen Kakao zusammen trinken. Sie fuhren mit ihren Rädern weiter. Mit Mia an der Spitze fuhren sie durch die Stadt, bis sie auf einen Feldweg stießen und diesem folgten. Mia bog ab und sie lotste Ben in den Wald. Die verbliebenen Blätter wehten leicht im Wind und der Boden war überseht von den Farben Rot und Gold. Die kühle Brise um ihre Köpfe herum war angenehm und der Duft der Natur nistete sich in ihre Nasen ein. Sie stiegen von ihren Rädern ab. Mia nahm Bens Hand und zog ihn zu einer Bank. Vor ihnen plätscherte ein Bach. „Was machen wir hier? Willst du mich umbringen und im Wald vergraben?“, fragte er herausfordernd. „Danke, dass du mir so was zutraust. Ich glaube ich bin zu klein, um dich umzubringen und dann los zu werden. Da bräuchte ich schon Hilfe.“, antwortete sie Ben, der jetzt schon über einen Kopf größer war als sie. Mit ihren 1,60 war Mia für viele ziemlich klein geraten und sie musste sich die vorderste Reihe bei Konzerten immer hart erkämpfen, damit sie die Künstler voll und ganz sehen konnte. „Setz dich.“, wies sie ihn an. Er tat wie ihr geheißen und sie gesellte sich zu ihm. „Schau auf den Bach und atme drei Mal tief ein und aus. Dann schließt du die Augen und lauschst den Geräuschen.“

      Ben befolgte die Anweisung. Sein Puls wurde flacher und als er die Lider schloss, hörte er den voran rinnenden Bach und den Wind, der seine Geschichte forttrug. Er hörte das Rascheln von Blättern, wenn ein Tier sich über sie am Boden hinfort bewegte. Er hörte ein paar Vögel zwitschern. Er schmunzelte. „Was fühlst du?“, fragte Mia. „Frieden.“, antwortete Ben prompt. „Weiter.“, befahl Mia. „Ruhe. Freude. Glück.“, zählte er auf. Er spürte, wie ihre Hand seine streifte. Sie kreiste mit ihren zarten Fingern verschiedene Bahnen auf seinem Handrücken herum. „Weiter.“

      „Entspannung. Fürsorge. Zuneigung.“ Sie strich mit ihrer anderen Hand über seine Wangen. „Sicherheit. Fürsorge.“, wiederholte er. „Liebe.“, entglitt es ihm plötzlich. Erschrocken riss er die Augen auf. Mia zog ihre Hände wieder zurück. „Alles in Ordnung?“, fragte sie. „Ja.“, keuchte Ben. „Sorry, ich weiß nicht, warum ich Liebe gesagt habe.“, stotterte er. Mia lachte. „Alles gut. Das heißt ja nicht Liebe für mich. Das sind einfach Assoziationen, die mit dir aufgrund der Atmosphäre und Berührungen aufkommen. So versuche ich die Gefühle in dir hervorzuholen.“

      Ben sah in ihre blauen Augen. Die Sonne ließ sie noch strahlender aussehen. Sein Gesicht spiegelte sich in ihren Pupillen wider. „Wie bist du auf die Idee gekommen?“, fragte er.

      „Es kam mir einfach in den Sinn. Wenn mich jemand am Rücken krault erinnert mich das immer an das Gefühl der Geborgenheit, die ich hatte, wenn meine Mama das gemacht hat, als ich klein war. Und dann fühle ich mich bei der anderen Person auch geborgen. Man verbindet mit bestimmten Gesten oder Dingen eben Emotionen, ich dachte das Probieren wir einfach mal aus.“

      „Das scheint zu funktionieren.“, sagte Ben glücklich. Mia lächelte. „Freut mich.“, antwortete sie. Noch immer hatte er den Blick nicht von ihr genommen. Er verspürte in sich den Drang ihr noch näher zu sein als vorher. Irgendetwas an ihr schien ihn zu verzaubern und sie zog ihn regelrecht in ihren Bann. Der inneren Stimme folgend beugte er sich leicht vor. Mia erwiderte seinen Blick und versteifte sich. Er legte seinen Arm halb um ihre Schulter und zog sie sanft zu sich. Ihr wurde die Luft abgeschnitten, aber sie verlor sich in seinem sanften Blick. Seine Pupillen wurden dunkler und weiteten sich. Das Wasser drängte sich weiter fort und ließ Musik erklingen. Vollkommen in ihrer eigenen Welt eingetaucht nahm Ben ihre Wange in seine Hand. Dann küsste er sie.

      Kapitel 8

      Die Zeit in den Ferien verflog rasch. Nahezu jeden Tag hatten sich Ben und Mia getroffen, oder sich im Chat unterhalten. Ab und an hatten sie sogar telefoniert. Sie sprachen über alles Mögliche. Musik, Literatur und von Urlaubserlebnissen aus der Kindheit. Mia erzählte, wie gerne ihre Eltern mit ihr nach Fuerteventura flogen und sie stellten fest, dass sie sogar beide zur selben Zeit die Insel besucht hatten. Während Familie Stein den Cluburlaub genoss, war Ben mit seiner Familie zu Gast bei Verwandten. Sein Cousin hatte ihm in diesem Jahr das Surfen beigebracht. Stundenlang konnten sie miteinander reden und wenn sie beisammen waren, konnten sie auch schweigend zusammen Zeit verbringen. Es störte beide nicht.

      Hörte Mia Bens Namen, musste sie in sich hinein lächeln. Sah sie seinen wuscheligen Kopf in der Ferne, kribbelte es in ihrem Bauch. Sie hatte viel über Liebe gelesen und sich immer vorgestellt, wie sie sich wohl anfühlen würde. Jetzt bekam sie eine Kostprobe dessen und ihr Gefühl wurde von Tag zu Tag stärker. Manchmal saßen sie gemeinsam im Café Giorgios und arbeiteten an ihren textlichen Kreationen. Mia an Gedichten, Ben an Songtexten.

      „Na los, probier schon!“, forderte Ben sie eines Tages auf. Der Traum von vor ein paar Tagen wurde nun war. Ben schob ihr die Tasse mit dem weißen Schaum zu und forderte sie tatsächlich auf, das bittere Gebräu zu probieren. Kurz hatte Mia überlegt, Ben von ihrem Traum zu erzählen, der genau diese Situation ihr aufgezeigt hatte, entschied sich dann aber dagegen. Sie fand es selbst etwas gruselig.

      Mia verzog angewidert das Gesicht und streckte die Zunge raus. „Warum zwingst du mich?“, fragte sie mit gequälter und quietschender Stimme.

      „Weil Kaffee großartig ist und es putscht einen auf! Man kann sich viel besser konzentrieren. Glaub mir, beim Schreiben wirkt das Zeug wahre Wunder.“, antwortete Ben. „Na los!“, sagte er ungeduldig und untermalte seine Aufforderung mit einer Handgeste. Zögerlich griff Mia nach dem Getränk und nippte vorsichtig daran. Ein leises Schmatzen war von ihr zu hören, als sie versuchte den Geschmack auf ihrer Zunge wirken zu lassen. Ihre Mundwinkel fielen nach unten und sie legte die Stirn in Falten. Mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck sagte sie: „Wie kannst du das nur gut finden? Und du trinkst das auch noch ohne Milch!“ Ihre Empörung darüber, dass Ben diesen Geschmack tatsächlich als gut befand, war merklich zu hören. Ben griff nach dem Zuckerstreuer und ließ einige der weißen Kristalle in die Tasse hineinfließen. Mia rührte mit dem Löffel die blonde Flüssigkeit um. Skeptisch sah sie ihn an. „Probiere es jetzt noch mal.“, sagte er sanft. Mia nippte erneut. Schaum hatte sich auf ihrer Lippe abgesetzt, woraufhin sie mit der Zunge dort entlangfuhr, um ihn zu beseitigen. Ben schmunzelte